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Kirchengericht: | Disziplinarhof der EKD |
Entscheidungsform: | Urteil (rechtskräftig) |
Datum: | 29.06.2017 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD 0125/1-2017 |
Rechtsgrundlage: | DG.EKD §§ 18, 20 Abs. 3 S. 1 |
Vorinstanzen: | Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland - Disziplinarkammer -, Urteil vom 29. Juni 2016, Az.: 0134/2-2013 |
Schlagworte: |
Leitsatz:
1. Die für kirchliche Amtsträger anwendbaren Bemessungsgrundsätze des kirchlichen Disziplinarrechts gelten ebenso für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme gegen einen im Ruhestand befindlichen Pfarrer, der während seiner aktiven Dienstzeit eine schwere Amtspflichtverletzung begangen hat. Der nachträgliche Eintritt in den Ruhestand führt weder zur Anwendung anderer Bemessungsmaßstäbe noch stellt er einen mildernden Umstand dar (vgl. auch § 20 Abs. 3 Satz 2 DG.EKD). Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Beschwerde im Geltungsbereich des DiszG VELKD.
2. Eine sexuell motivierte schwere Amtspflichtverletzung rechtfertigt nach Abwägung aller Umstände auch ohne spezial- und/oder generalpräventiven Zweck im Hinblick auf das Ansehen der Kirche (§ 20 Abs. 3 Satz 1 DG.EKD) und zur Wahrung ihrer Integrität, Glaubwürdigkeit und Funktionsfähigkeit als gesetzlich normierter Zweck des kirchlichen Disziplinarrechts die Entfernung aus dem Dienst (§ 18 DG.EKD).
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Kirchengerichts der Evangelischen Kirche in Deutschland - Disziplinarkammer - vom 29. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe:
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen die von der Disziplinarkammer durch Urteil vom 29. Juni 2016 ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst.
1. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beklagten nimmt der Senat Bezug auf die folgenden Ausführungen in dem angegriffenen Urteil (UA S. 2-3): [Es folgt der Abdruck. Auf den Abdruck der persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Beklagten wird mit Schutz auf seine Persönlichkeitsrechte verzichtet.]
2. Zum Sachverhalt nimmt der Senat zunächst auf die entsprechenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil vom 29. Juni 2016 (UA S. 3-7) gemäß § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 130b Satz 1 VwGO Bezug:
„Im März 2010 wandte sich der […] 1963 geborene Zeuge F., ein ehemaliger Konfirmand des Beklagten, per E-Mail an den Presse- und Öffentlichkeitsbeauftragten der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Pfarrer Dr. G. Aufgerüttelt durch damals aktuelle Presseveröffentlichungen über Missbrauchsfälle in der Kirche zeigte er an, in seiner Jugend in L. mehrere Jahre lang durch den Beklagten sexuell missbraucht worden zu sein. Pfarrer Dr. G unterrichtete umgehend den damaligen Personaldezernenten der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Oberkirchenrat Dr. H, über die Anzeige.
Dieser vereinbarte telefonisch mit dem Zeugen F einen Gesprächstermin für den 7. April 2010 um 16:30 Uhr in dessen Wohnung. Über dieses Gespräch, das um 18:15 Uhr endete, fertigte Oberkirchenrat Dr. H am 9. April 2010 einen vertraulichen Gesprächsvermerk, den er dem Zeugen F am 12. April 2010 per E-Mail zur Autorisierung und mit der Ankündigung zuleitete, diesen Vermerk zur Grundlage einer Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft machen zu wollen. Der Zeuge F antwortete dem Zeugen Dr. H nach mehrfachen vergeblichen Versuchen der telefonischen Kontaktaufnahme mit ihm per E-Mail vom 13. August 2010. Darin bestätigte er zwar grundsätzlich die Richtigkeit des Vermerkinhaltes, verweigerte aber die Unterschriftsleistung, um andere Personen nicht in das Verfahren hineinzuziehen. Er betonte aber, dass es ihm wichtig sei, den Beklagten daran zu hindern, zukünftig weiter mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Aus vom Landeskirchenamt nicht mehr nachvollziehbaren Gründen wurde in dieser Personalangelegenheit zunächst nichts weiter veranlasst.
Der Zeuge I, geboren […] 1963, ebenfalls ein ehemaliger Konfirmand des Beklagten aus der Kirchengemeinde L., musste sich in der Zeit vom 14. Januar 2010 bis zum 25. Juli 2010 wegen einer hochgradigen Alkohol- und Tablettenabhängigkeit in einer Reha-Klinik für Suchtkranke, in eine Entzugsbehandlung begeben.
Dort fertigte er auf Geheiß seines damaligen Therapeuten, des Zeugen Dr. J, ein Tagebuch. Darin beschrieb der Zeuge I sehr ausführlich aus seiner Erinnerung heraus neben seinen Ängsten und Gefühlen die Erlebnisse, die nach seinem subjektiven Empfinden sein Leben wesentlich geprägt haben. Auf Anregung des Zeugen Dr. J, der vom Umfang und von der Qualität dieser Aufzeichnungen angetan war, wandte sich der Zeuge I an einen Verlag. Dieser veröffentlichte das Tagebuch noch im selben Jahr (2010) als 385 Seiten umfassenden, autobiografischen Roman. Darin legte der Zeuge I u. a. auf Seite 95 f. dem Beklagten eine Vielzahl von sexuellen Missbrauchshandlungen zu seinem Nachteil zur Last und beschrieb dies wie folgt:
"Donnerstag, 08.04.
Ich weiß es schon lange: wenn dieses Tagebuch einen Sinn erfüllen soll, muss es vollständig sein. Zu dieser Vollständigkeit gehört auch eine triebgeile Gestalt aus meiner Kindheit. Sie und ihr abscheuliches Tun haben mich geprägt. Das wusste ich nicht, denn alles war ganz und gar verdrängt. Inzwischen ist mir klar: man kann verdrängen - aber vergessen kann man nicht.
Unterdrückt keuchend, stark schwitzend und penetrant stinkend presst sich der alte Mann an meinen jungen Körper. Die wollüstigen Grunzlaute, die er kurzatmig ausstößt, sind leise, klingen aber dennoch laut in meinen Ohren. Es dauert nicht lange, bis ihm einer abgeht; in diesem Moment bebt sein verhasster Leib unkontrolliert, seine Umklammerung, die vorher schon beengend war, gewinnt für einen kurzen Augenblick an Intensität, so dass ich Angst habe, nicht mehr genügend Luft zu bekommen. Aber es ist nur eine kleine Angst, denn ich erlebe das nicht zum ersten Mal und weiß, es wird gleich vorbei sein, und ich werde wieder freier atmen können. Mein Hintern fühlt sich warm, klebrig und feucht an. Ich werde darauf achten, dass ich mich gründlich säubere, damit zu Hause niemand etwas merkt - wie immer. Es ist vorbei. Es ist überstanden. Für diesen Tag.
Aber nicht für die folgenden drei Jahre. Denn immer wieder entdeckte E., Pfarrer unserer kleinen Stadt und gleichzeitig Leiter der Jungen Gemeinde, seine animalische Lust am frischen Körper eines kleinen Jungen. Ich war das einzige Objekt seiner lustvollen Begierde, denn ich hatte einen alles entscheidenden Vorteil: Ich hielt den Mund. Ich hielt den Mund dort, ich schwieg in der elterlichen Wohnung, ich blieb stumm für alle Jahre. Mein Schweigen war so zuverlässig wie das Amen in der Kirche, um es einmal makaber auszudrücken. Meine “Erziehung“ trug im Alter von 9 oder 10 Jahren erste, und, wie ich heute weiß, verhängnisvolle Früchte: Ich erkannte die Autorität aller männlichen Erwachsenen uneingeschränkt an, da ich mittlerweile die Angst vor meinem Vater auf diese übertragen hatte. Sie hätten zu mir sagen können, ich solle vom Dach eines Hochhauses springen - ich wäre gesprungen. Hätten sie mir noch weisgemacht, dass ich mich dabei nicht verletzen würde - ich würde es geglaubt haben.
Und wenn Pfarrer E. dringend meinen Körper benötigte, um seine gewichtigen Triebe zu befriedigen, so war das sein gutes Recht, welches ich unangefochten gelten ließ. Ich bin nie auch nur ansatzweise auf den eigentlich nahe liegenden Gedanken gekommen, dass das, was Herr E. an mir ausübte, etwas Unrechtes sein könnte - etwas, das man nicht tut. Im Gegenteil! Auch wenn es mir nicht gefiel: es hatte richtig zu sein. Das Tun erwachsener Männer war immer richtig. Es als falsch zu bezeichnen, zog unweigerlich körperliche Züchtigung nach sich. Außerdem - und das mag schauerlich klingen, ist aber schlicht eine Tatsache - hatte ich das erste Mal in meinem jungen Leben das Gefühl, gebraucht zu werden und wirklich für etwas gut zu sein. Gebraucht von einem erwachsenen Mann.
Lebenssinn mal anders…"
Nachdem der Zeuge F in einem Telefonat mit seiner Schulfreundin K von dem Buch erfahren und es gelesen hatte, nahm er am 23. April 2012 per E-Mail Kontakt zum Zeugen I auf und zwar über dessen Homepage. In der Folge deutete er an, ebenfalls vom Beklagten missbraucht worden zu sein. In weiteren Telefonaten schilderte der Zeuge F dem Zeugen I auch seine Erfahrungen mit der Kirche und insbesondere mit dem Zeugen Dr. H, bei dem er die Missbrauchsvorwürfe erhoben und von dem er nichts mehr gehört hatte. Der Zeuge I wollte zunächst selbst nach Veröffentlichung seines Buches und nach den Hinweisen des Zeugen F nichts weiter gegen den Beklagten unternehmen.
Als er jedoch durch seinen Jugendfreund F erfuhr, dass beide vermutlich nicht die einzigen Opfer des Beklagten geworden waren, wandte er sich am 19. Mai 2012 per E-Mail an die Pressestelle der Klägerin, um nun ebenfalls den an ihm in zahlreichen Fällen begangenen sexuellen Missbrauch durch den Beklagten anzuzeigen.
Daraufhin wurde gemäß Kollegiumsbeschluss der Dienststelle der Klägerin vom 5. Juni 2012 gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs von mindestens zwei ihm in der Christenlehre [richtig ist: im Konfirmandenunterricht] in den Jahren 1973 bis 1978 anvertrauten Kindern bzw. Jugendlichen eingeleitet. Zugleich wurden dem Beklagten die öffentliche Wortverkündigung, die Sakramentsverwaltung und die Vornahme von Amtshandlungen vorläufig untersagt. Außerdem wurden die Ruhestandsbezüge des Beklagten im Umfang von 30 % mit Wirkung vom 1. Juli 2012 einbehalten. Diese Disziplinarverfügung wurde dem Beklagten am 14. Juni 2012 in der Dienststelle der Klägerin persönlich übergeben.
Eine gegen die Einbehaltung der Ruhestandsbezüge eingelegte Beschwerde des Beklagten wurde mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Februar 2013 zurückgenommen. Mit Blick auf die lange Verfahrensdauer reduzierte die Klägerin später die Einbehaltung der Bezüge von 30% auf 10% und hob sie schließlich ganz auf, um dem Beklagten weiterhin eine ordnungsgemäße Verteidigung gegen die erhobenen Vorwürfe zu ermöglichen.
Dem Beklagten, der sich nach der Pensionierung an seinem aktuellen Wohnort bis dahin ehrenamtlich in der Schülerhilfe engagiert hatte, wurde mit weiterem Schreiben der Klägerin vom 20. Juni 2012 nahegelegt, diese Betätigung einzustellen, woran der Beklagte sich dann nach eigenen Angaben auch gehalten haben will.
Nach Aussage des Zeugen F wollte dieser anlässlich eines unangemeldeten Besuches bei dem Beklagten noch im Jahr 1994/1995 in dessen Wohnung zwei nur mit der Unterhose bekleidete Kinder bemerkt haben. Da insoweit der Verdacht von nicht verjährten Straftaten nicht von vornherein auszuschließen war, erstattete die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2012 eine entsprechende Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Diese stellte das geführte Ermittlungsverfahren am 1. August 2012 gemäß § 170 Abs. 2 StPO wegen Verfolgungsverjährung ein und erteilte der Klägerin darüber einen Bescheid, gegen den vorsorglich Beschwerde eingelegt wurde. Wegen Aussichtslosigkeit wurde diese nicht weiter verfolgt.
Auf eine Gegenanzeige des Beklagten gegen den Zeugen I wegen des Vorwurfs der Verleumdung, die er im Juli 2012 bei der Staatsanwaltschaft erstattet hatte, wurde dort ein Verfahren eingeleitet und sogleich bis zum Ausgang des gegen den Beklagten gerichteten Ermittlungsverfahrens und des Disziplinarverfahrens vorläufig eingestellt.
