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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:31.01.2002
Aktenzeichen:VerwG.EKD I-0124/F37-01
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 3 Abs. 2, Abs. 3
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer in Münster, Az.: 2 M 83/01; Fundstelle: Die Mitarbeitervertretung 5/02, S. 242 u. 3/03, S. 126
Schlagworte:Wirkung und Widerruf eines sog. Verselbständigungsbeschlusses
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Leitsatz:

1. Die Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses über die mitarbeitervertretungsrechtliche Verselbständigung eines Dienststellenteiles (§ 3 Abs. 2 MVG.EKD) ist nicht auf die Dauer der Amtszeit der daraufhin zu wählenden Mitarbeitervertretung beschränkt.
2. Der Widerruf eines Verselbständigungsbeschlusses i.S. des § 3 Abs. 2 MVG.EKD bedarf der Mehrheit der dem verselbständigten Dienststellenteil angehörenden wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Tenor:

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen vom 31. Oktober 2001 - 2 M 83/01 - wird zurückgewiesen.
2. Von einer Kostenentscheidung wird abgesehen.
3. Der Gegenstandswert beträgt 8.000,-- DM.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die anstehende regelmäßige Neuwahl der Mitarbeitervertretung für die ganze Dienststelle einheitlich zu erfolgen hat, wie die beschwerdeführende Gesamtmitarbeitervertretung geltend macht, oder ob gemäß den 1994 im Einvernehmen mit der Dienststellenleitung gefassten sogenannten Verselbständigungsbeschlüssen einzelne Mitarbeitervertretungen zu bilden sind.
Die Antragstellerin ist die Dienststellenleitung des Diakonischen Werkes des Kirchenkreises und unterhält im Kirchenkreis verschiedene, darunter die nachstehend aufgeführten, Dienststellenteile mit diakonischen Zielsetzungen. Im Jahr 1994 beschlossen die wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Dienststellenteile mehrheitlich, jeweils als Dienststelle im Sinne des § 3 Abs. 2 MVG.EKD gelten zu wollen; die Dienststellenleitung stimmte dem zu. Es wurden seitdem jeweils eigene Mitarbeitervertretungen gewählt. Vier Altenheime der Dienststelle fassten keine entsprechenden Verselbständigungsbeschlüsse; sie bilden die Mitarbeitervertretung „des Diakonischen Werkes“ im Kirchenkreis A.
Die antragstellende Dienststellenleitung ist im Gegensatz zur Gesamtmitarbeitervertretung der Ansicht, dass die 1994 gefassten Beschlüsse solange Geltung über die (damalige) Amtszeit hinaus hätten, bis sie durch eine gegenteilige Entscheidung der Mitarbeitervertretung aufgehoben werden. Sie hat sinngemäß beantragt, festzustellen,
1. dass die Verselbständigungsbeschlüsse aus dem Jahre 1994 bis zu ihrem rechtskräftigen Widerruf gelten,
2. dass beim Verfahren für einen Widerruf die Mehrheit der Stimmen der zum Stichtag wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforderlich ist, um den Verselbständigungsbeschluss aufzuheben.
Die Gesamtmitarbeitervertretung hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie meint, angesichts des Umstandes, dass die gesetzliche Regelung über den Widerruf sogenannter Verselbständigungsbeschlüsse in § 3 Abs. 3 MVG.EKD erst durch die am 1. Juli 1997 in Kraft getretene Gesetzesnovelle geschaffen worden sei, können die zuvor beschlossenen Verselbständigungen Geltung stets nur für die jeweilige Amtszeit gehabt haben, denn sonst habe keine Möglichkeit bestanden, solche Entscheidungen rückgängig zu machen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im ersten Rechtszug eingereichten Schriftsätze und Anlagen der Beteiligten Bezug genommen.
Die Schlichtungsstelle hat dem Antrag durch Beschluss vom 31. Oktober 2001 stattgegeben. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Er wurde der beschwerdeführenden Gesamtmitarbeitervertretung am 2. November 2001 zugestellt. Sie hat hiergegen am 13. November 2001 Beschwerde eingelegt. Sie wiederholt und vertieft unter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Beschluss ihre Rechtsansicht und beantragt,
den Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen vom 31. Oktober 2001 - 2 M 83/01 - aufzuheben und die Anträge zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Über die Beschwerde war ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss der Kammer zu entscheiden (§ 16 VGG.EKD, § 130a VWGO).
