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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 24.01.2011 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD I-0124/S22-10 |
Rechtsgrundlage: | MVG.K § 35 Abs. 1 Satz 1 (= MVG.EKD § 34 Abs. 1 Satz 1) MVG.K § 36 Abs. 1 Satz 1 (= MVG.EKD § 35 Abs. 1 Satz 1) MVG.K § 40 Nr. 4 und 5 (= MVG.EKD § 40 Buchstabe d)) |
Vorinstanzen: | Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover und Oldenburg Kammer Diakonisches Werk Oldenburg, Sl-17/09 |
Schlagworte: | Arbeitszeit, Informationsrecht, allgemeine Aufgaben der Mitarbeitervertretung |
Leitsatz:
1. Der Unterrichtungsanspruch nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.K (= § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) ist gegeben, wenn die Mitarbeitervertretung die begehrte Unterrichtung benötigt, um zumindest prüfen zu können, ob sich für sie Aufgaben i.S. des Mitarbeitervertretungsrechts ergeben, und ob sie zur Wahrnehmung einer solchen Aufgabe tätig werden muss oder will; die Grenze des Auskunftsanspruchs liegt dort, wo ein Beteiligungsrecht offenkundig nicht in Betracht kommt (KGH.EKD in ständiger Rechtsprechung, Beschluss vom 12. Juli 2010 - I-0124/R82-09- ZMV 2010, 319; Beschluss vom 29. Mai 2006 - II-0124/M6-06 - ZMV 2006, 306 m.w.N.).
2. Scheidet aus, dass ein Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung offenkundig nicht in Betracht kommt, so ist der Unterrichtungsanspruch begründet, wenn ein entsprechender allgemeiner Unterrichtungsbedarf der Mitarbeitervertretung vorliegt; auf einen aktuellen Anlass oder gar ein zu vermutendes oder vermutetes Fehlverhalten der Dienststellenleitung kommt es insoweit nicht an.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover und Oldenburg - Kammer Diakonisches Werk Oldenburg - vom 21. Januar 2010, Az.: Sl-17/09, abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, der Antragstellerin Einsicht in die elektronisch erfassten Arbeitszeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflege- und Betreuungsdienst durch Einräumung von Leserechten, hilfsweise durch Aushändigung von Ausdrucken, zu gewähren.
Gründe:
I. Die Mitarbeitervertretung begehrt mit ihrem am 7. Dezember 2009 (Fax) eingereichten Antrag die Feststellung, dass die Dienststellenleitung Einsicht in die elektronisch erfassten Arbeitszeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflege- und Betreuungsdienst durch Einräumung von Leserechten, hilfsweise durch Aushändigung von Ausdrucken, zu gewähren. Die Schlichtungsstelle hat den Antrag durch ihren Beschluss vom 21. Januar 2010 abgewiesen, weil für das Begehren keine Rechtsgrundlage gegeben sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Mitarbeitervertretung. Sie macht - zusammengefasst - geltend, ihr Begehren beruhe auf § 35 MVG.K. Sie benötige die Einsicht in die elek-tronisch erfassten Arbeitszeiten, um feststellen zu können, ob hinsichtlich der Arbeitszeit, die auch dem Schutz der Mitarbeiter dient, die Vorschrift des § 106 GewO und die arbeitszeitrechtlichen Vorschriften eingehalten würden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt ihres Schriftsatzes vom 9. April 2010 Bezug genommen.
Sie beantragt,
den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover und Oldenburg Kammer Diakonisches Werk Oldenburg - vom 21. Januar 2010 - Az.: SI 17/09 abzuändern und festzustellen, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, der Antragstellerin Einsicht in die elektronisch erfassten Arbeitszeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflege- und Betreuungsdienst durch Einräumung von Leserechten, hilfsweise durch Aushändigung von Ausdrucken, zu gewähren.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie macht geltend, es fehle an jeder Begründung, weshalb die Mitarbeitervertretung die Informationen benötige. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Dienststellenleitung vom 25. Mai 2010 Bezug genommen.
Der Senat hat die Beschwerde durch seinen Beschluss vom 29. Dezember 2010 zur Entscheidung angenommen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Das begehrte Einsichtsrecht steht der Mitarbeitervertretung nach § 35 Abs. 1 MVG.K (= § 34 Abs. 1 MVG.EKD) zu. Dies hat die Vorinstanz verkannt.
1. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.K (= § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) ist die Mitarbeitervertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.
a) Der Unterrichtungsanspruch nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.K (= § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) ist gegeben, wenn die Mitarbeitervertretung die begehrte Unterrichtung benötigt, um zumindest prüfen zu können, ob sich für sie Aufgaben i.S. des Mitarbeitervertretungsrechts ergeben, oder ob sie zur Wahrnehmung einer solchen Aufgabe tätig werden muss oder will; die Grenze des Auskunftsanspruchs liegt dort, wo ein Beteiligungsrecht offenkundig nicht in Betracht kommt (KGH.EKD in ständiger Rechtsprechung, Beschluss vom 12. Juli 2010 - I-0124/R82-09 - ZMV 2010, 319; Beschluss vom 29. Mai 2006 - II-0124/M6-06 - ZMV 2006, 306 m.w.N.). Scheidet aus, dass ein Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung offenkundig nicht in Betracht kommt, so ist der Unterrichtungsanspruch begründet, wenn ein entsprechender allgemeiner Unterrichtungsbedarf die Mitarbeitervertretung vorliegt; auf einen aktuellen Anlass oder gar ein zu vermutendes oder vermutetes Fehlverhalten der Dienststellenleitung kommt es insoweit nicht an (vgl. zu § 80 BetrVG: BAG, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 ABR 84/06 - AP Nr. 69 zu § 80 BetrVG 1972).
b) Der Unterrichtungsanspruch zeigt je nach Lage des Falles unterschiedliche Ausprägungen auf. Eine Ausprägung besteht darin, dass die Dienststellenleitung von sich aus der Mitarbeitervertretung rechtzeitig und umfassend Informationen über die Angelegenheiten erteilt, die ein Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung zur Folge haben. Eine andere besteht darin, dass die Mitarbeitervertretung berechtigt ist, von der Dienststellenleitung Informationen zu verlangen, um prüfen zu können, ob und inwieweit ein Tätigwerden der Mitarbeitervertretung im Rahmen der ihr mitarbeitervertretungsgesetzlich obliegenden Zuständigkeit und Aufgaben erforderlich oder geboten ist. Letzte Ausprägung betrifft insbesondere die Fälle, in denen die Mitarbeitervertretung zu prüfen hat, ob sie im Interesse der Förderung der beruflichen, wirtschaftlichen Belange der Mitarbeiter (§ 36 Abs. 1 Satz 1 MVG.K = § 35 Abs. 1 Satz 1 EKD) tätig werden muss, soll oder kann.
c) Die Erteilung derartiger Informationen kann ebenfalls unterschiedlich erfolgen, z.B. durch Übergabe von Unterlagen oder durch Einsichtsrechte der Mitarbeitervertretung in elektronische Aufzeichnungen. Beide Wege kommen als Methoden der vertrauensvollen Zusammenarbeit gleichermaßen in Betracht.
2. Zu diesen Belangen i. S. des § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.K (= § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) zählen auch die Einhaltung des § 106 Abs. 1 GewO sowie die Einhaltung der die Arbeitszeit der Mitarbeiter betreffenden Vorschriften in den allgemeinen oder speziellen Arbeitsvertragsregelungen und im Gesetz, vor allem im Arbeitszeitgesetz. Hinzu kommen die Beteiligungsrechte nach § 40 Nr. 4 und 5 MVG.K hinsichtlich der Lage und Dauer der täglichen Arbeitszeit und der Aufstellung von Grundsätzen über die Dienstplangestaltung. Der Mitarbeitervertretung muss Kenntnis von den tatsächlichen Arbeitszeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, um erkennen zu können, ob zu deren Gunsten bestehende Regelungen durch die von der Dienststellenleitung zu verantwortende Arbeitszeitgestaltung eingehalten werden, oder ob Anlass besteht, zu deren Gunsten bei der Dienststellenleitung vorstellig zu werden.
Dem Informationsinteresse und -anspruch der Mitarbeitervertretung ist nicht schon dadurch entsprochen, dass ihr - wie die Dienststelle behauptet - die Dienstpläne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflege und Betreuungsdienst zugänglich sind. Entscheidend für die Wahrung der Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist nicht allein der Dienstplan, sondern auch die tatsächliche Dauer und Lage der täglichen Arbeitsleistung: Sie lasse sich nur aus den tatsächlich geführten Arbeitszeitaufzeichnungen erkennen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).