Gemäß Kollegiumsbeschluss der Dienststelle der Klägerin vom 2. Juli 2012 wurde der Zeuge Leitender Oberstaatsanwalt a.D. L im Disziplinarverfahren gegen den Beklagten zum Ermittlungsführer bestellt.
Nach den aus seiner Sicht wesentlichen Ermittlungen, nämlich der Vernehmung der Zeugen I, F, M (Tante des Zeugen F), N (Probst im Ruhestand und ehemaliger Vorgesetzter des Beklagten), O (aktueller Vorsitzender des Gemeindekirchenrates L.), P (aktuelles Gemeindekirchenratsmitglied von L.), Q (ehemaliger Konfirmand und späterer Untermieter des Beklagten im Pfarrhaus L.) und R (ehemaliger Konfirmand des Beklagten), sowie nach Beiziehung von Grundrissplänen des Pfarrhauses und von Konfirmandenlisten aus dem möglichen Tatzeitraum, schloss der Ermittlungsführer am 28. März 2013 seine Tätigkeit mit einem Bericht ab.
Darin empfahl er unter zusammenfassender Würdigung der erhobenen Beweise der Klägerin, wegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Amtspflicht-verletzungen (sexuellen Missbrauchs von Kindern) gegen den beschuldigten Pfarrer Disziplinarklage zu erheben. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht des Ermittlungsführers verwiesen.
Dem Beklagten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten wurde dieser Ermittlungsbericht mit Schreiben vom 9. April 2013 unter Hinweis auf die Möglichkeit einer abschließenden Äußerung übersandt. Diese erfolgte mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 24. Mai 2013.
Der Empfehlung des Ermittlungsführers folgend erhob die Klägerin mit Schreiben vom 2. Juli 2013 - Eingang beim Kirchengericht der EKD am 4. Juli 2013 - gegen den Beklagten Disziplinarklage und kündigte an, gemäß § 18 des Disziplinargesetzes der EKD (DG.EKD) die Entfernung des Beklagten aus dem Dienst zu beantragen.
Darin warf sie dem Beklagten vor, rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus der Ordination gemäß § 3 Abs. 2 des Pfarrdienstgesetzes der EKD, sich in seiner Lebensführung so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird, verletzt und damit Amtspflichtverletzungen begangen zu haben.
Diesen Vorwurf stützte die Klägerin auf die Ermittlungsergebnisse, wonach der Beklagte über den Zeitraum von fünf Jahren in der Zeit von 1973 bis 1978 den Zeugen I, geb. […] 1963, im Alter zwischen 10 und 15 Jahren im Pfarrhaus in L. mehrfach sexuell missbraucht habe, indem er Analverkehr an ihm ausgeübt oder den Anus mit den Fingern penetriert oder sich an dem Zeugen bis zum Orgasmus gerieben habe und an dem Zeugen F, geb. […] 1963, ebenfalls in den Jahren zwischen 1973 bis 1978 sexuelle Handlungen im Pfarrhaus L. vollzogen zu haben, indem er mehrfach versucht habe, den Anus des Zeugen mit den Fingern zu penetrieren, seinen Penis auf das Gesicht des Zeugen zu drücken oder sich mit dem Penis an ihm zu reiben.“
3. In der Folgezeit, von März 2014 bis Juni 2016, verhandelte die Disziplinarkammer an 10 Sitzungstagen. In dieser Zeit präzisierte die Klägerin die Vorwürfe dahingehend, dass sich die dem Beklagten vorgeworfenen Missbrauchstaten zum Nachteil des Zeugen F mutmaßlich in dem Tatzeitraum von 1973-1978 in mindestens 40 bis höchstens 50 Fällen des Versuchs ereignet hätten, hinsichtlich der Vorwürfe zum Nachteil des Zeugen I wurde klargestellt, dass es sich um mindestens 300 (vollendete) Missbrauchstaten im Zeitraum von 1970-1975 handele.
Mit Blick auf die Aussage des Zeugen F vom 12. Mai 2014, wonach die Ringkämpfe mit dem Beklagten ca. ein halbes Jahr nach dem Konfirmandenunterricht geendet haben sollen, erhob die Klägerin im Juni 2014 eine erste Nachtragsdisziplinarklage, mit welcher sie ausgehend von dem Konfirmationsdatum 27. Mai 1979 beantragte, vom Beklagten an den Zeugen F und I begangene sexuelle Handlungen über das Jahr 1978 hinaus bis Oktober 1979 in das Disziplinarverfahren einzubeziehen.
Mit einer weiteren Nachtragsdisziplinarklage vom März 2015 beantragte die Klägerin, als vorwerfbare Amtspflichtverletzungen einzubeziehen, dass der Beklagte zwischen 1973 und 1979 mehr als einmal in seiner Wohnung oder im Bereich des Pfarrhausgrundstückes des Pfarrhauses in L. mit den Kindern und Jugendlichen auch zu seiner sexuellen Befriedigung "gekampelt" habe. Zur Begründung nahm sie Bezug auf die Aussage des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2014 vor der Disziplinarkammer.
Diese hörte u.a. mehrere Zeugen an sowie den Sachverständigen Dr. S, der während des Verfahrens die Aussagetüchtigkeit des Zeugen I (Gutachten vom 14. Dezember 2015) und des Zeugen F (Gutachten vom 29. Februar 2016) begutachtet hatte.
Den Gutachten waren in der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2015 die vom Beklagten gestellte Beweisanträge 47 und 48 vorausgegangen. Beweisantrag 47 Nr. 1 war auf Erstattung eines Gutachtens über die Zeugen I und F im Hinblick auf deren Aussagetüchtigkeit gerichtet; dem hatte die Disziplinarkammer durch Beweisbeschluss vom 3. Juni 2015 entsprochen.
Ferner hatte der Beklagte für den Fall festgestellter Aussagetüchtigkeit mit Beweisantrag 47 Nr. 2 die Einholung von aussagepsychologischen Sachverständigengutachten zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen I und F beantragt. Er hatte darüber hinaus einen Beweisantrag 48 gestellt, gerichtet auf Einholung eines wahrnehmungs- und erinnerungspsychologischen Gutachtens hinsichtlich des Zeugen I, wonach „es nicht möglich ist, dass ein Opfer sexuellen Missbrauchs in Kindheit und Jugend sich eine Erinnerung im Erwachsenenalter wieder ‚erschreiben‘ kann“.
Der Sachverständige erläuterte seine Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2016. Im Anschluss daran lehnte die Disziplinarkammer den Beweisantrag 47 Nr. 2 durch in der Verhandlung verlesenen Beschluss vom 6. Juni 2016 mit der Begründung ab, angesichts der nicht eingeschränkten Aussagetüchtigkeit der beiden Zeugen sei die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts Sache des Gerichts.
Ebenso wies die Disziplinarkammer den Beweisantrag 48 ab. Der Einholung eines traumapsychologischen Gutachtens bedürfe es nicht, weil die Beantwortung der Beweisfrage noch von der Beurteilungskompetenz der Kammer abgedeckt sei. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2011 - 2 B 69.10 - gehe die Kammer von einer Traumatisierung des Zeugen I aus. Sie sehe nach dem Umfang der erhobenen Beweise auch eine ausreichende Grundlage für eine entsprechende Einschätzung des Beweisthemas.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
den Beklagten gemäß § 18 DG.EKD aus dem Dienst zu entfernen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Disziplinarklage abzuweisen.
Er hat die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs bestritten und beanstandet, dass die Disziplinarkammer keine aussagepsychologischen Gutachten zur Frage der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen I und F, die sich gegen ihn verschworen und in zahlreiche Widersprüche verstrickt hätten, eingeholt habe.
4. Mit Urteil vom 29. Juni 2016 hat die Disziplinarkammer antragsgemäß entschieden, den Beklagten aus dem Dienst zu entfernen. Auf die Begründung der Disziplinarkammer wird verwiesen (UA S. 9-37; vgl. § 7 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 130b Satz 2 VwGO):
„ III.
1. Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD ist für die Entscheidung über die Vorwürfe aus der Disziplinarklage der Klägerin zuständig. Diese hat gemäß § 4 des Kirchengesetzes zur Ausführung des Disziplinargesetzes der EKD vom 20. November 2010 die Disziplinarkammer der EKD als für ihren Bereich zuständiges Disziplinargericht des ersten Rechtszuges bestimmt. Dieses Kirchengesetz ist zum 1. Januar 2011 für sie in Kraft getreten. Da das vorliegende Verfahren am 5. Juni 2012 eingeleitet worden ist, gelten die Bestimmungen des Disziplinargesetzes der EKD (nachfolgend DG.EKD) vom 28. Oktober 2009 (ABl.EKD 2009 S. 316, 2010, S. 263).
2. Die Disziplinarkammer ist weiter mit Blick auf den in der Klageschrift und in den Nachtragsklageschriften umrissenen mutmaßlichen Tatzeitraum (1973-1979) nicht durch ein Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs gemäß § 22 Abs. 1 DG.EKD an einer Sachentscheidung gehindert. Dem Beklagten werden sexuelle Verfehlungen als Amtspflichtverletzungen zur Last gelegt, die in ihrer Gesamtheit im Falle des Nachweises grundsätzlich gemäß § 18 DG.EKD die Entfernung aus dem Dienst und damit die für einen bereits in den Ruhestand getretenen Pfarrer härteste, einer Verjährung nicht unterliegende Maßnahme rechtfertigen können.
3. Ein in § 86 Abs. 1 S. 2 DG.EKD verankertes Rückwirkungsverbot steht der Durchführung dieses Disziplinarverfahrens nicht entgegen, weil die dem Beklagten im mutmaßlichen Tatzeitraum von 1973-1979 zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen auch nach dem damals geltenden Disziplinarrecht grundsätzlich eine Entfernung aus dem Dienst zugelassen hätten.
Maßgeblich wäre insoweit das Disziplinargesetz der EKD vom 11. März 1955 (ABl. 1955, S. 84 ff) gewesen. Die Anwendbarkeit dieses Gesetzes ist durch die "Verordnung über das Disziplinarrecht" vom 14. Mai 1956 (ABl.EKiD 1957, Heft 2, Seite 19) für die Evangelische Kirche der Union und ihre Gliedkirchen bestimmt worden. Dazu zählte auch die Kirchenprovinz Sachsen, zu der damals wiederum auch die Kirchengemeinde L., in welcher der Beklagte seinen Dienst versah, gehörte. In § 5 Abs. 1 des vorbezeichneten Disziplinargesetzes der EKD war als Disziplinarmaßnahme auch die Entfernung aus dem Dienst vorgesehen.
Gemäß § 5 Abs. 3, 2. Halbsatz sollte damals bei Geistlichen im Ruhestand allerdings an die Stelle der Entfernung aus dem Dienst die Aberkennung des Ruhegehaltes treten. Diese Disziplinarmaßnahme hatte aber im Ergebnis dieselben Auswirkungen wie die Entfernung aus dem Dienst, weil gemäß § 13 Abs. 3 die sinngemäße Anwendung der §§ 11 und 12 des damaligen Disziplinargesetzes bestimmt wurde, die wiederum die über die Aberkennung des Ruhegehaltes hinausgehenden weiteren Folgen, nämlich u.a. den Verlust der Befugnis, die Amtsbezeichnung zu führen, den Verlust der Rechte aus der Ordination pp. regelten.
IV. Die Disziplinarklage ist nach dem Ergebnis einer umfangreichen Beweisaufnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, die sich über zehn Tage erstreckte, auch begründet.
1. Die Kammer trifft zunächst zum Hintergrund der dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen die folgenden Feststellungen:
Der Beklagte, der bereits in jungen Jahren Vollwaise war, zeigte bereits im Rahmen seiner theologischen Ausbildung ein ausgeprägtes Interesse für die Kinder- und Jugendarbeit im Pfarramt. In einer dienstlichen Beurteilung des Superintendenten des Kirchenkreises vom 6. Oktober 1957 heißt es dazu: "Es hafteten ihm auch eine Fülle guter Gaben an, und dazu gehört in erster Linie sein ehrliches, unverdrossenes Bemühen um ihm anvertraute Menschen. Ganz besonders gilt das im Blick auf die Präparanden, die ich ihm zum Unterricht anvertraut hatte, vor allem die Jungen, denen er viel Zeit gewidmet hat. Er ist besonders den schwierigen Jungen mit sehr viel Liebe und Aufwand von Zeit nachgegangen, hat mit ihnen Ausflüge gemacht, sie einzeln besucht und mit den Eltern gesprochen."
