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Kirchengericht: | Disziplinarhof der Evangelischen Kirche der Union |
Entscheidungsform: | Urteil (rechtskräftig) |
Datum: | 19.11.2001 |
Aktenzeichen: | DH 1/01 |
Rechtsgrundlage: | § 37 Abs. 1 PfDG, Artikel 71 Abs. 1 KiO |
Vorinstanzen: | Disziplinarkammer der Ev. Kirche im Rheinland, Az: DK 2/2000 |
Schlagworte: | Kirchenzuchtsverfahren, Verweis, seelsorgliche Schweigepflicht |
Leitsatz:
1. Verletzung der seelsorglichen Schweigepflicht.
2. Kundgabe von Tatsachen aus Gesprächen nur dann im Kirchenzuchtsverfahren, wenn vorher auf das Verfahren und den mit den Gesprächen verfolgten Zweck deutlich hingewiesen wurde.
Tenor:
Die Berufung des Pfarrers gegen das am 21. Oktober 2000 verkündete Urteil der Disziplinarkammer der Evangelischen Kirche im Rheinland - DK 02/2000 - wird zurückgewiesen.
Der Pfarrer hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe:
Die Disziplinarkammer der Evangelischen Kirche im Rheinland hat mit Urteil vom 21. Oktober 2000 – DK 02/2000 – gegen Pfarrer A wegen schuldhafter Verletzung der seelsorgerlichen Schweigepflicht einen Verweis verhängt. Pfarrer A hat gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
I.
Der Disziplinarhof hat auf Grund der mündlichen Verhandlung folgenden Sachverhalt festgestellt.
Pfarrer A hat nach dem Abitur Evangelische Theologie studiert. 1979 hat er die erste theologische Prüfung abgelegt, war anschließend Vikar und hat 1981 die zweite theologische Prüfung abgelegt. Danach war er Pastor im Hilfsdienst und wurd 1982 ordiniert. Nach einer weiteren Tätigkeit
als Pastor im Hilfsdienst wurde er 1984 zum Pfarrer einer Gemeinde berufen. Die Gemeinde gehört zu den Gemeinden
in der Evangelischen Kirche im Rheinland, die dem reformierten Bekennt-
nis folgen. Seit 1999 ist Pfarrer A wegen des Vorwurfs, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, nach § 29 Abs. 1 Satz 1 PfDG einstweilen beurlaubt.
Die Zeugen sind Mitglieder der Kirchengemeinde. Sie sind beide dort geboren und getauft. Beide arbeiteten im Jahr 1999 in der kirchlichen Jugendarbeit mit, die in der Gemeinde vom CVJM getragen wird. Der Zeuge B war außerdem Mitglied des Theologischen Ausschusses der Gemeinde. - Pfarrer A und der Zeuge B waren miteinander befreundet; der Zeuge B ist der Pate des ältesten Sohnes von Pfarrer A.
Die beiden Zeugen sind bzw. waren verheiratet. Der Zeuge B hatte sich 1995 oder 1996 von seiner Ehefrau getrennt, die daraufhin die Scheidungsklage erhoben hat. Die Ehe ist seit August 1999 rechtskräftig geschieden. – Auch die Zeugin C lebte seit 1996 von ihrem Ehemann getrennt. Die beiden Töchter blieben bei ihr. Sie hat 1996 die Scheidungsklage erhoben; das Verfahren ist jedoch bisher nicht beendet, weil weitere Aufklärung zur Vermögensauseinandersetzung und zum Versorgungsausgleich erforderlich ist. – Die beiden Zeugen sind nach ihren Bekundungen „ein Paar“, ohne jedoch bisher eine gemeinsame ständige Wohnung zu haben.
