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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:29.10.2002
Aktenzeichen:VerwG.EKD II-0124/F40-01
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 19 Abs. 2 , § 20
Vorinstanzen:Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg e.V., Az.: I-37/01; Fundstelle: Die Mitarbeitervertretung 1/03, S. 32; Neue Zeitschrift Arbeitsrecht 20/03, S. 1163; Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 2003, S.31
Schlagworte:Mehrgliedrige Dienststelle - Bezeichnung der Mitarbeitervertretung - Wohnungsvergabe
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Leitsatz:

Die Teilnahme der teilfreigestellten Mitglieder der Mitarbeitervertretung an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung hat in die Zeit der jeweiligen Teilfreistellung zu fallen.

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der beteiligten Dienststelle wird der Beschluss der Schiedsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg e.V. vom 16. Oktober 2001 - Az.: I-37/01 - abgeändert.
2. Der Antrag zu 1 ist erledigt.
3. Es wird festgestellt, dass die Teilnahme der nach § 20 MVG.EKD freigestellten Mitglieder der beteiligten Mitarbeitervertretung an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung in die Freiräume der Freistellungen zu fallen hat.
4. Von einer Kostenentscheidung wird abgesehen.
5. Der Verfahrenswert wird auf 4.000,- € festgesetzt.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtszug darüber, ob die Teilnahme der teilfreigestellten Mitglieder der beteiligten Mitarbeitervertretung an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung in die Zeit der Freistellung zu fallen hat. Im ersten Rechtszug hatte die antragstellende Dienststelle zudem die Feststellung begehrt, dass die Teilnahme der teilfreigestellten Mitarbeitervertretungsmitglieder Frau D und Herr E an bestimmten regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung außerhalb der jeweiligen Freistellungszeit rechtswidrig gewesen sei, weil diese hierfür Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD in Anspruch genommen hätten.
Die regelmäßigen Sitzungen der beteiligten Mitarbeitervertretung finden donnerstags statt und nehmen etwa 5 Stunden Zeit in Anspruch. Die Teilfreistellung von Herrn E mit 50 % der regelmäßigen Vollarbeitszeit fiel nicht auf die Donnerstage. Frau D war an den Donnerstagen für acht Stunden freigestellt.
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, die regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung müssten in der Zeit der Freistellungen durchgeführt werden. Für eine darüber hinausgehenden Arbeitsbefreiung habe keine Notwendigkeit bestanden; jedenfalls sei dies nicht dargelegt worden. Sie hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Teilnahme der Mitglieder der Mitarbeitervertretung Herrn E und Frau D an den Sitzungen vom 5., 12., 19. Juli und 2. und 8. August 2001 unter Inanspruchnahme zusätzlicher Freistellungszeiten über die Regelfreistellungszeit hinaus rechtswidrig gewesen sei;
2. festzustellen, dass die regelmäßige Inanspruchnahme arbeitsfreier Zeit im Sinne des § 19 Abs. 2 MVG.EKD durch Mitglieder der Mitarbeitervertretung zur Teilnahme an routinemäßig stattfindenden MAV-Sitzungen außerhalb der Freistellungszeit nach § 20 MVG.EKD rechtswidrig sei.
Die beteiligte Mitarbeitervertretung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, nicht sie habe darzulegen, dass die Notwendigkeit der Inanspruchnahme zusätzlicher Arbeitsbefreiung zwecks Teilnahme an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung vorliege, sondern die Dienststelle habe das Gegenteil vorzutragen und ggf. zu beweisen.
Die Vorinstanz hat beide Anträge zurückgewiesen. Der Beschluss vom 16. Oktober 2001 wurde der beteiligten Dienststelle am 16. November 2001 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 27. November 2001 Beschwerde eingelegt und folgende Anträge angekündigt:
1. Der Beschluss der Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg e.V. Nr. I-37/01 vom 16. Oktober 2001 wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass die Teilnahme der Mitglieder der Mitarbeitervertretung Herrn E und Frau D an den Sitzungen vom 5., 12., 19. Juli und 2. und 8. August unter Inanspruchnahme zusätzlicher Arbeitsbefreiung über die Regelfreistellungszeit hinaus rechtswidrig gewesen sei.
3. Es wird festgestellt, dass die regelmäßige Inanspruchnahme arbeitsfreier Zeit i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 1MVG.EKD durch Mitglieder der Mitarbeitervertretung zur Teilnahme an routinemäßig stattfindenden MAV-Sitzungen außerhalb der Freistellungszeit nach § 20 MVG.EKD rechtswidrig sei.