In einem Bericht über die Teilnahme des Beklagten an einem Predigerseminar im Jahr 1958 findet sich dazu folgende Einschätzung: "Schon im Vikariat hat er Vorliebe für die Arbeit an den Kindern gezeigt und sich hier besonders eingesetzt. Allerdings hält das Können mit der Liebe noch nicht Schritt." Aus dem Bericht geht weiter hervor, dass diese deutliche Ausrichtung des Beklagten auf die Jugendarbeit auch das Thema für seine damalige Vierteljahresarbeit bestimmt hat. Diese lautet […].
Der Bericht schließt mit folgender Einschätzung der Persönlichkeit des Beklagten: "Für die Gesamtbeurteilung Bruder As muss ein Umstand besonders berücksichtigt werden. Bruder A ist elternlos, hat kaum Verwandte und damit auch keine Heimat. Mit Sack und Pack, sozusagen mit Topf und Pfanne, kam er ins Seminar, und mit Sack und Pack zog er zur neuen Vikariatsstelle. Von daher fehlt ihm manches an natürlichem Rückhalt, was ein heranwachsender junger Mensch für die Zeit seiner Entwicklung noch lange braucht, mag er sich dessen bewusst sein oder nicht. Das Fehlen beider Eltern erklärt die Verzögerung in der Entwicklung. Wenn er einmal ganz aus der Pubertät heraus sein wird, ist die Kraft, Hemmungen im Umgang mit Menschen zu überwinden, gewiss gewachsen, und er wird ein gründlicher Arbeiter sein, dessen Stärke auf seelsorgerischem Gebiet liegt. Die Neigung zur Jugend ist wahrscheinlich mehr Symptom einer Durchgangsphase in der eigenen Entwicklung."
Diese letzte Einschätzung traf allerdings hinsichtlich der privaten und beruflichen Entwicklung des Beklagten nicht zu. In der Zeit vom 1. November 1966 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand zum 1. September 1995 legte der Beklagte als alleiniger Pfarrer der Kirchengemeinde L. schon bald den Schwerpunkt eindeutig auf die Kinder- und Jugendarbeit. Den Großteil seiner Arbeitszeit und darüber hinaus auch seiner Freizeit widmete er den jungen Gemeindemitgliedern. Er war ihnen nicht nur in kirchlichen Fragen, sondern auch zu allen anderen Bereichen, die für diese Altersgruppe von Interesse waren, ein jederzeit zugewandter Ansprechpartner und Ratgeber.
Diese Schwerpunktarbeit des Beklagten wurde dadurch begünstigt, dass sie den Familien, die ungeachtet der atheistisch geprägten Gesellschaftsordnung der ehemaligen DDR an ihrem evangelischen Glauben festhalten wollten, eine Möglichkeit eröffnete, ihre Kinder und Jugendlichen weiterhin in christlichem Sinne zu erziehen. Offiziell besuchten diese in Unterrichtsräumen des Pfarrhauses bis zum Konfirmandenunterricht die "Christenlehre" bei der damaligen (inzwischen bereits verstorbenen) Katechetin, Fräulein T. In der Folgezeit gingen sie dann zum Beklagten in den Konfirmandenunterricht, der in der Regel in den öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten der Gemeinde stattfand.
Der Beklagte bezog bei Dienstantritt im Pfarrhaus eine Dienstwohnung, die er, da sie genügend Platz bot, auch im hier relevanten Zeitraum von 1973-1979, mit der inzwischen verstorbenen Witwe und mit der Tochter seines Vorgängers, Pfarrer U teilte, wobei die sanitären Anlagen als Gemeinschaftseinrichtungen genutzt wurden. Von August 1975 bis Juli 1979 erlaubte der Beklagte dem 1960 geborenen Zeugen Q, der damals in sehr beengten familiären Verhältnissen aufwuchs, nach dessen Konfirmation am 18. Mai 1975 im Pfarrhaus ein Mansardenzimmer zu bewohnen, welches nur über die Pfarrwohnung des Beklagten zu erreichen war. In dieser Zeit standen dem Zeugen für das Pfarrhaus alle nötigen Schlüssel zur Verfügung, so dass er ungehindert ein- und ausgehen konnte.
Das dem Beklagten allein zustehende geräumige Wohnzimmer entwickelte sich mehr und mehr für viele Kinder und Jugendliche der Gemeinde, die vom Beklagten persönlich ausgewählt wurden und damit zu seinem sog. Klub gehörten, zu einem beliebten Treffpunkt. Dort verbrachten sie mit Begeisterung unter der Aufsicht des Beklagten, den sie mit seinem Einverständnis flapsig zur Vermeidung der Anrede "Herr Pfarrer" auch als ihren "Chef" bezeichneten, ihre Freizeit mit gemeinsamen Gesellschaftsspielen bei Kaffee und Kuchen.
Der Beklagte weckte das Interesse der jungen Gemeindemitglieder zudem dadurch, dass er immer wieder Gegenstände (u.a. ein Mikroskop) besorgte und zur Verfügung stellte, die im sozialistischen Alltag der ehemaligen DDR privat nur selten erworben werden konnten. In dem Wissen, dass sich junge Menschen insbesondere für sportliche Angebote begeistern lassen, ermöglichte er ihnen, im Pfarrgarten Kricket und Boccia, sowie im Vorraum des Pfarrhauses Tischtennis zu spielen. Da dieser Vorraum sehr klein war, baute der Beklagte in Eigeninitiative mit Hilfe der Kinder und Jugendlichen auf dem Gelände des Pfarrgartens einen größeren Raum aus, der nicht nur als witterungsunabhängiger Stellplatz für die Tischtennisplatte diente, sondern auch als Konfirmandenraum genutzt werden konnte. Zusätzlich bot der Jugendraum dem Beklagten die Möglichkeit, eine Vielzahl von Geburtstagsfeiern, Faschingspartys und ähnlichen Festen zu organisieren, was ebenfalls bei den jungen Gemeindemitgliedern auf große Resonanz stieß und das Ansehen und die Beliebtheit des Pfarrers stärkte.
So wurden das Pfarrhaus, der Pfarrgarten und der Jugendraum für viele junge Menschen aus der Gemeinde zu einer fast täglichen Anlaufstelle, zu einem Ort, an dem man den starren Strukturen des sozialistischen Systems der DDR entfliehen und Freiheiten entdecken konnte, die sie ansonsten ohne Reaktionen und Repressionen staatstragender Erzieher und Pädagogen nicht hätten genießen können. Darüber hinaus organisierte der Beklagte für die Kinder und Jugendlichen seiner Gemeinde eine Vielzahl von kirchlichen Freizeiten, die er auch begeistert persönlich leitete und beaufsichtigte. Obwohl dies jeweils mit viel Arbeit und Einsatz verbunden war, machte er dies gern, weil er alleinstehend und durch Pflichten gegenüber einer eigenen Familie nicht weiter belastet war.
Viele junge Menschen, die so in ihrer Jugend mit dem Beklagten Kontakt hatten, waren ihm dafür auch noch viele Jahre später zutiefst dankbar und verbunden. Sehr häufig nahmen sogar deren Kinder an der Konfirmandenvorbereitung der Gemeinde teil und profitierten von den Freizeitangeboten des Beklagten in ähnlicher Weise wie schon ihre Eltern. Dadurch, dass der Beklagte in der kirchlichen Jugendarbeit augenscheinlich sehr erfolgreich war, hatte er sowohl in der eigenen Gemeinde, in der es gleichwohl kritische Stimmen ihm gegenüber gab, als auch in den landeskirchlichen Aufsichtsgremien eine hohe Akzeptanz, die schließlich sogar soweit reichte, dass man die Fragwürdigkeit der Ausgestaltung einzelner Freizeitbeschäftigungen des Beklagten nicht erkannte.
2. Zum Kerngeschehen der dem Beklagten vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen trifft die Kammer die folgenden Feststellungen:
Im Rahmen seiner kirchlichen Jugendarbeit bot der Beklagte schon bald vorgeblich zum Abbau von Aggressionen den männlichen Gemeindemitgliedern als Ausgleichssport Ringkämpfe an, die von den Teilnehmern als "Kampeln" bezeichnet wurden. An diesen Ringkämpfen beteiligten sich nicht nur die Kinder und Jugendlichen, die den Pfarrhof regelmäßig besuchten. Auch der Beklagte selbst mischte sich sehr häufig nur mit einer kurzen Lederhose oder einer Turnhose und mit einem Unterhemd bekleidet, manchmal auch mit freiem Oberkörper in diese Rangeleien ein.
Zunächst fand dieses "Kampeln" nur im Pfarrgarten statt. Eigens zu diesem Zweck besorgte der Beklagte graue DDR-Einheitsturnmatten, die verhindern sollten, dass sich die Kinder und Jugendlichen auf der Wiese ihre Kleidung zu sehr beschmutzten und deshalb Ärger mit ihren Eltern bekamen. Darüber hinaus kaufte der Beklagte ca. 3-4 Turnhosen, die die Kampelteilnehmer vorgeblich aus demselben Grund jeweils über ihren Unterhosen anziehen mussten. Wenn der Beklagte an den Ringkämpfen teilnahm, ließ er jegliche, einem Pfarrer gebotene, professionelle Distanz vermissen. Er wälzte sich dann verschwitzt und mit hochrotem Kopf auf und zwischen den Kindern und Jugendlichen am Boden.
Nicht selten demonstrierte er seine körperliche Überlegenheit durch das sog. Muskelreiten. Dazu setzte er sich auf den auf dem Rücken liegenden Gegner, drückte mit den angewinkelten Knien dessen vom Oberkörper abgespreizten Oberarme gegen den Boden und rollte dann mit seinen Knien und Unterschenkeln über die Oberarmmuskulatur, was abhängig vom jeweiligen Krafteinsatz häufig sehr schmerzhaft war. Der Beklagte fand zunehmend Gefallen an diesen Kampelspielen. So beschloss er schon bald, ohne den Pfarrgemeinderat darüber zu informieren, diese (anders als Kissenschlachten, die er nicht mochte) auch im Wohnzimmer seiner Pfarrwohnung zu gestatten und wie im Pfarrgarten gewohnt selbst daran teilzunehmen. Dazu besorgte er ebenfalls als Unterlage eine sog. DDR-Einheitsmatte, die er hinter dem Kachelofen seines Wohnzimmers aufbewahrte und jeweils bei Bedarf hervorholte.
Der enge, hautnahe Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen hatte für den Beklagten allerdings nicht nur sportlichen Charakter. Der Pfarrer, der nach eigenen Angaben weder zum weiblichen noch zum männlichen Geschlecht intime Sexualkontakte hatte, verspürte bald, dass das "Kampeln" ihn auch sexuell stimulierte. Diese Erregungszustände waren schließlich so heftig, dass es bei ihm während der Rangelei mit den kindlichen und jugendlichen Körpern zu spontanen Samenergüssen (Pollutionen) kam, die ihn dann zwangen, den Ringkampf abzubrechen, hinauszugehen und sich zu säubern. Den meisten der dabei anwesenden Kinder und Jugendlichen verblieb dies allerdings aus sexueller Unwissenheit verborgen.
Obwohl der Beklagte nach den ersten sexuellen Empfindungen dieser Art wusste oder zumindest wissen musste, sich unter diesen Umständen der Gefahr einer Strafverfolgung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern bzw. Schutzbefohlenen auszusetzen, zumindest aber eine schwere Amtspflichtverletzung zu begehen, hielt ihn dies von einer weiteren Teilnahme an den Kampelspielen nicht ab. Er erkannte, dass diese Spiele ihm die Möglichkeit eröffneten, in einem für Außenstehende unverfänglichen sportlichen Szenarium allmähliche sexuelle Grenzüberschreitungen bis hin zum schweren sexuellen Missbrauch zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen unbemerkt zu begehen.
Als Pfarrer in der ehemaligen DDR genoss er bei den Gemeindemitgliedern ein besonderes Vertrauen. Das konnte er gezielt und unbemerkt nutzen, um Informationen über die Kinder und Jugendlichen zu sammeln, die für ihn als Zielpersonen seiner sexuellen Befriedigung in Betracht kommen konnten. So beobachtete er aufmerksam, welches Ansehen ein potentielles Opfer in der Gruppe hatte, welche Unterstützung es durch seine Eltern erfuhr und, ob es durch besondere Familiensituationen (Trennung der Eltern/häusliche Gewalt/Drogen- oder Alkoholprobleme) nachhaltig belastet und eingeschüchtert war.
Dabei wurde er bald auch auf die Zeugen F und I aufmerksam, die beide als gute Freunde gemeinsam seit Mitte 1973 im Alter von ca. 10 Jahren an der von der Katechetin Fräulein T geleiteten Christenlehre teilnahmen und deshalb regelmäßig das Pfarrgelände in L. aufsuchten. Es kam zu den ersten Kontakten mit dem Beklagten, der sie einlud, sein großzügiges und für DDR-Verhältnisse ungewöhnliches Freizeitangebot zu nutzen. Die beiden Freunde waren begeistert, im Freien Boccia und Kricket und im Jugendhaus Tischtennis spielen zu können. In der Folgezeit hielten sie sich nicht nur aus Anlass der Christenlehre, sondern darüber hinaus auch in ihrer Freizeit häufiger auf dem Pfarrgelände auf.