Pfarrer A wusste, dass die Zeugen von ihren jeweiligen Ehepartnern getrennt lebten. Er wusste auch, dass Scheidungsverfahren anhängig waren. Er nahm aus theologischen Gründen Anstoß daran, dass die beiden Zeugen an ihren Ehen nicht festhalten, sondern eine gemeinsame Bindung eingehen wollten. Seine Ehefrau kannte seine Einstellung und missbilligte selbst auch, dass die beiden Zeugen von ihren Ehepartnern getrennt lebten. Mitte Februar 1999 führte sie deswegen ein Gespräch mit dem Zeugen B. Pfarrer A selbst suchte eine Aussprache mit beiden Zeugen. Auf seine Aufforderung hin führte er deshalb am 1. März und 26. April 1999 zwei Gespräche mit dem Zeugen B und am 8. März und 3. Mai 1999 zwei Gespräche mit der Zeugin C. Er erfuhr von beiden Zeugen in den jeweiligen Gesprächen, dass sie an ihren Ehen nicht festhalten wollten. Die Zeugin C sagte ihm auch, dass der Zeuge B und sie „...ein Paar...“ seien. Pfarrer A ermahnte beide Zeugen in den Gesprächen eindringlich, an ihren Ehen festzuhalten. Er hat sie jedoch – entgegen seiner Behauptung – in keinem Gespräch darauf hingewiesen, dass er gewillt war, ein Kirchenzuchtsverfahren gegen sie zu betreiben, das mit dem Ausschluss vom Abendmahl enden könne. – Die Zeugin C war in beiden Gesprächen überzeugt, es handle sich um seelsorgerliche Gespräche. Während des zweiten Gesprächs bat sie Pfarrer A sogar, ihr das zu bestätigen. Er tat das jedoch nicht, belehrte sie aber auch nicht über den auf das Kirchenzuchtsverfahren gerichteten Zweck des Gesprächs. Am 20. Mai 1999 trug Pfarrer A dem Presbyterium vor, dass die beiden Zeugen von ihren Ehepartnern getrennt lebten, ihre Ehe nicht aufrechterhalten wollten und miteinander ein Paar seien. Das Presbyterium missbilligte dieses Verhalten und fasste aufgrund der ihm von Pfarrer A erteilten Informationen unter Berufung auf drei Fragen den Beschluss, dass die beiden Zeugen vorläufig von dem Abendmahl ausgeschlossen seien, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern würden. Zu dem Zweck, dieses zu erreichen, sollten Pfarrer A und eine Presbyterin noch Gespräche mit den Zeugen führen. In dem Beschluss heißt es u. a. wörtlich: „B habe gegenüber Pfarrer A erklärt, dass er wegen einer jetzt gegebenen Verliebtheit in Frau C seine Ehefrau angerufen, sie zum gemeinsamen Besuch beim Anwalt aufgefordert und mit ihr den Antrag auf Scheidung eingereicht habe. Er sei sich bewusst, dass er damit von der bis dahin nach Außen vertretenen Haltung abrücke. B wolle nun auf eine Ehelichung mit Frau C zugehen. Frau C habe ihrerseits gegenüber Pfarrer A erklärt, dass das auch von ihr betriebene Scheidungsverfahren ihrer Ehe noch nicht abgeschlossen sei. B und sie seien jetzt ein Paar und wollten ihre Zukunft gemeinsam gestalten.“ (DiszA Bl. 72). Pfarrer A forderte daraufhin in getrennten Schreiben vom 22. Mai 1999 die beiden Zeugen zu einem Gespräch auf, unterrichtete sie aber nicht darüber, dass das Presbyterium bereits 2 Tage vorher beschlossen hatte, sie vorläufig vom Abendmahl auszuschließen. Die beiden Zeugen waren zu einem Gespräch nicht bereit. Der Zeuge B teilte dem Pfarrer A mit Schreiben vom 22. Mai 1999 mit, er teile nicht die Meinung, dass „... die Gemeindeleitung seelsorgerlich tätig werden müsste...“ und bat, ihm den Presbyteriumsbeschluss mitzuteilen, wenn „... die Abfolge der Dinge... auf ein Kirchenzuchtsverfahren hinauslaufen ...“ sollte. Die Zeugin C gab in ihrem Schreiben vom 24. Mai 1999 ebenfalls nicht ihr Einverständnis zu einem weiteren Gespräch, sondern wies ausdrücklich darauf hin, dass Pfarrer A dem Gebot seelsorgerlicher Verschwiegenheit unterliege. Mit getrennten Schreiben vom 1. Juni 1999 forderten Pfarrer A und die Presbyterin die beiden Zeugen nochmals zu einem Gespräch auf, das wegen „...der seelsorgerlichen Vertraulichkeit...“ zu Dritt stattfinden sollte. Auch in diesem Brief wiesen die Absender die Zeugen nicht auf den Presbyteriumsbeschluss vom 20. Mai 1999 hin. Die Zeugen äußerten sich auf dieses Schreiben nicht mehr. Pfarrer A teilte beiden Zeugen in getrennten Schreiben vom 10. Juni 1999 daraufhin mit, dass der Gemeinde im Gottesdienst eine Entscheidung mitzuteilen sei, weil Beide das Gespräch verweigert hätten. Mit getrennten Schreiben vom 13. Juni 1999 gaben Pfarrer A und die Presbyterin den beiden Zeugen den Beschluss des Presbyteriums vom 20. Mai 1999 über den vorläufigen Ausschluss vom Abendmahl bekannt und fügten hinzu, dass eine Beschwerderegelung „...im Hinblick auf ein Verfahren nach HK 82 bis 85 in unserer Kirchenordnung...“ nicht gegeben sei.