III. Die nach § 63 Abs. 1 Buchst. h MVG.EKD statthafte und auch sonst zulässig Beschwerde ist nicht begründet. Die Schlichtungsstelle hat den Anträgen zu Recht stattgegeben.
1. Die Anträge sind statthaft und zulässig.
a) Der Antrag zu 1 bedarf zu seiner hinreichenden Bestimmbarkeit (§ 16 VGG.EKD, § 82 Abs. 1 Satz 2, § 173 VwGO, § 253 Abs. 2 ZPO) der Auslegung. Gegenständlich umfasst er die sogenannten Verselbständigungsbeschlüsse in den genannten Dienststellenteilen. Mit diesem Inhalt ist der Antrag zu 1 zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus dem Umstand, dass die beteiligte Gesamtmitarbeitervertretung die Verselbständigungsbeschlüsse für durch Zeitablauf erledigt erachtet.
b) Zulässig ist auch der Antrag zu 2. Das Feststellungsinteresse für ihn ergibt sich daraus, dass die beteiligte Gesamtmitarbeitervertretung geltend macht, die Verselbständigungsbeschlüsse hätten als widerrufen zu gelten, wenn sich keine Mehrheit der Wahlberechtigten für eine Verselbständigung finde.
2. Die Anträge sind auch begründet.
a) Die Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses über die mitarbeitervertretungsrechtliche Verselbständigung eines Dienststellenteiles (§ 3 Abs. 2 MVG.EKD) ist nicht auf die Dauer der Amtszeit der daraufhin zu wählenden Mitarbeitervertretung beschränkt. Dies hat die Vorinstanz richtig erkannt. Auf ihre Erwägungen wird Bezug genommen. Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:
Die Wirkung über die Dauer der Amtszeit hinaus wird in § 3 Abs. 3 MVG.EKD in der ab 1. Juli 1997 geltenden Fassung vorausgesetzt, indem dort bestimmt ist, dass „Entscheidungen nach Absatz 2 über die Geltung von Dienststellenteilen sowie Einrichtungen der Diakonie als Dienststellen für die Zukunft mit Beginn der nächsten Amtszeit der Mitarbeitervertretung widerrufen werden" können. Hiervon gehen auch Baumann-Czichon/Germer aus (MGV-EKD (1997) § 3 Rn. 9), wenn auch mit der Einschränkung, dies gelte „ausnahmsweise“. Dies gilt auch für Verselbständigungsbeschlüsse, die - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Änderung des § 3 Abs. 2 und der Einführung des § 3 Abs. 3 MVG.EKD (1. Juli 1997) gefasst worden sind. Die Annahme, weil die Mitarbeiter von einer über die Amtszeit hinausgehenden Wirkung nicht hätten ausgehen können, habe der Beschluss keine weitreichendere Wirkung entfalten können (so Baumann-Czichon/Germer, MGV-EKD (1997) § 3 Rn. 10), ist durch das MVG.EKD - auch in der vor der Änderung geltenden Fassung - nicht gedeckt. Richtig ist zwar, dass in jener Fassung keine Regelung über die Aufhebung oder Beendigung von Verselbständigungsentscheidungen i.S. des § 3 Abs. 3 MVG.EKD (a.F.) enthalten war. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass sich die rechtliche Wirkung einer solchen Entscheidung auf die nächste Amtszeit zu beschränken habe. Vielmehr war insoweit eine analoge Anwendung des damaligen § 3 Abs. 2 MVG.EKD geboten, so dass eine (einvernehmliche) Beendigung der mitarbeitervertretungsrechtlichen Dienststellenfiktion zum Ende der Amtszeit der Mitarbeitervertretung möglich war (vgl. zur entsprechenden Bestimmung im MVG.RWL: Bach und andere, VKM-Kommentar zum MVG.RWL (1992) und (1995), § 3 Rn 2.9). Die Änderung des § 3 Abs. 2 und Einführung des § 3 Abs. 3 MVG.EKD mit Wirkung vom 1. Juli 1997 beweckte nur eine Klarstellung durch den Gesetzgeber (vgl. Fey, ZMV 1997, S. 3).