Der Zeuge F war ein schmächtiges Kind, das ein überwiegend liebevolles Verhältnis zu seiner Mutter hatte, aber von seinem eigentlich ruhigen und zurückhaltenden Vater des Öfteren unter anderem mit Gegenständen geschlagen worden war, so dass er erwachsenen Männern mit Vorsicht und Zurückhaltung begegnete. Der Beklagte bot dem Zeugen eines Tages an, ihm das Tischtennisspielen beizubringen. Diese Gelegenheit nutzte der Pfarrer zu ersten vorsichtigen Annäherungsversuchen. Der Beklagte schmiegte seinen Körper bei der vorgeblichen Spielanleitung zunehmend enger an den kindlichen Körper des Zeugen, was diesem zunächst nicht auffiel.
Parallel dazu lud der Beklagte den Zeugen F auch ein, an den oben bereits näher beschriebenen Kampelspielen zunächst im Pfarrgarten und später überwiegend im Wohnzimmer der Pfarrwohnung teilzunehmen. Der Zeuge F bemerkte bald, dass der Beklagte, wenn er beim "Kampeln" auf ihm kniete, einen roten Kopf bekam und, dass es plötzlich überall nass war. Zunächst dachte der Zeuge F, dass es sich bei der Feuchtigkeit um Schweiß gehandelt habe, dann stellte er aber fest, dass diese Feuchtigkeit klebrig war. Der Beklagte hatte, was der kindliche Zeuge bei dieser Gelegenheit aus sexueller Unwissenheit zunächst nicht erkannte, in diesem Moment einen der von ihm selbst nicht ausgeschlossenen Samenergüsse.
Diese wiederholten sich in der Gegenwart dieses Zeugen nachfolgend in unregelmäßigen Abständen. Der Beklagte kam insbesondere bei dem oben näher beschriebenen "Muskelreiten" auf den Oberarmen des Zeugen F, welches dieser als sehr schmerzhaft empfand, zum Orgasmus. Nachdem der Beklagte erkannt hatte, dass der Zeuge F auf diese Erlebnisse nicht reagiert und sich insbesondere keinen weiteren Personen anvertraut hatte, beschloss er, seine sexuellen Übergriffe zu verstärken.
Da im Pfarrgarten eine zu große Öffentlichkeit herrschte und die Gefahr bestand, dass unbeteiligte Dritte auf seine sexualbezogenen Ringkämpfe mit den Kindern und Jugendlichen aufmerksam werden konnten, verlagerte er diese - wie oben näher beschrieben - in sein Wohnzimmer im Pfarrhaus. Dorthin lud er den Zeugen F gemeinsam mit 2-3 anderen Kindern bzw. Jugendlichen, darunter auch häufig den Zeugen I, ein, um zunächst mit ihnen bei Kaffee und Kuchen Gespräche über Gott und die Welt zu führen, ihnen interessante Dinge wie z.B. sein Elektronenmikroskop vorzuführen, mit LEGO-Steinen zu spielen und seine Bernsteinsammlung zu zeigen.
Zu diesem auserwählten Kreis von Kindern und Jugendlichen, die der Beklagte besonders mochte und von denen er einige als mögliche Opfer seiner sexuellen Übergriffe im Auge hatte, gehörte auch wenig später V, der […] 1965 geborene und am 18. Mai 1980 ebenfalls vom Beklagten konfirmierte, jüngere Bruder des Zeugen F. Ob der Beklagte auch den bereits verstorbenen V sexuell missbraucht hat, ist von der Kammer wegen der Begrenzungswirkung der vorliegend durch drei (richtig ist: zwei) Nachtragsklagen modifizierten Disziplinarklagen nicht zu entscheiden.
Sobald der Zeuge F mit dem Beklagten allein oder in Anwesenheit von nur einem weiteren Besucher war, forderte der Beklagte zum "Kampeln" auf. Bei zwei Gegnern hielt sich der Beklagte zurück und beschränkte sich darauf, durch das Reiben mit dem durch seine Turn- oder Lederhose bedeckten Glied zum Samenerguss zu gelangen. Wenn der Beklagte allerdings mit dem Zeugen F allein war, versuchte er wiederholt, wenn er auf dem schmächtig gebauten Zeugen kniete, sein erregtes Glied in dessen Gesicht zu drücken, was der Zeuge jeweils angewidert dadurch verhindern konnte, dass er seinen Kopf zur Seite drehte.
Ein weiterer sexueller Übergriff des Beklagten zum Nachteil des Zeugen F bestand darin, ebenfalls wiederholt diesem in der Absicht an den Po zu fassen, dort zunächst mit den Fingern zu manipulieren und später nach seinem Tatplan auch mit seinem erregten Glied zu reiben oder gar zu penetrieren. Auch das wusste der Zeuge durch heftige Gegenwehr, d.h. durch Treten und Strampeln mit den Beinen jeweils erfolgreich zu verhindern.
In dem Zeitraum von Mitte 1974 bis zur Konfirmation Mitte 1979 nahm der Zeuge F an insgesamt mindestens 200 "Kampel"-Ringkämpfen im Pfarrgarten und in der Pfarrwohnung unter Mitwirkung des Beklagten teil, wobei es in unterschiedlichen Zeitintervallen zu insgesamt mindestens 30 mehr oder weniger schweren sexuellen Übergriffen der zuvor beschriebenen Art zum Nachteil dieses Zeugen kam. Wie der Beklagte es zunächst richtig eingeschätzt hatte, sprach der Zeuge F lange Zeit aus Scham und Angst mit niemandem über diese Vorfälle, auch nicht mit seinem damaligen Freund I. Dieser wurde - was der Zeuge F allerdings damals noch nicht wusste - vom Beklagten ebenfalls als mögliches Opfer seiner sexuellen Übergriffe ausgewählt.
Der Zeuge I war Mitte 1974 anders als sein Freund ein für sein damaliges Alter recht großes und nicht schmächtig gebautes Kind, das sich unter Gleichaltrigen durchaus zu behaupten wusste. Es wuchs in einem Elternhaus auf, das durch einen emotionsarmen Erziehungsstil seiner Mutter, vor allem aber durch das gewalttätige, zeitweilig auch sadistisch ausartende Auftreten seines Vaters geprägt war. Das löste bei dem Zeugen einen großen ängstlichen Respekt vor männlichen Erwachsenen aus, der auch in seinem Verhältnis zum Beklagten deutlich spürbar wurde.
Der Beklagte konnte nämlich ungeachtet seines zur Schau gestellten "kumpelhaften" Verhaltens gegenüber Kindern und Jugendlichen diesen bei widerspenstigem Verhalten streng und autoritär gegenübertreten und mit Aufmerksamkeits- und Privilegienentzug reagieren. Diese Angst erkannte der Beklagte, der auch Kontakt zum problematischen Elternhaus des Zeugen hatte, recht bald.
Als der Zeuge I im Rahmen der Teilnahme an der Christenlehre der Gemeinde seit Mitte 1973 regelmäßig das Pfarrgelände aufsuchte, war er wie sein Freund F von den dort durch den Beklagten geschaffenen Freizeitmöglichkeiten begeistert. Auch er bemerkte allerdings beim Tischtennisspielen, dass der Beklagte, der vorgeblich Anleitung geben und Hilfestellung leisten wollte, auffällig den körperlichen Kontakt suchte. Der Zeuge I ließ dies jedoch einfach geschehen. Bei Gelegenheit forderte ihn der Beklagte im Pfarrgarten auf, sich doch auch an den Ringkämpfen auf der Wiese zu beteiligen, was der Zeuge zunächst ebenfalls bereitwillig tat.
Nachdem er allerdings mehrfach erfahren musste, wie schmerzhaft das sogenannte Muskelreiten durch den Beklagten sein konnte, hielt er sich dabei aus Angst und Respekt zurück und wehrte sich, wenn er doch teilnahm, was in einem Zeitraum von fünf Jahren auf der Wiese im Pfarrgarten mindestens 50 mal der Fall war, fast gar nicht mehr. Spätestens seit Mitte 1974 folgte der Zeuge I - ebenso wie sein Freund F und dessen Bruder V - den Einladungen des Beklagten in dessen Wohnzimmer im Pfarrhaus, wo er fortan regelmäßig vor oder nach der Teilnahme an der Christenlehre und später am Konfirmandenunterricht neben anderen ausgewählten Kindern und Jugendlichen zu Gast war.
Diese Treffen sah der Beklagte nicht als Teil seiner seelsorgerlichen Tätigkeit als Gemeindepfarrer, sondern als Freizeitvergnügen an. Da er keine Angehörigen hatte, schuf er sich dadurch nach eigenen Angaben eine Art Ersatzfamilie. Diese Gelegenheit nutzte der Beklagte allerdings - wie oben bereits bezüglich des Zeugen F beschrieben - auch dazu, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Im Rahmen der Besuche beim Pfarrer forderte dieser den Zeugen I und die anderen anwesenden Kinder und Jugendlichen regelmäßig auch zum "Kampeln" auf der bereits oben beschriebenen Turnmatte auf. Wie draußen im Pfarrgarten mussten die Teilnehmer auf Geheiß des Beklagten die von ihm besorgten Turnhosen überziehen. Er selbst zog ebenfalls eine Sporthose oder seine Lederhose an. Bei den nachfolgenden Ringkämpfen mit den kindlichen und jugendlichen Besuchern wurde der Beklagte bereits durch den körperlichen Kontakt sexuell erregt.
Wenn er schließlich mit dem Zeugen I allein war, fand er im Zeitraum von Mitte 1974 bis zur Konfirmation des Zeugen am 27. Mai 1979 in unterschiedlichen Zeitintervallen in mindestens 150 Fällen die Gelegenheit, diesen zu seiner sexuellen Befriedigung bis hin zum Samenerguss zu missbrauchen. Dabei nutzte der Beklagte aus, dass der Zeuge aus ängstlichem Respekt vor ihm keinen Widerstand leistete, sondern sämtliche Übergriffe einfach geschehen ließ.
Diese gestalteten sich so, dass der Beklagte im Rahmen des Kampelns den kindlichen bzw. seit [...] 1977 jugendlichen Körper des Zeugen an sich zog, umklammerte und so in einen Zustand völliger Hilflosigkeit brachte, wodurch er hochgradig sexuell stimuliert wurde. Sodann rieb er sich mit seinem erigierten Glied daran, bis er in wenigen Minuten zum Samenerguss kam.
Als der Beklagte feststellte, dass der Zeuge ihn auch nach den ersten eindeutig sexuellen Übergriffen weiterhin in der Pfarrwohnung besuchte, und keinen Widerstand leistete, beschloss er, die Missbrauchshandlungen allmählich auszuweiten. Dazu ergriff er nach der Umklammerung seines Opfers dessen Po und versuchte zunächst mit dem Finger anal einzudringen, was ihm nach wiederholten, für den Zeugen schmerzhaften Versuchen auch gelang. Schließlich ging der Beklagte soweit, dass er mit seinem erigierten Glied entweder unmittelbar den Analbereich des Zeugen rieb oder gar in den Analbereich eindrang und seinen Samen dort verspritzte.
Infolge der Umklammerung war es für den Zeugen I zumeist nicht möglich festzustellen, ob die für ihn schmerzhafte Penetration des Analbereiches jeweils durch den oder die Finger oder durch den Penis des Beklagten verursacht wurde. Nachdem der Beklagte so jeweils innerhalb weniger Minuten zum Samenerguss gekommen war, löste er die Umklammerung, so dass der Zeuge I sich vom Sperma des Beklagten gründlich säubern und die Wohnung verlassen konnte.
Der Zeuge berichtete aus Angst und Scham während dieser Zeit und auch lange danach niemandem über die sexuellen Übergriffe des Beklagten. Auch andere Hausbewohner bzw. Besucher des Beklagten bemerkten davon nichts bzw. vermieden es, die Besuche des Zeugen I in der Wohnung des Beklagten zu thematisieren.
V. Die Kammer hat zu den oben getroffenen Feststellungen eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt, deren Ergebnis sie wie folgt zusammenfasst:
1. Zum persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten stützt sie sich auf dessen eigene Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2014, ergänzt durch die dazu gemachten Ausführungen in der Disziplinarklageschrift und in den zum Beklagten geführten und hier beigezogenen Personalakten (Bd. I und II).