Im Gottesdienst vom 27. Juni 1999 kündigte Pfarrer A den Presbyteriumsbeschluss vom 20. Mai 1999 ab. Es heißt insoweit wörtlich:
„Das Presbyterium hat beschlossen, Frau C ... und Herrn B... vorläufig von der Teilnahme am Heiligen Abendmahl auszuschließen. Dieser Beschluss tritt mit dieser Ankündigung heute – am 27.06.1999 - in Kraft.“ (Bl. 89 DiszA).
Beide Zeugen waren mit Familienangehörigen in dem Gottesdienst anwesend. Sie wurden von der Abkündigung überrascht; sie hatten zu diesem Zeitpunkt damit nicht gerechnet, weil Pfarrer A an diesem Sonntag planmäßig an einer Kinderfreizeit teilnehmen sollte. Er war jedoch nur zu dem Zweck angereist, den Beschluss selbst abkündigen zu können. Die Zeugen beschwerten sich beim Landeskirchenamt. Dieses hob mit Beschluss vom 31. August 1999 den Presbyteriumsbeschluss vom 20. Mai 1999 zu Nr. 1.2 und 1.3 über den Ausschluss vom Abendmahl auf, weil die Kirchenzucht in der Landeskirche nicht mehr anwendbar sei.
II.
Diesen Sachverhalt hat der Disziplinarhof aufgrund der Einlassung des Pfarrers A, der bei den Akten befindlichen Urkunden sowie aufgrund der Bekundungen der beiden Zeugen festgestellt. Die vor dem Presbyteriumsbeschluss vom 20. Mai 1999 mit beiden Zeugen jeweils geführten Gespräche und deren wesentlichen Inhalt hat Pfarrer A eingeräumt. Zu seiner Verteidigung trägt er vor, er habe sich rechtmäßig verhalten, als er am 20. Mai 1999 das Presbyterium über den Inhalt der mit den Zeugen geführten Gespräche informierte und am 27. Juni 1999 den Beschluss über den Abendmahlsausschluss und die von ihm formulierte Begründung abkündigte. Er behauptet, er habe die beiden Zeugen zu Beginn der Gespräche ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie Grundlage eines Kirchenzuchtsverfahrens sein könnten. Der Disziplinarhof ist aufgrund der Bekundungen der beiden Zeugen jedoch davon überzeugt, dass Pfarrer A einen solchen Hinweis nicht erteilt hat.
Der Zeuge B hat sein freundschaftliches und durch die Mitarbeit in der Gemeinde geprägtes Verhältnis zu Pfarrer A umfassend geschildert, so wie Pfarrer A es selbst vorher schon dargestellt hatte. Er hat auch den oben festgestellten Inhalt der beiden Gespräche eingehend bekundet und dabei insbesondere ausgesagt, Pfarrer A habe ihn nicht darüber aufgeklärt, dass die Gespräche auch dem Zweck dienten, Tatsachen für ein Kirchenzuchtsverfahren zu ermitteln. Pfarrer A habe keine Konsequenzen des von ihm – dem Pfarrer – missbilligten Verhaltens angedeutet. Wenn er das getan hätte, hätte der Zeuge – wie er ausdrücklich bekundete – nichts gesagt und auf einer schriftlichen Protokollierung bestanden. Der Zeuge konnte sich – auf Vorhalt von Pfarrer A – nicht daran entsinnen, dass dieser auf eine Beteiligung des Presbyteriums hingewiesen habe. Der Zeuge konnte sich zwar daran entsinnen, dass die im Jahre 1996 geänderte Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland Gegenstand der Erörterungen im Theologischen Ausschuss der Gemeinde war. Er konnte sich aber nicht mehr daran entsinnen, dass die Ausschussmitglieder in diesem Zusammenhang auch die Problematik der Geltung des Kirchenzuchtsverfahrens erörtert haben.