Auch die systematische Auslegung des § 3 Abs. 2 MVG.EKD (a.F.) führt zum selben Ergebnis. Die Herbeiführung der Dienststellenfiktion eines Dienststellenteiles bedurfte nicht nur eines entsprechenden Mehrheitsbeschlusses der Wahlberechtigten im Rahmen der in § 3 Abs. 2 MVG.EKD (a.F.) genannten sonstigen Voraussetzungen, sondern auch des Einvernehmens mit der Dienststellenleitung. Die Herstellung dieser Rechtslage ähnelt - der Sache nach - einer Dienstvereinbarung. Auch sie bedarf eines entsprechenden Beschlusses, nämlich des der Mitarbeitervertretung, mit dem ihr zugestimmt wird (§ 26 Abs. 2 MVG.EKD) und der Zustimmung der Dienststellenleitung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD). An die Stelle des (mehrheitlichen) Beschlusses der Mitarbeitervertretung (§ 26 Abs. 2 MVG.EKD) tritt im Fall des § 3 Abs. 2 MVG.EKD der Mehrheitsbeschluss der wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dienststellenteiles, über dessen Verselbständigung beschlossen werden soll. Allgemein anerkannt verlieren Dienstvereinbarungen ihr Wirkung nicht automatisch mit dem Ablauf der Amtszeit der Mitarbeitervertretung. Nichts anderes gilt für die einvernehmliche Regelung über die mitarbeitervertretungsrechtliche Verselbständigung von Dienststellenteilen. Hätte der Gesetzgeber des MVG.EKD etwas anderes anordnen wollen, so hätte es nahegelegen, eine dem § 6 BPersVG entsprechende Regelung zu treffen. Eben dies ist aber nicht geschehen, obwohl das säkulare Personalvertretungsrecht eines der Vorbilder des MVG.EKD war.
b) Auch der Antrag zu 2 ist begründet, wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend erkannt hat. Der Widerruf eines Verselbständigungsbeschlusses i.S. des § 3 Abs. 2 MVG.EKD bedarf der Mehrheit der dem verselbständigten Dienststellenteil angehörenden wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz ist noch hinzuzufügen: Soll die mitarbeitervertretungsrechtliche Verselbständigung des Dienststellenteiles widerrufen werden, so kann dies nach § 3 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD nur für die Zukunft mit Beginn der nächsten Amtszeit der Mitarbeitervertretung geschehen. „Für das Verfahren gilt Absatz 2 entsprechend“ (§ 3 Abs. 3 Satz 2 MVG.EKD). Die entsprechende Anwendung bedeutet, dass der Beschluss über den „Widerruf“ seinerseits der Mehrheit der dienststellenangehörenden Wahlberechtigten bedarf (vgl. Fey/Rehren, MVG.EKD <Aug. 2001>, § 3 Rn. 5a). Denn ein solcher Beschluss stellt in der Sache keinen rückwirkenden Widerruf des Verselbständigungsbeschlusses dar, sondern die neue Entscheidung, an der bisherigen Struktur der Dienststellen im Sinne der mitarbeitervertretungsrechtlichen Gremienbildung künftig (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD) nicht mehr festhalten, sondern zur gesetzlich vorgegebenen Struktur zurückkehren zu wollen. Das aber ist der Sache nach eine in ihrer rechtlichen Qualität gleichermaßen zu bewertende mitarbeitervertretungsrechtliche Organisationsentscheidung der Wahlberechtigten wie die, mit der die Verselbständigung beschlossen worden ist. Hier wie dort bedarf es insoweit eines Mehrheitsbeschlusses der wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dem betreffenden Dienststellenteil zugeordnet sind. Die Annahme, der Verselbständigungsbeschluss habe als widerrufen zu gelten, wenn sich keine Mehrheit für eine Verselbständigung fände (Baumann-Czichon/Germer, MGV-EKD (1997) § 3 Rn. 10) ist erkennbar von der Vorstellung einer auf eine Amtsperiode begrenzten Wirkung eines Verselbständigungsbeschlusses geprägt. Sie ist mit der Regelung in § 3 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD (n.F.) nicht vereinbar. Die Rechtslage schließt indessen nicht aus, dass die Verselbständigung von Anfang an nur auf die Dauer einer regelmäßigen oder auf die Dauer der tatsächlichen Amtszeit der zu wählenden Mitarbeitervertretung beschränkt wird, so dass es für die „Beibehaltung“ der durch das Amtsende der Mitarbeitervertretung beendeten Verselbständigung einer erneuten Mehrheitsentscheidung bedarf.
IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 13 VGG.EKD, § 8 BRAGO.