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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 05.12.2016 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD II-0124/28-2016 |
Rechtsgrundlage: | MVG-EKD §§ 34, 35 |
Vorinstanzen: | Az.: II-2708/3-2016 Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland - Kammern für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten Beschluss vom 8. März 2016 |
Schlagworte: | Aushändigung bzw. Einsichtnahme in Bruttolohnlisten |
Leitsatz:
1. Die Mitarbeitervertretung hat Anspruch auf Aushändigung einer Liste mit allen in der Dienst-stelle gezahlten Bruttovergütungen.
2. Davon ausgenommen sind nur die an Mitglieder der Dienststellenleitung gezahlten Bezüge.
3. Die zweimalige Vorlage einer Bruttolohnliste im Kalenderjahr ist rechtlich nicht zu beanstan-den.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss des Kirchenge-richts der Evangelischen Kirche in Deutschland - Kammern für mitarbeitervertre-tungsrechtliche Streitigkeiten - vom 8. März 2016 (II-2708/3-2016) abgeändert:
Die Dienststellenleitung wird verpflichtet, der Mitarbeitervertretung zweimal jähr-lich eine Liste zur Verfügung zu stellen, aus der die monatlichen Bruttolohnzahlun-gen für alle Mitarbeiter/-innen, mit Ausnahme der Mitglieder der Dienststellenlei-tung, aufgeschlüsselt nach sämtlichen Entgeltbestandteilen, die nach der Vergü-tungsordnung der Dienststelle und außerhalb der Vergütungsordnung der Dienst-stelle gezahlt werden, ersichtlich sind.
#I. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Aushändigung von bzw. Einsichtnahme in Bruttolohnlisten. Die Dienststelle unterhält pädagogische Bildungseinrichtungen für Jugendli-che, die Antragstellerin ist die für die Dienststelle gewählte Mitarbeitervertretung. Die Dienst-stelle vergütet nach einer auf dem ersten Weg zustande gekommenen Entgeltordnung, es werden Zulagen nach Ermessen der Dienststelle gezahlt.
In der Vergangenheit hat die Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung zweimal jährlich eine Bruttolohnliste ausgehändigt. Mit Rundschreiben vom 3. September 2015 wies sie darauf hin, dass aus datenschutzrechtlichen Gründen künftig nur insoweit Einblick gewährt werden könne, als Mitarbeiter/-innen der Weitergabe ihrer Daten nicht widersprechen würden.
Die Mitarbeitervertretung vertritt die Auffassung, sie habe Anspruch auf uneingeschränkte Aushändigung bzw. Einsichtnahme in die Bruttolohnlisten. Die Dienststellenleitung gewähre Zulagen und sonstige Zuwendungen, auf die kein Rechtsanspruch bestehe, zudem habe die Mitarbeitervertretung die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu kontrollieren.
Die Mitarbeitervertretung hat, soweit im Beschwerdeverfahren von Interesse, beantragt,
1. die Dienststellenleitung zu verpflichten, der Antragstellerin zweimal jährlich eine Liste zur Verfügung zu stellen, aus der die monatlichen Bruttolohnzahlungen für alle Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter mit Ausnahme der Mitglieder der Dienststellenleitung, aufgeschlüsselt nach sämtlichen Entgeltbestandteilen, die nach der Vergütungsord-nung der Dienststelle und außerhalb der Vergütungsordnung der Dienststelle gezahlt werden, ersichtlich sind,
2. hilfsweise, die Dienststellenleitung zu verpflichten, der Antragstellerin zweimal jähr-lich, hilfsweise jährlich, in eine Liste Einsicht zu gewähren, aus der die monatlichen Bruttolohnzahlungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit Ausnahme der Mit-glieder der Dienststellenleitung, aufgeschlüsselt nach sämtlichen Entgeltbestandtei-len, die nach der Vergütungsordnung der Dienststelle gezahlt werden, ersichtlich sind,
äußerst hilfsweise
3. die Dienststellenleitung zu verpflichten, einem von der Antragstellerin beauftragten Mitglied zweimal jährlich, hilfsweise jährlich, in eine Liste Einblick zu gewähren, aus der die monatlichen Bruttolohnzahlungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Ausnahme der Mitglieder der Dienststellenleitung, aufgeschlüsselt nach sämtlichen Entgeltbestandteilen, die nach der Vergütungsordnung der Dienststelle und außer-halb der Vergütungsordnung der Dienststelle gezahlt werden, ersichtlich sind.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Das Kirchengericht hat die Anträge zurückgewiesen. Angesichts des Fehlens einer § 87 Abs. 2 Nr. 10 BetrVG entsprechenden Regelung bestehe kein Einsichts- oder Überlassungs-recht; im Übrigen spräche § 34 Abs. 4 Satz 1 MVG-EKD gegen ein Recht zur Einsichtnahme in Bruttolohnlisten, ohne Zustimmungserklärung der Mitarbeiter/-innen sei eine Einsicht durch die Mitarbeitervertretung nicht möglich.
Mit der frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Beschwerde verfolgt die Mitarbei-tervertretung ihr Antragsbegehren weiter. Die Dienststellenleitung beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde der Mitarbeitervertretung ist zulässig und begründet. Die Mitarbeiter-vertretung hat aus § 34 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Absatz 3 Satz 1 MVG-EKD einen Anspruch da-rauf, in einem halbjährlichen Rhythmus eine Bruttolohnliste zur Verfügung gestellt zu bekom-men.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG-EKD ist die Mitarbeitervertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, nach § 34 Abs. 3 Satz 1 sind der Mitar-beitervertretung die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG-EKD hat die Mitarbeitervertretung die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, nach § 35 Abs. 3 Buchstabe b) MVG-EKD soll die Mitarbeitervertretung insbesonde-re dafür eintreten, dass die arbeits-, sozial- und dienstrechtlichen Bestimmungen, Vereinba-rungen und Anordnungen eingehalten werden.