Auch die Zeugin C hat den Inhalt der beiden mit ihr geführten Gespräche so geschildert, wie Pfarrer A ihn dargestellt hatte und wie er oben festgestellt worden ist. Sie hat – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Einlassung des Pfarrers – bekundet, dass Frau A Anstoß an ihrem Verhalten zu dem Zeugen B genommen und deshalb schon im Februar 1999 ein Gespräch mit dem Zeugen geführt hatte. Abweichend von der Einlassung des Pfarrers A hat aber auch sie bekundet, dass der Pfarrer sie nicht darüber aufgeklärt hat, dass die Gespräche der Einleitung eines Kirchenzuchtsverfahrens dienen könnten. Sie habe zwar davon gewusst, dass im Heidelberger Katechismus ein solches Verfahren vorgesehen sei, dass es aus der Kirchenordnung aber gestrichen worden sei. Ein tatsächlich betriebenes Kirchenzuchtsverfahren habe aber, wie sie wörtlich sagte, „...außerhalb meines evangelischen Begriffsvermögens...“ gestanden. Sie habe beide Gespräche als seelsorgerliche Gespräche verstanden und deshalb zumindest in dem als sehr vertrauensvoll empfundenen ersten Gespräch – wie sie ebenfalls wörtlich bekundete – darin „...ihr Herzblut gegeben...“. Pfarrer A habe ihr mit Schreiben vom 26. März 1999 auch für „...ein so offenes Gespräch ...“ gedankt. Er habe sie wegen ihres Verhältnisses zu Herrn B eindringlich ermahnt, habe aber von einer Beteiligung des Presbyteriums an einem irgendwie gearteten Verfahren nicht gesprochen. Die Zeugin hat weiter bekundet, während beider Gespräche habe sie sich wiederholt dessen versichern wollen, dass Pfarrer A die seelsorgerliche Verschwiegenheit wahren werde. Er habe aber darauf keine Antwort gegeben, das Gespräch aber auch nicht abgebrochen oder sie belehrt.
Beide Zeugen sind glaubwürdig. Sie haben ihre Bekundungen ruhig und klar geschildert. Eine Feindschaft gegen Pfarrer A, die den Wahrheitsgehalt ihrer Bekundungen hätte beeinträchtigen können, war zu keiner Zeit erkennbar. Beide sind durch ihre berufliche Ausbildung auch darin erfahren, ihre Erlebnisse distanziert und objektiv zu schildern. Herr B ist ein promovierter technischer Angestellter, der – in seiner Vernehmung erkennbar – sehr nüchtern berichtete und argumentierte. – Die Zeugin C hat Theologie studiert und ist deshalb ebenso gewohnt, eine objektivierende Sprache zu benutzen.
Die Bekundungen der Zeugen sind auch in sich glaubhaft. Sie stimmen weitgehend mit den Einlassungen des Pfarrers A überein; nur bei dem wesentlichen Punkt, ob Pfarrer A die Zeugen darüber unterrichtet hat, dass die Gespräche auch der Einleitung eines Kirchenzuchtsverfahren dienen könnten, weichen sie von der Einlassung des Pfarrers ab. Der Disziplinarhof ist davon überzeugt, dass hierzu die von den Zeugen gegebene Darstellung, nicht aber die Einlassung des Pfarrers richtig ist. Denn außer der oben geschilderten glaubwürdigen Persönlichkeit beider Zeugen spricht die innere Glaubwürdigkeit der Bekundungen für deren Richtigkeit. Denn es ist glaubhaft, dass beide Zeugen Pfarrer A von dem zerbrochenen Zustand ihrer Ehen und ihrem Verhältnis zuein-ander nichts gesagt hätten, wenn dieser sie gehörig über den Zweck der Gespräche aufgeklärt hätte. Das ist ihren Bekundungen mit Sicherheit zu entnehmen. Herr B hätte, wie er ausdrücklich sagte, auf einer Protokollierung des Gespräches bestanden; die Zeugin C hätte mit Sicherheit nicht „...ihr Herzblut...“ in dem ersten Gespräch gegeben, wenn Pfarrer A sie aufgeklärt hätte. Auch die von ihr geschilderte Überzeugung, es habe sich „... um vertrauensvolle seelsorgerliche Gespräche...