2. Die Feststellungen zum Rahmengeschehen und zu den Sachverhalten, die die Vorwürfe von Amtspflichtverletzungen begründen sollen, beruhen zunächst in nicht unerheblichem Maße auf der dazu in derselben mündlichen Verhandlung abgegebenen persönlichen Einlassung des Beklagten. Darin bestreitet er zunächst durchweg - wie bereits gegenüber dem Ermittlungsführer im Disziplinarverfahren - mit Entschiedenheit, jemals in seinem Leben Kinder oder Jugendliche sexuell missbraucht, insbesondere mit ihnen Analverkehr durchgeführt zu haben.
Er behauptet, erst als Rentner erfahren zu haben, was Analverkehr überhaupt bedeute. Dagegen bestätigt er in vollem Umfang die Feststellung der Kammer, dass er schon frühzeitig in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv gewesen ist und sich dabei intensiv um Jugendliche gekümmert hat. Er gibt weiter an, nach dem frühen Verlust seiner Eltern und ohne Geschwister bewusst die Nähe zu den Gemeindemitgliedern und insbesondere zu deren Kindern gesucht und sich dadurch gleichsam eine eigene Familie mit eigenen Kindern geschaffen zu haben. Er beschreibt zudem die besagten, vielfältigen Freizeitmöglichkeiten und Aktivitäten in und um das Pfarrhaus herum, insbesondere die Errichtung eines "Kinderspielhauses" in einer Lücke im Pfarrgarten. Weiter berichtet er von einem 14-tägigen Urlaub auf einer Ostseeinsel, an dem V, der kleine Bruder des Zeugen F, teilgenommen habe. Auch die Feststellungen zu den Wohnverhältnissen im Pfarrhaus werden von ihm bestätigt.
Darüber hinaus räumt er ein, im Rahmen seiner Jugendarbeit auch das "Kampeln" eingeführt - und wie oben beschrieben - in all den Jahren seiner Pfarrertätigkeit sowohl im Pfarrgarten als auch in der Pfarrwohnung unter eigener Beteiligung gepflegt zu haben, wozu insbesondere die Beschaffung von Turnmatten und von ca. 3-4 Turnhosen gehörte.
Er schließt nicht aus, im Zusammenhang mit den "Kampeleien" damals unwillkürlich eine "Pollution" gehabt zu haben. In einem solchen Fall will er nach eigenen Angaben schnell zur Toilette gegangen sein um zu verhindern, dass die Kinder etwas davon bemerkten. Dort will er die Hose gewechselt haben, falls sie nass geworden sei. Zur Anwesenheit der ihn belastenden Zeugen auf dem Pfarrgelände gibt er an, dass I nicht in der Christenlehre bei ihm gewesen sein könne, weil er diese niemals geleitet habe. Der Zeuge habe lediglich über einen Zeitraum von 2-3 Jahren ein- bis zweimal in der Woche am Konfirmandenunterricht teilgenommen.
In dieser Zeit sei der Zeuge I aber nur einmal in der Wohnung des Beklagten beim "Kampeln" dabei gewesen. Das habe aber mit ihm keinen Spaß gemacht, weil er sich nicht an die Spielregeln des gegenseitigen "Kräftemessens" gehalten habe.
Der Zeuge F und sein Bruder V, die vom Beklagten als die "[…]" bezeichnet werden, waren nach seinen Angaben häufiger dabei. Der Beklagte hält den von I erhobenen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs in 300 Fällen für unbegreiflich und führt auch den entsprechenden Vorwurf des Zeugen F unter Hinweis auf dessen unterschiedliche Angaben in den Jahren 2010 und 2012 zu den Vorfällen auf eine negative Beeinflussung durch den Zeugen I zurück. Dieser habe dem Zeugen F konkretere Erinnerungen "eingefleischt".
Im Übrigen ist er der Auffassung, dass sich die ihm angelasteten Missbrauchshandlungen allein deshalb schon nicht ereignet haben können, weil in der ehemaligen DDR die Kirchen und insbesondere die Pfarrer in der Jugendarbeit unter der besonderen Beobachtung der Stasi gestanden hätten. Für diese wären etwaige Hinweise auf oder Anhaltspunkte für einschlägige Verfehlungen ein sicherer Anlass für staatliche Repressionen gewesen.
An ein vom Zeugen F beschriebenes Zusammentreffen des Beklagten mit dem Zeugen I in der Pfarrwohnung, anlässlich dessen es zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen beiden gekommen sei, vermag der Beklagte sich nicht zu erinnern.
Im Übrigen verweist der Beklagte auf die zahlreichen Verdienste, die er sich durch seine erfolgreiche Jugendarbeit in der Kirchengemeinde L. und auch später nach seiner Pensionierung in seinem aktuellen Wohnort erworben habe und benennt dafür eine Vielzahl von Zeugen, die das bestätigen und darüber hinaus bekunden sollen, dass es völlig abwegig sei, den Beklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bezichtigen.
3. Der Beklagte, der nach eigenen Angaben bereits zu DDR-Zeiten ein begeisterter Hobbyfotograf war, untermauert seine Einlassung durch die Vorlage einer Reihe von mit seiner Kamera gefertigten Farblichtbildern.
Diese dokumentieren anschaulich eine "große Rauferei im Pfarrgarten" zwischen Kindern des Konfirmationsjahrgangs 1975. Darauf ist auch der Beklagte zu erkennen, der sich mit einem roten Unterhemd und mit einer Lederhose bekleidet zwischen Kindern, die mit einer dünnen Turnhose und einem Unterhemd bekleidet sind oder einen freien Oberkörper haben, auf einer Stoffmatte wälzt.
Weitere, der Kammer überreichte schwarz-weiße Lichtbilder veranschaulichen folgende vom Beklagten in seiner Einlassung beschriebene Situationen:
- den Bau des Jugendhauses im Pfarrgarten und dessen anschließende Nutzung durch die Kinder und Jugendlichen der Gemeinde,
- den Eindruck von den Teilnehmern und der Stimmung einer vom Beklagten organisierten Faschingsparty aus Anlass seines Geburtstages,
- das nach eigenen Angaben kameradschaftliche "kumpelhafte" Verhältnis des Beklagten zu jugendlichen Besuchern im Wohnzimmer seiner Pfarrwohnung, das sich unter anderem darin widerspiegelt, dass der Beklagte auf dem Sofa sitzend von einem Jugendlichen in den "Schwitzkasten" genommen wird,
- Kinder aus dem Konfirmationsjahrgang 1975 beim Kaffeeschmaus in der Wohnung des Beklagten,
- Kinder aus dem Konfirmationsjahrgang 1991 bei Gesellschaftsspielen in der Wohnung des Beklagten,
- Jugendliche beim Besuch in der Wohnung des Beklagten im Sessel und auf dem Sofa sitzend sowie der Beklagte auf dem Fußboden sitzend und mit unter dem Tisch ausgestreckten Beinen gegen den Kaminofen gelehnt.
Die Kammer stellt zunächst einmal fest, dass die eigenen Angaben des Beklagten zur Entwicklung, zur Art und auch zum Umfang seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen während seines aktiven Berufslebens unstreitig sind, weil sie sich darin weitgehend mit den Angaben der vernommenen Zeugen decken. Zu den unstreitigen Tatsachen gehören insbesondere die vom Beklagten selbst beschriebenen und dokumentierten "Kampel"-Spiele im Pfarrgarten und in seinem Wohnzimmer im Pfarrhaus, an denen er selbst und der Zeuge F teilgenommen haben.
Darüber hinaus nimmt die Kammer das Eingeständnis des Beklagten zur Kenntnis, wonach er bei diesen Rangeleien sexuelle Erregungszustände bis hin zu einem unwillkürlichen Samenerguss (Pollution) nicht ausschließen kann.
4. Die über die eigene Einlassung des Beklagten hinausgehenden, oben weiter beschriebenen sexuellen Übergriffe beruhen auf den glaubhaften Aussagen der von der Kammer persönlich vernommenen und für glaubwürdig erachteten Zeugen F und I.
Die Kammer ist sich dabei der Tatsache bewusst, dass sich diese Aussagen im Wesentlichen auf Vorgänge beziehen, die bereits zum Teil mehr als 40 Jahre zurückliegen und in eine Zeit fallen, in der die Zeugen Kinder bzw. Jugendliche waren.
Die oben beschriebenen Sachverhalte hätten unzweifelhaft unter strafrechtlichen Gesichtspunkten auch nach dem seinerzeit gültigen Strafgesetzbuch der ehemaligen DDR die Tatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern bzw. des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen erfüllen können. Eine solche Überprüfung ist jedoch - wie oben näher beschrieben - wegen des absoluten Verfahrenshindernisses der Strafverfolgungsverjährung nicht mehr möglich gewesen.
Aus diesem Grund hat die Kammer diese Aussagen besonders kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen müssen. Sie konnte sich aus formalen Gründen auch nicht allein auf eine Verlesung der von den Zeugen beim Ermittlungsführer im disziplinarischen Vorermittlungsverfahren, dem LOStA i.R. L, gemachten Aussagen stützen. Der Kammer war es vielmehr wichtig, sich einen persönlichen Eindruck von den Zeugen und von deren Aussageverhalten zu verschaffen.
5. Zu Beginn der Beweisaufnahme hat die Kammer sich mit der bereits im Rahmen der disziplinarischen Vorermittlungen vom Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten aufgeworfenen Frage auseinandergesetzt, ob es zur Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugen F und I und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen bereits vor dem Eintritt in die mündliche Verhandlung der Einholung entsprechender Sachverständigengutachten bedurft hätte.
Das hat die Kammer in Anlehnung an die für das vorliegende Disziplinarverfahren entsprechend richtungsweisende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, die sich im Kern auch mit den insoweit maßgeblichen Prinzipien des Strafverfahrens deckt, zunächst aus folgenden Überlegungen für nicht erforderlich gehalten:
Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit vernommener Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen unter Berücksichtigung der vom Beklagten erhobenen Einwände ist grundsätzlich Sache des Gerichtes (zu vergl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 2010, Az.: 2 A 4.09). Ausnahmen sind nur dann gerechtfertigt, wenn besondere, in erheblicher Weise von den Normalfällen abweichende Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, über die das Gericht nicht verfügt (zu vergl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009, Az.: 5 Str 419/09, NStZ 2010, S.100; Urteil vom 18. August 2009, Az.: 1 StR 155/09, NStZ 2010, S. 51 jeweils m.w.N.).
Dies kommt überwiegend bei Verdachtsmomenten für eine die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigende Erkrankung in Betracht, nicht aber bereits bei den hier zur Begründung der Beweisanträge vorgetragenen sonstigen Umstände (die Zeugen seien bereits im Kindesalter Opfer gewalttätiger Übergriffe ihrer Väter geworden, bei beiden läge ein langjähriger Alkoholmissbrauch vor, der Zeuge I sei darüber hinaus - wie sich aus dem Buch ergebe - tablettenabhängig gewesen und habe sich längere Zeit in einer Suchtklinik und anschließend in einer psychotherapeutischen Behandlung befunden, beide Zeugen hätten die Vorwürfe gegenüber dem Beklagten erst viele Jahre nach den behaupteten Amtspflichtverletzungen erhoben).
Die Kammer, deren Vorsitzender hauptberuflich zeitweilig als beisitzender Richter in einer für Jugendschutzsachen zuständigen großen Strafkammer des Landgerichtes tätig war, sowie bei der Staatsanwaltschaft über viele Jahre die Sonderabteilung "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" geleitet und nicht nur in diesen Funktionen, sondern auch als Staatsanwalt an einer Vielzahl von Verfahren mit einschlägigen Fragestellungen mitgewirkt hat, konnte sich daher zunächst auf die in eigener hauptberuflicher Erfahrung gewonnene Sachkunde stützen.
Darüber hinaus sind der Vorsitzende und die beisitzende Richterin, die als Direktorin eines Amtsgerichtes in familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahren häufig psychologische Gutachten zu Aussagen von betroffenen Kindern zu bewerten hatte, in einem bei der Kammer anhängig gewesenen Verfahren, in welchem es um ähnliche Vorwürfe ging, bereits mit gleichgelagerten Beweisfragen konfrontiert worden.
Auf diesem Hintergrund sah die Kammer zunächst bei dem Zeugen F überhaupt keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass durch eine psychische Erkrankung mit medizinischem Hintergrund dessen Aussagetüchtigkeit hätte eingeschränkt sein können. Diese Einschätzung traf auch nach seiner Aussage im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2014 weiterhin zu.
6. Angesichts der Schwere der dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen und mit Blick auf die im Disziplinarverfahren geltende Unschuldsvermutung, für die auch der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" entsprechend gilt, hat die Kammer jedoch in Anknüpfung an das bezüglich des Zeugen I in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zur Frage der Aussagetüchtigkeit auch bezüglich des Zeugen F, dem von Seiten des Beklagten eine Borderline-Erkrankung unterstellt worden ist, ein entsprechendes fachmedizinisches Gutachten eingefordert.