Während des Beschwerderechtszugs haben die Beteiligten eine Dienstvereinbarung vom 25. Juli 2002 geschlossen, wonach 5 Mitglieder der Mitarbeitervertretung für 50 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit freigestellt sind; für die Dauer jeweils eines Geschäftsjahres hat der Vorstand der Dienststelle ein zusätzliches Freistellungskontingent von 42 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit genehmigt, das in der Weise genutzt wird, dass zwei Mitarbeitervertreter/innen (Herr E, Frau D) jeweils an den Sitzungstagen im Umfang von 8 Stunden zusätzlich freigestellt werden. Damit "seien von den teilfreigestellten Mitarbeitervertreter/innen alle Aufgaben aus diesem Amt in der Freistellungszeit zu bewältigen" (Ziff. 5 der Dienstvereinbarung).
Im Hinblick hierauf haben die Beteiligten das Verfahren hinsichtlich des in der Beschwerde als Antrag zu 2, in der Vorinstanz als Antrag zu 1, angekündigten Antrages das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die beschwerdeführende Dienststellenleitung wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus der Vorinstanz und meint, das Verfahren sei nicht insgesamt in der Hauptsache erledigt. Sie hat zuletzt beantragt,
den angefochtenen Beschluss abzuändern und festzustellen, dass die regelmäßige Inanspruchnahme arbeitsfreier Zeit i.S.d. § 19 Abs. 2 MVG.EKD durch Mitglieder der Mitarbeitervertretung zur Teilnahme an routinemäßig stattfindenden MAV-Sitzungen außerhalb der Freistellungszeit nach § 20 MVG.EKD rechtswidrig sei.
Die beteiligte Mitarbeitervertretung hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Auch sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vortrag der Beteiligten in beiden Rechtszügen, auf die vorgelegten Unterlagen und auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig.
1. Den Antrag zu 1 (in der Beschwerdeinstanz: Antrag zu 2) haben die Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Erledigung war im Tenor der Entscheidung deklaratorisch mitzuteilen.
2. Im übrigen ist die Beschwerde begründet.
a) Der von der Dienststellenleitung zuletzt gestellte Antrag bedarf der Auslegung. Aufgrund der Erörterung in der mündlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht stellt das Gericht fest, dass die Beteiligten nicht darüber streiten, ob teilfreigestellte Mitglieder der Mitarbeitervertretung über ihre Teilfreistellung nach § 20 MVG.EKD hinaus auch Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD in Anspruch nehmen können, sondern darüber, ob deren Teilnahme an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung in die Zeit ihrer Freistellung (§ 20 Abs. 4 MVG.EKD) zu fallen hat.
b) Mit diesem Verständnis ist der Antrag zulässig. Insoweit ist das Feststellungsinteresse durch die Dienstvereinbarung vom 25. Juli 2002 nicht beeinträchtigt worden. Insbesondere die Regelung, wonach von den teilfreigestellten Mitarbeitervertreter/innen alle Aufgaben aus diesem Amt in der Freistellungszeit "zu bewältigen sind", lässt das Feststellungsinteresse nicht entfallen. Entweder bringt die Formulierung nur eine gemeinsame Erwartungshaltung zum Ausdruck. Dann hat sie keine den vorliegenden Streit beilegende Wirkung. Oder die Formulierung soll die Rechtsfolge bezeichnen, dass die teilfreigestellten Mitglieder der beteiligten Mitarbeitervertretung wegen der Freistellung keinen Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD haben. Das aber hätte keinen rechtlichen Bestand. Nach näherer Maßgabe des § 19 Abs. 2 MVG.EKD ist den Mitgliedern der Mitarbeitervertretung die für die Tätigkeit notwendige Zeit ohne Minderung ihrer Bezüge innerhalb der allgemeinen Arbeitszeit zu gewähren, soweit die Aufgaben nicht in der Zeit der Freistellung nach § 20 MVG.EKD erledigt werden können. Diese Bestimmung steht einer Vereinbarung rechtlich entgegen, wonach bei einer, gemessen an § 20 Abs. 2 MVG.EKD überobligatorischen Teilfreistellung alle Aufgaben innerhalb der Freistellungszeit zu bewältigen sind. Von dieser gesetzlichen Bestimmung kann auch durch eine Dienstvereinbarung nicht abgewichen werden.
c) Der Antrag der Dienststellenleitung ist begründet. Die Teilnahme der teilfreigestellten Mitglieder der beteiligten Mitarbeitervertretung an deren regelmäßigen Sitzungen hat in die Zeiträume ihrer Freistellungen zu fallen.
aa) Die Vorinstanz ist - zusammengefasst - davon ausgegangen, dass die Mitglieder der Mitarbeitervertretung nicht gehalten seien, gegenüber der Dienststellenleitung zu begründen, dass die Arbeitsbefreiung zwecks Teilnahme an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung erforderlich sei, und hat mit dieser Begründung den Antrag zurückgewiesen.