“ gehandelt, spricht dagegen, dass Pfarrer A sie aufgeklärt hat. – Im Übrigen haben beide Zeugen in ihren an das Landeskirchenamt gerichteten Schreiben vom 25. Oktober 1999 auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich auf die Gespräche nicht eingelassen hätten, wenn Pfarrer A auf ein beabsichtigtes Kirchenzuchtsverfahren hingewiesen hätte. – Letztlich gibt auch das Schreiben des Pfarrers A und der Presbyterin an die Zeugin C vom 1. Juni 1999 einen Hinweis darauf, dass der Pfarrer die Zeugen über den Zweck der Gespräche nicht aufgeklärt hat. Denn in diesem Schreiben fordern der Pfarrer und die Presbyterin die Zeugin zu einem Gespräch zu Dritt auf, um – wie es wörtlich heißt - : „... ein Höchstmaß an biblisch gebotener seelsorgerlicher Vertraulichkeit zu schützen...“. Pfarrer A hätte, wenn er die Zeugen schon vorher eindeutig über den auch dem Kirchenzuchtsverfahren dienenden Charakter der Gespräche aufgeklärt hätte, hier nicht von einer „... seelsorgerlichen Vertraulichkeit...“ sprechen können. Auch in den getrennten Schreiben an beide Zeugen vom 10. Juni 1999 hat Pfarrer A nicht auf das mit dem Presbyteriumsbeschluss vom 20. Mai 1999 abgeschlossene Kirchenzuchtsverfahren hingewiesen, sondern nur mitgeteilt, er habe den Auftrag „...der Gemeinde im Gottesdienst eine Entscheidung mitzuteilen...“. Erst mit dem getrennten Schreiben an beide Zeugen vom 13. Juni 1999 haben Pfarrer A und die Presbyterin beiden Zeugen den Presbyteriumsbeschluss über den vorläufigen Ausschluss vom Abendmahl mitgeteilt und sie damit von dem Verfahren und seinem Abschluss in Kenntnis gesetzt. Vorher hat Pfarrer A das nach dem Vorliegen der Urkunden nicht getan. Seine Einlassung, er habe die Zeugen schon bei dem jeweils ersten Gespräch darüber aufgeklärt, dass diese Gespräche auch der Einleitung eines Kirchenzuchtsverfahrens dienten, ist deshalb zur Überzeugung des Disziplinarhofes widerlegt.
III.
Durch den so festgestellten Sachverhalt hat Pfarrer A sich einer vorsätzlichen Amtspflichtverletzung nach § 2 Abs. 1 DiszG i. V. mit § 37 Abs. 1 PfDG und Art. 71 Abs. 1 KiO schuldig gemacht. Denn er hat Informationen, die er von den Zeugen in seelsorgerlichen Gesprächen erhalten hat, vorsätzlich am 20. Mai 1999 dem Presbyterium und am 27. Juni 1999 durch die Abkündigung der gesamten Gemeinde offenbart.
Die Rüge der Verteidigung ist unbegründet, das Disziplinarverfahren sei nach § 2 Abs. 4 DiszG unzulässig. Denn Verfahrensgegenstand ist nicht der Vorwurf, Pfarrer A sei in der Verkündigung oder der Lehre vom Bekenntnis der Kirche abgewichen; Verfahrensgegenstand ist vielmehr nur der Vorwurf, er habe bei der Beratung im Presbyterium vor dem Beschluss vom 20. Mai 1999 und bei der Abkündigung vom 27. Juni 1999 Tatsachen offenbart, die der seelsorgerlichen Schweigepflicht unterlagen.
Die Vorschrift des § 37 Abs. 1 PfDG begründet die seelsorgerliche Schweigepflicht. Art. 71 KiO begründet eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht über alle Angelegenheiten, die dem Pfarrer in der Ausübung seines Dienstes bekannt werden und ihrer Natur nach oder infolge besonderer Anordnung vertraulich sind. Die im § 37 Abs. 1 PfDG begründete seelsorgerliche Schweigepflicht ist also eine im Art. 71 KiO ebenfalls enthaltene Regelung für seelsorgerliche Gespräche.
Diese seelsorgerliche Schweigepflicht hat Pfarrer A gegenüber beiden Zeugen verletzt. Aus den beiden jeweils einzeln mit beiden Zeugen geführten Gesprächen hatte Pfarrer A erfahren, dass beide an ihren jeweiligen Ehen nicht festhalten wollten und – wie die Zeugin C ihm ausdrücklich sagte - miteinander „ein Paar“ seien. Zumindest diese inneren, nur beiden Zeugen allein betreffenden Tatsachen waren vor dem Gespräch weder dem Presbyterium noch der Gemeinde bekannt. Pfarrer A hatte sie allein von den beiden Zeugen in den Gesprächen erfahren. Er hat in der von ihm formulierten Abkündigung vom 27. Juni 1999 selbst mitgeteilt, was die beiden Zeugen ihm erklärt hatten, nämlich dass sie ausdrücklich nicht an ihren Ehen festhalten wollten, sondern ein Paar seien und auf eine gemeinsame Ehe zugehen wollten.