2. Danach besteht ein Anspruch auf Vorlage der begehrten Bruttolohnlisten, sie sind zur Durchführung der Aufgaben der Mitarbeitervertretung erforderlich im Sinne von § 34 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD (bislang unentschieden: KGH.EKD, Beschluss vom 24. Januar 2011, I-0124/S41-10, www.kirchenrecht-ekd.de). Arbeitsrechtliche Bestimmungen und Vereinbarun-gen im Sinne von § 35 Abs. 3 Buchstabe b) MVG-EKD sind auch die jeweils zur Anwendung kommenden Vergütungsordnungen oder Tarifverträge. Ob eine Entgeltordnung "eingehalten" wird, kann nur anhand eines Abgleichs der geschuldeten mit den tatsächlich erfolgten Zah-lungen an die Mitarbeiter/-innen festgestellt werden, dies setzt die Aushändigung der streitbe-fangenen Liste voraus. Unabhängig davon hat die Mitarbeitervertretung nach § 40 Buchstabe m) MVG-EKD ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Grundsätze für die Gewährung von Unterstützung oder sonstigen Zuwendungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Vorliegend zahlt die Dienststellenleitung Zulagen und Zuwendungen aus unterschiedlichen Anlässen über die in der Vergütungsordnung geregelten Tatbestände hinaus. Es ist Aufgabe der Mitarbeiter-vertretung, insoweit auf die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu achten und ein etwaiges Mitbestimmungsrecht aus § 40 Buchstabe m) MVG-EKD geltend zu machen. Die-ser Aufgabe kann sie nur nachkommen, wenn sie die Bruttolohnlisten, die im Einzelnen aus-weisen, an wen welche konkrete Zahlung auf welcher Rechtsgrundlage getätigt wird, auswer-ten kann.
3. Soweit die Dienststellenleitung darauf rekurriert, dass im BetrVG im Gegensatz zum MVG-EKD ausdrücklich ein Einsichtsrecht geregelt ist, zieht sie daraus die falschen Schlüs-se. Unabhängig davon, dass das MVG.EKD - wie andere Gesetze auch - zunächst aus sich heraus ausgelegt werden muss, führt eine Parallelwertung zum gegenteiligen Ergebnis. Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, es besteht ein umfas-sendes Recht auf Aushändigung der Unterlagen. Einschränkend regelt § 80 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz, dass "in diesem Rahmen" ein Betriebsausschuss oder ein nach § 28 gebildeter Aus-schuss berechtigt ist, in Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen; der zweite Halbsatz schränkt den Anspruch auf umfassende Auskunft und Vorlage der Unterla-gen ein, in dem er in Bezug auf die Listen über die Bruttolöhne nur ein Einsichtsrecht gewährt. Eine solche Einschränkung gibt es im MVG-EKD nicht. Dies spricht dafür, dass ein umfas-sender Anspruch auf Aushändigung der Bruttolohnlisten besteht.
4. Der Anspruch besteht, ohne dass nach § 34 Abs. 4 Satz 1 MVG-EKD die Zustimmung der betroffenen Mitarbeiter/-innen einzuholen wären; Bruttoentgelte sind regelmäßig nicht Bestandteil einer Personalakte. Eine Personalakte enthält personenbezogene Grunddaten. Der - sich ständig ändernde - Zahlbetrag, der sich aus einer Lohnabrechnung oder aus einer Bruttolohnliste ergibt, ist genau so wenig Bestandteil einer Personalakte wie eine Lohnabrech-nung. Dies ist nach der mündlichen Anhörung auch bei der Dienststelle der Fall. Soweit der Kirchengerichtshof der EKD in einer nicht tragenden Erwägung (KGH.EKD, Beschluss vom 24. Januar 2011, I-0124/S41-10, a.a.O.) anders verstanden werden könnte, wird daran nicht festgehalten.
5. Datenschutzrechtliche Erwägungen stehen nicht entgegen. Anwendung findet das Kir-chengesetz über den Datenschutz der Evangelischen Kirche in Deutschland (DSG-EKD). Die Mitarbeitervertretung ist Teil der Dienststelle und damit der verantwortlichen Stelle im Sinne von § 2 Abs. 8 DSG-EKD. Die Nutzung der in der Bruttolohnliste enthaltenen personenbezo-genen Daten ist nach § 3 DSG-EKD zulässig, weil eine andere Rechtsvorschrift - § 34 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD - dies erlaubt. Selbst wenn in dem Vorgang der Aushändigung eine Daten-übermittlung an eine (andere) kirchliche Stelle gesehen würde, wäre dies nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 DSG-EKD gestattet, weil es nach vorstehenden Erwägungen zur Erfüllung der Aufga-ben der Mitarbeitervertretung erforderlich und nach § 5 Abs. 1 DSG-EKD zulässig ist. Im Üb-rigen unterliegen alle Mitglieder der Mitarbeitervertretung der Schweigepflicht des § 22 MVG-EKD.
6. Der halbjährliche Rhythmus der Aushändigung ist verhältnismäßig, da er erforderlich i.S.v. § 34 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD ist; in diesem zeitlichen Rahmen lassen sich etwaige Veränderungen abbilden und nachvollziehen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).