bb) Dies hält der Prüfung in der Beschwerde nicht stand. Die Vorinstanz hat den abweichend vom Betriebverfassungsgesetz, das bis zu seiner Novelle 2001 eine Teilfreistellung nicht kannte, geregelten Zusammenhang zwischen der situativ bedingten Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD und der Teilfreistellung nach § 20 MVG.EKD unzureichend gewürdigt. Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD gibt es für ein teilfreigestelltes Mitglied einer Mitarbeitervertretung nur, soweit die Aufgaben nicht in der Zeit der Freistellung erledigt werden können. § 20 Abs. 4 Satz 2 MVG.EKD greift den Vorrang der Erledigung der Aufgaben in der Freistellungszeit nochmals auf, indem dort bestimmt ist: "Die Aufgaben der Mitarbeitervertretung sind vorrangig in der Zeit der Freistellung zu erledigen."
cc) Damit hat das Gesetz den Mitarbeitervertretungen, soweit es die Verteilung der Aufgaben auf teilfreigestellte Mitglieder betrifft, und diesen, soweit es die Übernahme von Mitarbeitervertretungsaufgaben betrifft, kein uneingeschränktes sachgemäßes Ermessen eingeräumt. Vielmehr muss beachtet werden, dass es zur (zusätzlichen) Arbeitsbefreiung teilfreigestellter Mitglieder einer Mitarbeitervertretung eben nur kommen soll, soweit die Aufgabe nicht in der Zeit der Freistellung erledigt werden konnte. Aus diesem Regelungszusammenhang ist zu schließen, dass auch und gerade die regelmäßigen Aufgaben eines teilfreigestellten Mitgliedes der Mitarbeitervertretung in seiner Freistellungszeit erledigt werden sollen. Dazu zählen auch die Teilnahme an den regelmäßigen Sitzungen der Mitarbeitervertretung und die Erledigung anderer "Routineaufgaben". Insoweit erfahren die während der Zeit der Teilfreistellung zu erledigenden Aufgaben ihre zeitliche Konkretisierung bereits dadurch, dass die Zeitpunkte und die Dauer der regelmäßigen Sitzungen und der sonstigen regelmäßigen Gremienveranstaltungen kalendarisch ebenso feststehen wie sehr oft die konkrete Verteilung der Teilfreistellungen auf die Arbeitswoche oder den Arbeitsmonat.
Erst wenn der Umfang der Freistellung durch die Teilnahme an den regelmäßigen Sitzungen und den notwendigen zeitlichen Aufwand zur Erledigung der sonstigen Routineaufgaben ausgeschöpft ist, hat das teilfreigestellte Mitglied einer Mitarbeitervertretung Anspruch auf Arbeitsbefreiung für die notwendige Zeit der Mitarbeitervertretungstätigkeit. Dies bedeutet auch, dass die Mitarbeitervertretung ihrerseits gehalten ist, die Aufgabenverteilung auch unter diesem Gesichtspunkt nach sachgemäßen Gesichtspunkten vorzunehmen. Daneben wird es immer einzelne Situationen geben, in denen auch bei noch so sachgerechter, auch die Belange der Dienststelle und des betroffenen Mitgliedes des Mitarbeitervertretung angemessen berücksichtigender Aufgabenverteilung eine situativ bedingte Arbeitsbefreiung erforderlich ist. Will ein teilfreigestelltes Mitglied der Mitarbeitervertretung Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD in Anspruch nehmen, weil die Freistellungszeit zur Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben nicht ausreicht, so muss es der Dienststelle mitteilen, dass es Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD in Anspruch nimmt, nicht aber, welchen Aufgaben als Mitarbeitervertreter es sich dabei widmen will.
d) Für die Frage der Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen folgt, ob die Arbeitsbefreiung für ein teilfreigestelltes Mitglied einer Mitarbeitervertretung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD erforderlich war oder nicht, kommt es darauf an, wer im gerichtlichen Verfahren welchen Anspruch verfolgt (vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach dem BetrVG: Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG 21. Aufl. 2002 § 37 Rn 253-262). Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist jedoch von der Frage, unter welchen Umstanden ein teilfreigestelltes Mitglied einer Mitarbeitervertretung der Sache nach Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD hat, deutlich zu trennen. Vorliegend kann die Frage der Darlegungs- und Beweislast dahingestellt bleiben, denn es geht hier nicht um Streit über Tatsachenfragen, sondern um ein unterschiedliches rechtliches Verständnis hinsichtlich der materiell-rechtlichen Frage des Verhältnisses von Teilfreistellung nach § 20 MVG.EKD und Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG.EKD.
III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 13 VGG.EKD, § 8 Abs. 2 BRAGO.