Diese von den Zeugen ihm offenbarten Tatsachen hat Pfarrer A erstmals in den Beratungen des Presbyteriums, die dem Beschluss vom 20. Mai 1999 vo-rausgingen, den Presbytern und später in der Abkündigung vom 27. Juni 1999 der gesamten Gemeinde offenbart. Der mitgeteilte Inhalt der mit den Zeugen geführten Gespräche unterlag jedoch dem Gebot seelsorgerliche Verschwiegenheit. Denn die oben festgestellten vier Gespräche, die Pfarrer A mit den beiden Zeugen geführt hat, waren seelsorgerliche Gespräche. Grundsätzlich spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass amtliche Gespräche eines Pfarrers mit einem Gemeindemitglied seelsorgerliche Gespräche sind. Diese Vermutung wird im vorliegenden Fall dadurch bestätigt, dass der Gegenstand der Gespräche der von Pfarrer A erhobene, theologisch begründete Vorwurf war, die Zeugen verstießen gegen göttliches Gebot, wenn sie nicht an ihren Ehen festhielten, sondern eine neue gemeinsame Verbindung eingehen wollten. Auf diesem Vorwurf beruhten auch Ermahnungen, die Pfarrer A beiden Zeugen in den Gesprächen erteilte. Die seelsorgerliche Schweigepflicht bestand auch gegenüber dem Zeugen B. Insoweit weicht der Disziplinarhof von der im erstinstanzlichen Urteil dargestellten rechtlichen Würdigung ab. Denn entscheidend ist allein, dass auch Herr B den Pfarrer A in dem seelsorgerlichen Gespräch die Situation seiner Ehe und die Absicht, mit der Zeugin eine neue Verbindung einzugehen, offenbarte. Nicht entscheidend ist es dagegen, ob Pfarrer A diesen Sachverhalt möglicherweise schon früher aus Berichten seiner Frau über das Gespräch, das sie im Februar 1999 mit dem Zeugen B geführt hatte, oder auch sonst aus der zwischen beiden bestehenden Freundschaft wusste. Schutzgegenstand der seelsorgerlichen Schweigepflicht ist nämlich das seelsorgerliche Gespräch selbst und das damit grundsätzlich verbundene Vertrauen in die Verschwiegenheit des Pfarrers, nicht aber die Kenntnis des Pfarrers von bestimmten Tatsachen. Die Schweigepflicht ist deshalb nicht aufgehoben, wenn Gesprächs-gegenstand Tatsachen sind, die der Pfarrer aus anderen Quellen bereits kennt. Der Disziplinarhof ist auch nicht gehindert, das Verhalten gegenüber dem Zeugen B in das Verfahren wieder einzubeziehen. Denn die dem Pfarrer A vorgeworfene Amtspflichtverletzung bildet eine rechtliche Einheit, die den gesamten im vorliegenden Verfahren vorgeworfenen Sachverhalt betrifft.
Pfarrer A meint, die Offenbarung der ihm in den Gesprächen von den beiden Zeugen mitgeteilten Tatsachen sei gerechtfertigt, weil das Presbyterium ein zu-lässiges Kirchenzuchtsverfahren gegen die Zeugen betrieben habe; nur im Rahmen dieses Verfahrens habe er die Tatsachen offenbart. Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden. Sie kann einen Freispruch nicht begründen.