Der zum Sachverständigen bestellte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom Institut für Forensische Psychiatrie der Charité - Universitätsmedizin kommt auf der Grundlage eines Studiums der vorliegenden Verfahrensakten nebst Beiakten und einer psychiatrischen Exploration sowie nervenärztlichen Untersuchung des Zeugen F am 5. Februar 2016 aufgrund der Kammer nachvollziehbar dargelegter Ergebnisse zu folgender Bewertung:
Bei dem Zeugen F liegt keine vorübergehende oder überdauernde psychische Störung vor, die eine Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Speicherung und Wiedergabe von Erlebnisinhalten begründen würde. Es lassen sich keine Aspekte nachweisen, die aus medizinischer Sicht die Aussagetüchtigkeit des Zeugen infrage stellen. Ob dessen Aussagen zutreffend sind oder nicht, unterliegt aus forensisch-psychiatrischer Sicht des Sachverständigen allein der rechtlichen Beweiswürdigung. Diese Einschätzung macht die Kammer sich zu eigen, was zur Folge hat, dass es zur Bewertung der Aussage dieses Zeugen darüber hinaus auf keinen Fall der Einholung des vom Beklagten geforderten aussagepsychologischen Gutachtens bedarf.
Im Rahmen dieser Bewertung ist die Besonderheit zu beachten, dass sich die dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen zum Nachteil des Zeugen F ohne große Mühe in ein unstreitig feststehendes Rahmengeschehen einordnen lassen, welches mit Blick auf die einem Teilgeständnis gleichkommende Einlassung des Beklagten eine Vielzahl von Realkennzeichen aufweist.
Das unterscheidet diese Aussage ganz wesentlich von anderen Aussagen zu Sachverhalten, die entweder nur wahr sein können oder von den vermeintlichen Opfern insgesamt erfunden worden sein müssen. Es geht vorliegend vornehmlich um die Frage, ob der Beklagte über die von ihm selbst eingeräumten "Kampeleien" mit Eigenbeteiligung und nicht auszuschließender sexueller Erregung hinaus im Wohnzimmer des Pfarrhauses versucht hat, auf die oben beschriebene, noch intensivere Art und Weise zum Samenerguss zu gelangen, und ob ihm dies wegen der Gegenwehr des Zeugen F nicht gelungen ist.
Die dazu von dem Zeugen im Rahmen einer ausführlichen Befragung gemachten Angaben sind für die Kammer glaubhaft und nachvollziehbar. Vor allen Dingen die Detailaussagen des Zeugen im Vorfeld der Disziplinarklage, die später vom Beklagten durch seine Einlassung unstreitig gestellt worden sind, lassen diese Aussage besonders glaubhaft erscheinen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Zeuge, insbesondere was die zeitliche Einordnung und die Anzahl der Geschehnisse anbelangt, sich korrigieren musste und zum Teil auch sich in Widerspruch gesetzt hat zu den Angaben gegenüber dem Zeugen Dr. H, gegenüber dem Untersuchungsführer, LOStA i. R. L und auch gegenüber der Kammer.
Derartige Teilerinnerungslücken, die im Übrigen auch bei dem Beklagten und den anderen Zeugen aufgetreten sind, hält die Kammer für nicht ungewöhnlich. Im Gegenteil ist sie der Auffassung, dass bei der Schilderung von Ereignissen, die zum Teil weit mehr als 40 Jahre zurückliegen, eine sofortige und durchweg genaue Datierung auffällig gewesen wäre.
In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass es im Laufe der mündlichen Verhandlung allen Beteiligten erst mit Hilfe der von der Kirchengemeinde L. beigezogenen Konfirmandenlisten gelungen ist, die jeweiligen Konfirmationsdaten der Zeugen zu ermitteln und diese als realen Anknüpfungspunkt für die Benennung von Zeiträumen und Ereignissen zu verwenden. Das hat nicht zuletzt eine Nachtragsanklage erforderlich gemacht, durch die der Endzeitpunkt der dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen auf Ende Oktober 1979 (= 6 Monate nach der Konfirmation am 27. Mai 1979) hinausgeschoben worden ist.
7. Die Kammer vermag auch nicht aus dem Umstand, dass der Zeuge den sexuellen Missbrauch durch den Beklagten erst mehr als 30 Jahre später bei der Landeskirche angezeigt hat, abzuleiten, dass die weitergehenden Vorwürfe unwahr sind. Die vom Zeugen dazu angeführte Begründung, nämlich aus Angst und Scham über lange Jahre geschwiegen und erst 2010 durch die ersten offenen Berichterstattungen über Fälle sexuellen Missbrauchs in der Evangelischen Kirche Deutschlands aufgerüttelt und an sein eigenes Schicksal erinnert worden zu sein, erscheint der Kammer plausibel und ist einmal mehr ein Beleg dafür, dass die Aufarbeitung einschlägiger Taten in den Landeskirchen sehr spät begonnen hat.
Dafür spricht nicht zuletzt auch der aus Sicht der Kammer unprofessionelle Umgang des damaligen Personaldezernenten der Klägerin mit den vom Zeugen F erteilten Informationen zu möglichen Amtspflichtverletzungen des Beklagten, wobei sich die Kammer einer Detailbewertung dieser Vorgänge ausdrücklich enthält.
Bestehende Unsicherheiten im Umgang mit einschlägigen Fallgestaltungen sind erst durch die im Jahre 2012 von der EKD herausgegebenen Hinweise für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung durch beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende im kirchlichen Dienst mit dem Titel "Hinschauen-Helfen-Handeln" beseitigt worden.
8. Die Intention des Zeugen F, der von der über die Pensionierung hinaus fortdauernden Arbeit des Beklagten mit Kindern und Jugendlichen in seinem jetzigen Wohnort erfahren hatte, dies um jeden Preis zu verhindern, ist für die Kammer gut nachvollziehbar.
9. Darüber hinaus ergeben sich weder aus den Aussagen des Zeugen selbst noch aus sonstigen Umständen Anhaltspunkte dafür, dass dieser - wie vom Beklagten behauptet - mit Blick auf in der Presse von der Politik angekündigte Opferentschädigungszahlungen im Zusammenhang mit sexuellen Missbrauchstaten den Beklagten zu Unrecht belasten wollte, um selbst in den Genuss solcher finanziellen Vorteile zu gelangen.
10. Für ebenso abwegig hält die Kammer den vom Beklagten vorgeschobenen Grund für eine Falschbezichtigung, nämlich eine späte Rache dafür, dass der Beklagte nicht ihn, sondern seinen jüngeren Bruder V zu einer 14-tägigen Ferienfreizeit auf eine Ostseeinsel eingeladen habe.
11. Die Kammer vermag zudem im Aussageverhalten des Zeugen F keine Anhaltspunkte dafür zu finden, dass der Zeuge sich an dem Beklagten wegen möglicher sexueller Übergriffe zum Nachteil seines Bruders V durch eine bewusste falsche Anschuldigung rächen und ihm unter Umständen sogar die Schuld an dessen frühen Tod zuweisen will.
Zwar gibt der Zeuge F an, diesen Verdacht gehabt und sich darüber auch mit seiner Tante, der Zeugin M, in vielen Gesprächen ausgetauscht zu haben; entsprechende Hinweise auf einen besonderen Zorn des Zeugen F gegenüber dem Beklagten ergeben sich aus der Aussage der Zeugin M vor der Kammer nicht. Entsprechende Schuldzuweisungen sind vom Zeugen weder damals noch heute gegenüber dem Beklagten erhoben worden. Solche sind auch nicht im Zusammenhang mit der vorliegenden Anzeige erhoben und deshalb auch nicht zum Gegenstand der vorliegenden Disziplinarklage gemacht worden.
12. Gegen ein Rachemotiv sprechen im Übrigen auch die sehr verzögerten und insoweit untypischen Reaktionen des Zeugen auf eine E-Mail des Zeugen Dr. H, mit welcher dieser um die Autorisierung eines gefertigten Vermerks zum Erstgespräch gebeten hat.
Der Zeuge F ist erst, nachdem er von den möglichen Taten zum Nachteil seines Freundes I erfahren hatte, in seinen Bemühungen um eine disziplinarrechtliche Verfolgung nachhaltiger und konsequenter geworden.
13. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Bewertungen zur Entstehung und zu den Intentionen der belastenden Aussagen des Zeugen F lassen sich in einem Zwischenfazit für die Annahme der sog. Nullhypothese zunächst keine brauchbaren Kriterien finden.
14. Die Kammer stützt parallel dazu ihre Überzeugung, dass der Beklagte sich auch gegenüber dem Zeugen I in dem oben beschriebenen Umfang sexuell fehlverhalten hat, im Wesentlichen auf dessen glaubhafte Angaben.
Ebenso wie beim Zeugen F hat das Gericht sich bei diesem Zeugen vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung die Frage gestellt, ob nicht mit Blick auf dessen besondere Biografie, die eindrücklich in dem von ihm gefassten Tagebuchroman beschrieben wird, bereits vorab die Einholung von Sachverständigengutachten zur Feststellung der Aussagetüchtigkeit des Zeugen und zur Glaubhaftigkeit seiner Aussage geboten gewesen wäre. Das hat die Kammer zunächst aus den bereits bezüglich des Zeugen F oben dargelegten Gründen verneint.
Nach Vernehmung des Zeugen Dr. J, der in der Suchtklinik als Therapeut für den Zeugen I zuständig war und diesem den Impuls gegeben hat, den vorgenannten Roman zu schreiben, und nach Vernehmung des nachbehandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, des sachverständigen Zeugen Dr. G, sah sich die Kammer veranlasst, wegen insoweit fehlenden medizinischen Sachverstandes durch Einholung eines Gutachtens zur Frage der Aussagetüchtigkeit des Zeugen die Grundlagen für eine eigene Glaubhaftigkeitsbeurteilung vorab zu überprüfen.
Der insoweit zum Sachverständigen bestellte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom Institut für Forensische Psychiatrie der Charité - Universitätsmedizin kommt auf der Grundlage eines Studiums der vorliegenden Verfahrensakten nebst Beiakten, einer psychiatrischen Exploration sowie nervenärztlichen Untersuchung des Zeugen I am 20. November 2015 und - mit dessen Einverständnis - einer Durchsicht der beigezogenen Krankenakten aufgrund nachvollziehbar dargelegter Ergebnisse zu folgender abschließenden Bewertung:
Bei dem Zeugen I liegt eine gemischte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und passiv vermeidenden Anteilen sowie eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit vor, die ihrerseits aber keine Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Speicherung und Wiedergabe von Erlebnisinhalten begründen.
Nach Auffassung des Sachverständigen sind sicherlich die persönlichkeitsbedingten Bewertungsmuster des Zeugen bei der juristischen Beurteilung motivationaler Zusammenhänge zu berücksichtigen. Aus dem beim Zeugen vorliegenden Störungsbild lassen sich aber keine Aspekte ableiten, die aus medizinischer Sicht seine generelle Aussagetüchtigkeit infrage stellen.
Ob seine Aussagen zutreffend sind oder nicht, ist nicht wesentlich anders zu beurteilen als bei sonstigen gesunden Zeugen. Diese Bewertung macht die Kammer sich in vollem Umfang zu eigen und legt sie ihrer nachfolgenden Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen zu Grunde.
15. Sie gibt darüber hinaus der Kammer keine Veranlassung, ein von dem Beklagten stets gefordertes aussagepsychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen. Das gilt insbesondere für den Einwand des Beklagten, der Sachverständige Dr. S habe im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens eine Borderlineerkrankung des Zeugen I nicht ausschließen können, so dass mangels eigener Sachkunde der Kammer gleichwohl die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens geboten gewesen wäre.
Dieser Einwand hätte seine Berechtigung, wenn der Beklagte allein durch den Zeugen I belastet worden wäre. Im vorliegenden Verfahren stehen der Kammer jedoch so viele Realkennzeichen zur Überprüfung des Wahrheitsgehaltes der Aussage des Zeugen I zur Verfügung, dass sie im Rahmen einer eigenverantwortlichen Beweiswürdigung ausschließen kann, dass eine solche Erkrankung vorliegt bzw. dass sie im konkreten Fall Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Zeugen gehabt hat.
16. Hinsichtlich der Intention des Zeugen I, die zu seinem Nachteil begangenen sexuellen Übergriffe des Beklagten doch anzuzeigen, stellt die Kammer zunächst fest, dass dieser - ebenso wie der Zeuge F - sehr lange geschwiegen hat. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang für die Kammer allerdings die Tatsache, dass dieser Zeuge die sich dabei immer wiederholende Schlüsselszene des Missbrauchs in seinem Tagebuchroman auf ungefähr eineinhalb Seiten komprimiert und doch sehr beeindruckend beschrieben hat.