Zwar wird man annehmen müssen, dass eine seelsorgerliche Schweigepflicht für solche Mitteilungen nicht besteht, die der Pfarrer befugtermaßen von seinem Gesprächspartner zur Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen in einem kirchenrechtlich geordneten Kirchenzuchtsverfahren verlangt und die dieser ihm daraufhin in Kenntnis des Verfahrens mitteilt (vgl. Urteil des Disziplinarhofs der EKU - 1. Senat - vom 09.10.1981 mit Anm. Stein in Zeitschrift für Kirchenrecht 1982 S. 84 ff, 87 für den umgekehrten Fall, dass der Dienstvorgesetzte mit einem Pfarrer ausdrücklich ein seelsorgerliches Gespräch führt und der Pfarrer darin einen disziplinarrechtlich erheblichen Sachverhalt verschweigt; vgl. auch Urteil des Senats für Amtszucht der VELKD vom 6. 12. 1969 in ABl. VELKD 1970 Band III Stück 9 S. 13 ff für den Fall, dass ein Pfarrer seinem Bischof in einer nicht als Dienstgespräch gekennzeichneten Aussprache eine Amtspflichtverletzung verschweigt). In dem zuletzt zitierten Urteil heißt es wörtlich (S. 15): „ Es hat ja auch jeder Dienstvorgesetzte die Möglichkeit zu einem dienstrechtlichen Gespräch, er muss dies dem Untergebenen nur vorher eindeutig vorhalten, damit dieser nicht irrtümlich annimmt, es handle sich um eine seelsorgerliche amtsbrüderliche Aussprache...“. Stein (in Pastoraltheologie 75 Jg. (1986) S. 84 ff) führt zur Unterscheidung von Dienstgesprächen und seelsorgerlichem Gespräch u. a. aus (S. 89), dass der Dienstvorgesetzte, der mit einem Pfarrer ein Dienstgespräch mit dem Ziel führen will, dass er die darin offenbarten Tatsachen z. B. einem zur Entscheidung befugten Kollegium vortragen wird, dieses von vornherein klarstellen muss. Der Dienstvorgesetzte müsse den Zweck des Gespräches eindeutig klarmachen.
Der Disziplinarhof schließt sich dieser Rechtsansicht an. Sie ist jedoch nicht nur dann anwendbar, wenn es - wie in den zitierten Entscheidungen - um das dienstrechtliche Verhältnis des Pfarrers zu einem Dienstvorgesetzten geht, sondern auch, wenn es - wie hier – um das Verhältnis des Pfarrers zu einem Gemeindemitglied in einem kirchenrechtlich geordneten Kirchenzuchtsverfahren geht. Die dem Gemeindemitglied drohende Sanktion, nämlich der Ausschluss vom Abendmahl, ist mindestens so schwer wie jede einem Pfarrer im Disziplinarverfahren drohende Maßnahme, so dass in beiden Fällen die gleichen Grundsätze der Klarstellung des Verfahrens und Gesprächszwecks gelten müssen. – Im Übrigen ist das rechtliche Gebot zur Aufklärung über ein laufendes Kirchenzuchtsverfahren auch mit dem staatlichen Grundrecht des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Grundgesetz zu begründen. Denn dieses Recht ist Ausfluss der Würde der Person und soll verhindern, dass mit dem Menschen ein kurzer Prozess gemacht wird (Leibholz – Rinck, Kommentar zum Grundgesetz Art. 103 Rn 16). Dieser allgemeine Grundsatz muss auch für das kirchenrechtliche Verfahren gelten, das mit der schwerwiegenden Sanktion des Ausschlusses vom Abendmahl enden kann.
Die einleitende Dienstbehörde meint, Pfarrer A habe schon deshalb amtspflichtwidrig gehandelt, weil in der Evangelischen Kirche im Rheinland ein Kirchenzuchtsverfahren verboten sei. Der Disziplinarhof entscheidet ausdrücklich nicht, ob diese Ansicht zutrifft. Zwar hat die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland durch Kirchengesetz vom 11. Januar 1996 (KABl. S. 21 ff, 22) die Artikel 26 bis 30 der KiO aufgehoben. Die aufgehobenen Artikel enthielten ein Kirchenzuchtsverfahren mit der Sanktionsmöglichkeit des Ausschlusses vom Abendmahl. Es ist jedoch zweifelhaft, ob dadurch – wie die einleitende Dienstbehörde meint – ein Verbot eines solchen Verfahrens jedenfalls für die Gemeinden, die dem reformierten Bekenntnis folgen, statuiert ist. Denn Grundartikel II Abs. 3 Halbsatz 2 KiO bestimmt unverändert weiter: „In Gemeinden, die dem reformierten Bekenntnis folgen, gilt der Heidelberger Katechismus“. Dieser bestimmt in den Fragen 85 ff jedoch eingehend ein Bußzuchtsverfahren, das mit dem Ausschluss vom Abendmahl enden kann. Weil Grundartikel II Abs. 3 Halbsatz 2 KiO zur Geltung des Heidelberger Katechismus keine Einschränkung enthält, ist die Annahme gerechtfertigt, dass auch die dort festgelegten Bestimmungen zur Kirchenzucht fortgelten. Dieser Konsequenz kann auch nicht – entgegen der von dem Vertreter der Einleitungsbehörde in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht – mit dem Argument ausgewichen werden, der Heidelberger Katechismus sei eine Bekenntnisschrift, nicht aber eine Rechtsvorschrift. Jedenfalls enthalten die in den Fragen 85 ff HK niedergelegten Bestimmungen ein rechtlich geordnetes Verfahren, das zum Ausschluss vom Abendmahl führen kann. Der Disziplinarhof vertritt deshalb die Ansicht, dass es eine von der Synode zu entscheidende theologische Frage ist, ob die ersatzlose Streichung der Artikel 26 ff KiO auch eine Einschränkung der Geltung des Heidelberger Katechismus dahin enthält, dass die Durchführung eines Kirchenzuchtsverfahrens verboten ist. Weil diese Frage nicht eindeutig entschieden ist, unterstellt der Disziplinarhof im vorliegenden Verfahren zugunsten des Pfarrers A, dass die Fragen 85 ff HK weiter gelten, also ein Kirchenzuchtsverfahren in Gemeinden reformierten Bekenntnisses nicht verboten ist.
Gleichwohl hat Pfarrer A sich durch den festgestellten Sachverhalt nach den oben dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen einer Amtspflichtverletzung schuldig gemacht. Denn er hätte die ihm in den vier Gesprächen von den beiden Zeugen offenbarten Tatsachen nur dann im Kirchenzuchtsverfahren dem Presbyterium und der ganzen Gemeinde kundgeben dürfen, wenn er die Zeugen vorher auf dieses Verfahren und den mit den Gesprächen auch verfolgten Zweck, für dieses Verfahren entscheidungserhebliche Tatsachen zu ermitteln, deutlich hingewiesen hätte. Das aber hat Pfarrer A, wie aus den oben dargelegten Gründen zur Überzeugung des Disziplinarhofs festgestellt ist, nicht getan.
Der Pfarrer kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe nicht gewusst, dass er den Zeugen das von ihm angestrebte Kirchenzuchtsverfahren und den Zweck der Gespräche auch zur Ermittlung dafür entscheidungserheblicher Tatsachen habe offenbaren müssen. Dieses Nichtwissen würde lediglich einen Verbotsirrtum enthalten, der den Vorwurf vorsätzlichen Handelns nicht ausschließen würde. Denn der Irrtum war nicht unvermeidbar. Der Pfarrer wusste, dass die das Kirchenzuchtsverfahren betreffenden Artikel 26 ff KiO ersatzlos aufgehoben und wegen der Geltung des Heidelberger Katechismus eine unklare Rechtslage entstanden war. Er musste deshalb, ehe er ein solches Verfahren gegen die Zeugen einleitete, Erkundigungen über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bei seinen Dienstvorgesetzten einholen. Das hat er nicht getan. Hätte er pflichtgemäß nachgefragt, hätte er die Auskunft erhalten, dass die Kirchenleitung von einem Verbot des Kirchenzuchtsverfahren ausgehe. Wenn er daraufhin seine Absicht offenbart hätte, gleichwohl wegen der uneingeschränkten Geltung des Heidelberger Katechismus das Kirchenzuchtsverfahren gegen den Zeugen durchzuführen, hätte der Dienstvorgesetzte ihm jedenfalls die Auskunft erteilt, dass er diese Absicht den Zeugen bei Beginn des ersten Gespräches eindeutig hätte offenbaren müssen.
Der Pfarrer A hat seine seelsorgerliche Schweigepflicht also vorsätzlich verletzt, weil er alle Tatsachen kannte und er die zumutbare Erkundigungspflicht bei seinen Dienstvorgesetzten über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens nicht eingehalten hat. Die Disziplinarkammer hat also zurecht eine Disziplinarmaßnahme gegen Pfarrer A verhängt.
Der verhängte Verweis ist nach § 25 Abs. 1 DiszG die geringste Maßnahme und kann schon aus diesem Grunde nicht vermindert werden. Eine sonstige Änderung der Maßnahme kam nicht in Betracht, weil nur Pfarrer A die Berufung eingelegt hat und nach § 87 Abs. 1 DiszG deshalb jegliche Änderung zu seinen Ungunsten unzulässig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 DiszG.