Im Hinblick darauf, dass diese Beschreibung nicht sehr detailreich ist, stellt sich die Frage, ob es sich dabei nicht - wie vom Beklagten auch behauptet - um eine gänzlich erfundene, literarisch eindrucksvoll beschriebene Episode aus seinem bewegten Leben handelt, die der Zeuge I in sein Buch hat einfließen lassen, um dieses für den Leser noch interessanter zu gestalten. Diese Frage beantwortet die Kammer mit einem klaren Nein.
Das wäre ihr sicherlich nicht so einfach möglich gewesen, wenn Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens nur die vom Zeugen I erhobenen Vorwürfe gewesen wären. Aus Sicht der Kammer fügt sich aber auch dieses beschriebene Geschehen problemlos in das vom Beklagten selbst unstreitig gestellte Rahmengeschehen und durch den Zeugen F glaubhaft um schwerwiegendere sexuelle Übergriffe ausgeweitete Geschehen ein.
17. Durch die Befragung des Suchttherapeuten Dr. J, der im Rahmen der Behandlung des Zeugen I in der Reha-Klinik diesem den Impuls gegeben hat, in Form eines Tagebuches über insbesondere belastende Situationen des zurückliegenden Lebens nachzudenken und diese zu problematisieren, ist nachvollziehbar geworden, aus welcher Situation heraus das später veröffentlichte Buch entstanden ist.
Der Zeuge Dr. J, der zunächst von der Kammer vorsorglich als sachverständiger Zeuge geladen und auch belehrt worden ist, dessen Aussage wird hier aber lediglich als Zeugenaussage gewertet. Die Angaben zu seiner beruflichen Qualifikation insbesondere zu seiner Ausbildung zum Therapeuten reichten dem Gericht im vorliegenden Fall nicht aus, um seiner Aussage die Qualität der Aussage eines Sachverständigen beizumessen.
Gleichwohl vertraut die Kammer auf dessen Menschenkenntnis, die er im Laufe seiner Tätigkeit insbesondere im Umgang mit schwer suchtkranken Patienten gewonnen hat. Seine zusammenfassende Einschätzung, den Zeugen I nicht als typischen Suchtkranken erlebt zu haben, für den die Lüge zum Lebensmodell geworden ist, sondern als selbstkritischen Patienten, der ein großes Unrechtsbewusstsein gehabt und auch zu selbst begangenem Unrecht gestanden habe, wird von der Kammer uneingeschränkt geteilt.
18. Bestärkt wird die Kammer in ihrer Bewertung auch durch die Aussage des sachverständigen Zeugen Dr. G, der als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die Nachsorgebehandlung des Zeugen I im Anschluss an die Suchtbehandlung übernommen hat.
Dieser sachverständige Zeuge berichtet zur Person des genannten Patienten, dass dieser neben einem Alkoholproblem auch eine Persönlichkeitsstörung entwickelt habe, die nach seinen Erkenntnissen im Wesentlichen mit dessen gestörten Verhältnis zum Vater im Zusammenhang gestanden habe. Der Zeuge schließt nicht aus, dass diese Disposition bei manchen Menschen durchaus eine erhöhte Anfälligkeit begründen kann, Opfer eines sexuellen Missbrauchs zu werden. Auch dieser sachverständige Zeuge erklärt am Ende seiner Vernehmung zusammenfassend, dass ihm schwer ein Grund einfalle, warum der Zeuge einen Missbrauch nach so langer Zeit erfinden solle.
Im Hinblick darauf, dass der Zeuge I in seinem 385 Seiten umfassenden Roman diesem Missbrauch lediglich eineinhalb Seiten gewidmet und das Thema auch später nicht weiter aufgegriffen hat, geht die Kammer auch davon aus, dass der Zeuge selbst nach der langen Zeit innerlich mit dem erlittenen Missbrauch abgeschlossen hatte und zunächst nicht wollte, dass sich aus der Veröffentlichung für den Beklagten strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Weiterungen ergeben.
19. Dass es dazu letztlich doch gekommen ist, erklärt sich für die Kammer nachvollziehbar durch den dann - wie oben beschrieben - wieder aufgenommenen Kontakt des Zeugen I zu seinem Jugendfreund F.
Maßgeblich für die Überzeugungsbildung der Kammer ist letztlich der Eindruck, den sie von diesem Zeugen im Rahmen seiner persönlichen Vernehmung gewonnen hat. Die Kammer hat diesen Zeugen, dem es gestattet wurde, im Hinblick auf eine Empfehlung seines behandelnden Facharztes Dr. G, in Abwesenheit des Beklagten auszusagen, als einen tief betroffenen Menschen erlebt, dem es deutlich schwer gefallen ist, über das Missbrauchsgeschehen in seiner Kindheit und Jugend zu berichten.
Es waren bei dem Zeugen für die im Gerichtssaal Anwesenden deutlich sichtbare körperliche Reaktionen feststellbar, die nach dessen durch seinen behandelnden Arzt im Nachhinein bestätigte Aussage als sog. Flashbacks durch die aktuelle Erinnerung an Gerüche, Stimmen, Gefühle in der damals erlebten Situation ausgelöst wurden.
Nachvollziehbar und glaubhaft ist auch die Aussage des Zeugen, durch den langjährigen Missbrauch in seinem Sexualverhalten im Verhältnis zum weiblichen Geschlecht bis heute schwer betroffen zu sein, was sich insbesondere dadurch bemerkbar mache, dass er einen engen körperlichen Kontakt kaum ertragen könne. Das wirkt sich nach Angaben des Zeugen auch heute noch auf das Verhältnis zu seiner jetzigen Ehefrau aus, was die Kammer ihm bedenkenlos glaubt.
20. Die Kammer bezieht in eine kritische Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der beiden Belastungszeugen auch die Aspekte ein, die von dem Beklagten darüber hinaus vorgebracht worden sind. So lassen die Aussagen beider Zeugen nach Einschätzung der Kammer keine überschießende Belastungstendenz erkennen, die den Wahrheitsgehalt der Aussage insgesamt in Frage stellen könnte.
Der Zeuge F gibt insoweit an, dass der Beklagte bei vielen Gelegenheiten versucht habe, die sexuellen Übergriffe ihm gegenüber in der oben näher beschriebenen Art und Weise zu verstärken, dass es diesem aber wegen des starken Widerstandes niemals gelungen sei. Wenn der Zeuge tatsächlich aus Rachemotiven gehandelt hätte, hielte die Kammer eine vom Zeugen F nachgeschobene Behauptung für nicht abwegig, ebenso wie der Zeuge I vom Beklagten durch eine Penetration mit dem Finger oder dem erigierten Glied schwer sexuell missbraucht worden zu sein. Das ist aber nicht geschehen. Der Zeuge F blieb im gesamten Verfahren durchweg bei seiner ersten Version.
Ein entsprechendes Aussageverhalten kann die Kammer auch bezüglich seines mit dem Zeugen I gemeinsamen Besuches bei dem Beklagten in dessen Wohnung ungefähr ein halbes Jahr nach der Konfirmation im Jahr 1979 feststellen. Während er sich daran erinnern will, dass dieser Besuch nach einer blutigen, körperlichen Attacke seines Freundes I auf den Beklagten abrupt geendet habe, vermag sich Herr I trotz Vorhaltes durch die Kammer daran überhaupt nicht zu erinnern.
Der Beklagte selbst bestreitet, dass es einen solchen Vorfall gegeben hat. Auch insoweit spricht für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen, dass sie nicht versucht haben, in gegenseitiger Absprache diese Divergenz im Nachhinein zu korrigieren. Im Ergebnis glaubt die Kammer insoweit allerdings der Schilderung des Zeugen F, während nach ihrer Einschätzung beim Zeugen I insoweit eine Erinnerungslücke bestehen muss.
21. Abgesehen davon liegt nach Auffassung der Kammer die Besonderheit dieses Verfahrens eben darin, dass hier nicht die Aussage eines Geschädigten der bestreitenden Aussage des Beklagten entgegensteht, sondern dass zwei Opfer des Beklagten unabhängig voneinander in einem größeren zeitlichen Abstand zunächst nur den eigenen sexuellen Missbrauch durch den Beklagten in einem Tagebuchroman beschrieben bzw. zur Anzeige gebracht haben.
Auf diesem Hintergrund hält die Kammer die Behauptung des Beklagten, Opfer einer Verschwörung der beiden Zeugen geworden zu sein, für völlig abwegig. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass es bereits vor der Veröffentlichung des Buches im Jahre 2010 Kontakte zwischen den ehemaligen Freunden gegeben hat, im Rahmen derer sie sich verabredet haben könnten, fälschlich mögliche Amtspflichtverletzungen in Form von sexuellen Übergriffen des Beklagten an beiden gemeinsam anzuzeigen, gibt es nicht, so dass für die insoweit vom Beklagten nachhaltig behauptete "Verschwörungstheorie" aus Sicht der Kammer kein Raum ist.
22. Die Kammer ist weiter der vom Beklagten aufgeworfenen Frage nachgegangen, warum sich auf einen öffentlichen Aufruf der Landeskirche im vorliegenden Verfahren keine weiteren potentiellen Opfer des Beklagten als Zeugen gemeldet haben. Im Ergebnis ist das zwar richtig, es verwundert die Kammer aber nicht, weil es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach Täter eines sexuellen Missbrauchs immerzu bereit sind, sich wahllos an kindlichen und jugendlichen Opfern zu vergehen. Gerade im Hinblick auf die Gefahr des Entdecktwerdens beschränken sich solche Täter sehr häufig auf ein oder zwei Opfer, von deren Verschwiegenheit sie überzeugt sind und mit deren Hilfe sie regelmäßig ihren Geschlechtstrieb befriedigen können.
Ob und wie dies vor und nach dem hier in Rede stehenden mutmaßlichen Tatzeitraum der Fall gewesen ist, konnte und musste im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden. Die Kammer kann insoweit nicht ausschließen, dass die beiden Belastungszeugen F und I die einzigen Opfer des Beklagten geblieben sind, bei denen es über die von diesem selbst eingestandenen, bereits grenzüberschreitenden "Kampel"-Spiele hinaus zu schweren sexuellen Verfehlungen gekommen ist.
23. Der Beklagte wendet über seinen Verfahrensbevollmächtigten zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen ein, dass es in der ehemaligen DDR wegen der nahezu umfassenden Überwachung durch die Beamten des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) niemals unbemerkt zu einem sexuellen Missbrauch diesen Ausmaßes hätte kommen können.
Dazu stellt die Kammer zunächst einmal fest, dass es in der Tat nach den ihr vom Beklagten übermittelten Informationen aus der sog. Stasiunterlagenbehörde keinerlei Hinweise auf ein entsprechendes Fehlverhalten des Beklagten gegeben hat. Dabei geht die Kammer zu Gunsten des Beklagten davon aus, dass die in der vorgenannten Behörde vorhandenen Unterlagen zur Person des Beklagten noch vollständig und nicht verfälscht sind. Versuche der Kammer, den Aufenthalt des Zeugen W zu ermitteln, der damals nach Angaben des Beklagten als informeller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen sei und sich häufiger auf dem Pfarrgelände und in der Nähe aufgehalten habe, sind ergebnislos verlaufen. Die Kammer geht insoweit zu Gunsten des Beklagten davon aus, dass dieser Zeuge damals in der Tat keine Feststellungen getroffen hat, die ihn hätten veranlassen können, das Ministerium für Staatssicherheit über mögliche sexuelle Verfehlungen des Beklagten zu unterrichten.
In diesem Zusammenhang sieht sich die Kammer jedoch zu der Bemerkung veranlasst, dass der weit verbreitete Mythos, es habe in der ehemaligen DDR wegen der Überwachung durch die Stasi keine sexuellen Verfehlungen kirchlicher Mitarbeiter gegeben, längst durch eine Vielzahl einschlägiger Verfahren, die häufig erst viele Jahre nach der Wiedervereinigung in Gang gekommen sind, widerlegt worden ist.
24. Auch der Hinweis des Beklagten auf die bereits verstorbene, strenge Katechetin T, die sich sicherlich bei dem geringsten Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch durch den Beklagten an den Gemeindekirchenrat gewandt hätte, geht insofern fehl, als der Beklagte selbst durch die von ihm überreichten Fotos zu "Kampeleien" im Pfarrgarten dort öffentlich einsehbare Situationen dokumentiert hat, die aus Sicht der Kammer eines Pfarrers unwürdig und eindeutig grenzüberschreitend sind und als solche auch von einer strengen Katechetin hätten bemerkt und beanstandet werden müssen, was aber nicht geschehen ist.
Das gilt in gleicher Weise auch für die Mitglieder des Gemeindekirchenrates, die ebenfalls im Laufe der vielen Jahre die "Kampeleien" im Pfarrgarten unter Beteiligung des Beklagten nicht bemerkt oder bemerkt, aber nicht gerügt haben. Über die "Kampeleien" in der Wohnung sind sie nach Angaben des Beklagten zudem nicht informiert gewesen.
25. Darüber hinaus stellt die Kammer fest, dass der Beklagte bereits im vorbereitenden Verfahren eine Vielzahl von Solidaritätsschreiben erhalten hat, in denen ihm Menschen aus seinem damaligen und heutigen privaten und beruflichen Umfeld bestätigt haben, dass sie die von den Zeugen I und F erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs für völlig abwegig halten.
Diese Schreiben vermögen aus Sicht der Kammer allein den Eindruck zu bestätigen, den sie persönlich in einer Gesamtschau der ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel von der Lebensleistung des Beklagten gewonnen hat. Danach geht die Kammer davon aus, dass sich der Beklagte nicht nur in seiner aktiven Zeit als Pfarrer, sondern auch über seine Pensionierung hinaus in besonderem Maße in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert hat und dabei für viele Menschen zu einem wichtigen Lebenshelfer geworden ist.
Auf der anderen Seite schließt dies aber nicht zwingend aus, dass der Beklagte die dadurch geschaffenen Möglichkeiten […] aus selbstsüchtigen Motiven heraus dazu genutzt hat, seine sexuellen Bedürfnisse durch den Missbrauch ihm anvertrauter Kinder und Jugendlicher zu befriedigen. Diese Reaktionen belegen aus Sicht der Kammer, wie geschickt, nahezu perfide der Beklagte es geschafft hat, in den damaligen DDR-Strukturen eine vermeintliche Oase zu schaffen, in der Eltern und Erzieher ihre dorthin zur Christenlehre bzw. zum Konfirmandenunterricht geschickten Kinder und Jugendlichen als besonders betreut ansahen.
Insbesondere die als pädagogisch wertvolle Sportveranstaltungen deklarierten Ringkämpfe, die der Beklagte bezeichnenderweise noch im vorliegenden Verfahren nachhaltig als solche zu verteidigen suchte (das Zitat von Professor Felix von Cube, einem Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Heidelberg: "Ringen und Raufen in der Schule und sogar schon im Kindergarten bauen Aggressionen ab und verbessern die soziale Einstellung der Kinder"), belegen das Geschick, mit dem es ihm gelungen ist, sein Umfeld über die wahren, der Kammer nunmehr aber eröffneten Hintergedanken zu täuschen.
Im Grundsatz stimmt die Kammer sogar mit ihm in der Bewertung des Ringkampfes als willkommener sportlicher Ausgleich für Kinder und Jugendliche überein; sie sieht das Problem allein darin, dass der Beklagte sich selbst an den Ringkämpfen beteiligt und dadurch jegliche professionelle Distanz zu den ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen hat vermissen lassen.
26. Die zu den Wahrnehmungen seines damaligen Umfeldes durchgeführten Zeugenvernehmungen von insbesondere ehemaligen Konfirmandinnen und Konfirmanden des Beklagten aus der hier in Betracht kommenden Tatzeit bestätigen deshalb weitgehend die von der Kammer umschriebene, anerkennende Einschätzung der Kinder- und Jugendarbeit des Beklagten.
Darüber hinaus sind diese Aussagen für die Kammer aber auch ein zusätzlicher Beweis für das im wesentlichen unstreitige Rahmengeschehen, in welches die Missbrauchsvorwürfe eingeordnet werden müssen. Auffällig für die Kammer ist bei einigen Zeuginnen und Zeugen die Tendenz, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen I und F und der (richtig ist: die) Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen massiv in Abrede zu stellen.
27. Besonders deutlich ist dies für die Kammer durch die Aussage des Zeugen Q geworden, der als ehemaliger Konfirmand des Beklagten und als dessen späterer Untermieter aus wohl großer Dankbarkeit für damals geleistete Unterstützung ausgesagt hat, nichts von sexuellen Übergriffen des Beklagten in dessen Wohnung mitbekommen zu haben, da er dazu damals ungehinderten Zutritt gehabt habe.
Der Zeuge bekundet allerdings auch, dass es zumindest zu seiner Zeit keine "Kampelspiele" in der Wohnung des Beklagten gegeben und er insbesondere auch keine eigens dafür vorgesehene Turnmatte gesehen habe. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte selbst dies gegenüber der Kammer bestätigt hat und der Zeuge trotz Vorhaltes durch den Vorsitzenden bei seiner Aussage geblieben ist, besteht insoweit sogar der Verdacht einer Falschaussage.
28. Ein ehemaliger Dienstvorgesetzter des Beklagten, der Probst im Ruhestand N, musste nach anfänglichen schriftlichen Solidaritätsbekundungen mit dem Beklagten in seiner Zeugenvernehmung einräumen, dass aus seiner Sicht in jedem Fall die "Kampeleien" in der Wohnung des Beklagten Anlass für ihn gewesen wären, dienstlich dagegen einzuschreiten.
Im Übrigen ist auch bei ihm - ebenso wie bei dem anderen Dienstvorgesetzten, dem Zeugen Probst im Ruhestand X - deutlich erkennbar, den Beklagten als eine Person darzustellen, von der man sich nicht vorstellen könne, dass sie die ihm zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen begangen habe.
Das ist für die Kammer in gewisser Weise auch verständlich, weil diese Zeugen ja durch die aktuelle Aussage, von etwaigen Amtspflichtverletzungen des Beklagten gewusst zu haben, selbst eingestehen müssten, ihre Dienstaufsicht seinerzeit nicht richtig wahrgenommen zu haben. Diese Aussagen sind daher zumindest auch nicht geeignet, etwaige Zweifel an der Richtigkeit der Vorwürfe zu begründen.
29. Zusammenfassend betont die Kammer vorab an dieser Stelle grundlegend, dass sie angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Eingrenzung in zeitlicher Hinsicht und bezüglich der genauen Anzahl der einzelnen sexuellen Übergriffe sicher davon überzeugt ist, dass es die festgestellten Amtspflichtverletzungen gegeben hat. Die Kammer ist dabei aber stets zu Gunsten des Beklagten von der ihm günstigsten Anzahl der Amtspflichtverletzungen ausgegangen.
Dabei hat sich die Kammer bezüglich des erstgenannten Aspekts davon leiten lassen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, deren Leitgedanken hier weiterhin entsprechend zu berücksichtigen sind, bei gleichförmig verlaufenden Serienstraftaten in länger andauernden Missbrauchs-beziehungen an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen.
Der Tatrichter muss sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Amtspflichtverletzungen gekommen ist. Dabei steht nicht in erster Linie die Ermittlung einer Tatfrequenz, sondern die des konkreten Lebenssachverhalts im Vordergrund; dieser ist ausgehend vom Beginn der Tatserie mit den unterschiedlichen Details etwa zu Tatausführung und Tatort der einzelnen Taten in dem gegebenen Tatzeitraum (notfalls auch ohne genaue zeitliche Einordnung und lediglich unter Festlegung einer Mindestzahl der begangenen Delikte) nach dem Zweifelssatz festzustellen und abzuurteilen (zu vergl. BGH, NStZ 2009,444-445, über juris, Rn. 12; BGH ST 42,107-112, über juris, Rn. 12; BGH, Beschluss vom 10. Juni 1994,3 St 361/92, über juris, Rn. 7).
30. Daran anknüpfend legt die Kammer den Zeitraum, in welchem der Beklagte mit dem Zeugen F im Pfarrgarten und in seiner Wohnung gekampelt hat dahingehend fest, dass der Zeuge angegeben hat, nicht sofort Mitte 1973, sondern erst einige Zeit später an den vorbezeichneten Ringkämpfen teilgenommen zu haben. Die Kammer legt daher den Anfangszeitpunkt auf Mitte 1974 fest. Den Endzeitpunkt bestimmt sie mit dem Datum der Konfirmation des Zeugen.
Bis zum 27. Mai 1979 kann die Kammer davon ausgehen, dass der Zeuge F aus Anlass der Christenlehre und des Konfirmandenunterrichtes jeweils mindestens einmal in der Woche das Pfarrgelände aufgesucht und bei dieser Gelegenheit mit dem Beklagten gekampelt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Kammer auch bedenkenlos annehmen, dass der Beklagte als Pfarrer die Verantwortung für die gesunde, natürliche, körperliche und geistige Entwicklung des bis dahin noch nicht 16 Jahre alten, ihm damit schutzbefohlenen Zeugen F hatte.
Unter Berücksichtigung eines möglichen Tatzeitraumes von fünf Jahren und einer im Großen und Ganzen regelmäßigen Teilnahme des Zeugen F an der Christenlehre und am Konfirmandenunterricht geht die Kammer in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" von mindestens 200 Ringkämpfen mit dem Beklagten aus, wobei es in im einzelnen nicht mehr nachvollziehbaren Zeitintervallen zu insgesamt mindestens 30 mehr oder weniger schweren sexuellen Übergriffen der zuvor beschriebenen Art zum Nachteil dieses Zeugen gekommen ist.
31. Bezüglich des Zeugen I geht die Kammer ebenfalls von den vorgenannten Kriterien für die Bestimmung des Anfangs- und des Endzeitpunktes der Missbrauchshandlungen aus.
Da die Zeugen F und I damals Freunde waren und nach eigenen Angaben den Großteil ihrer Freizeit gemeinsam verbracht haben, geht die Kammer auch hier in einem Zeitraum von fünf Jahren von mindestens 200 Ringkämpfen aus, die der Beklagte mit dem ihm ebenfalls als Schutzbefohlener anvertrauten Zeugen I ausgetragen hat.
Im Hinblick darauf, dass dieser sich nach eigenen Angaben insgesamt bei den Ringkämpfen im Pfarrgarten sehr zurückgehalten und meistens in der Wohnung vom Beklagten zur Teilnahme aufgefordert worden ist, geht die Kammer von mindestens 150 Ringkämpfen aus, anlässlich derer der Beklagte in der Wohnung allein den Zeugen I in der oben näher beschriebenen Art und Weise sexuell missbraucht hat. Dabei unterstellt die Kammer überdies zu Gunsten des Beklagten, dass in den 50 Fällen des gemeinsamen "Kampelns" im Pfarrgarten, an denen der Zeuge I teilgenommen hat, auch sein Freund, der Zeuge F, beteiligt war, so dass insoweit im strafrechtlichen Sinne von einer Tateinheit auszugehen ist. Die Zahl der „normalen Kampeleien“ beläuft sich beim Zeugen F daher auf 170 Fälle und beim Zeugen I auf 50 Fälle.
VI. Der Bemessung der vorliegend verhängten Disziplinarmaßnahme legt die Kammer unter Berücksichtigung von § 20 DG.EKD folgende Erwägungen zu Grunde:
Durch jede der zuvor beschriebenen Handlungen zum Nachteil der Zeugen F und I hat der Beklagte zur Überzeugung der Kammer auch jeweils eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung begangen.
Gemäß § 3 Abs. 1 DG.EKD verletzen Pfarrer ihre Amtspflicht, wenn sie innerhalb oder außerhalb des Dienstes schuldhaft ihnen obliegende Pflichten verletzen. Das gilt für Pfarrer insbesondere dann, wenn sie schuldhaft gegen die in der Ordination begründeten Pflichten verstoßen. Dies folgt aus dem für den Pfarrer damals geltenden Dienstrecht. Der Bewertungsmaßstab dafür ist dem Kirchengesetz über die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pfarrer in der Evangelischen Kirche der Union (Pfarrerdienstgesetz) vom 11. November 1960 (ABl.EKD 1961, S. 55) zu entnehmen, welches durch Beschluss über das Inkrafttreten des Kirchengesetzes des Pfarrerdienstgesetzes in der Kirchenprovinz Sachsen vom 5. September 1961 (ABl.EKD 1961, S. 324) zum 1. Januar 1962 wirksam geworden und bis zum Inkrafttreten des Pfarrerdienstgesetzes des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. September 1982 gültig war.
In der Präambel dazu heißt es: Das Amt des Pfarrers beruht auf dem der Kirche von ihrem Herrn gegebenen Auftrag zur Verkündigung des Wortes Gottes und zur Verwaltung der Sakramente. In der Ordination übernimmt der Amtsträger den Dienst der öffentlichen Ausrichtung dieses Amtes. Dieser Dienst findet im Pfarramt, dessen Aufgaben in den Kirchenordnungen (Grundordnungen) umschrieben sind, eine von der Kirche rechtlich geordnete Gestalt. Die mit der Ordnung des Pfarramtes gegebenen Pflichten und Rechte des Pfarrers werden durch den in der Ordination erteilten Auftrag begründet und begrenzt. Danach verletzt ein Pfarrer seine Amtspflicht auch, wenn er sich schuldhaft nicht amtsangemessen verhält.
Einen solchen Verstoß sieht die Kammer jeweils bereits darin, dass der Beklagte, der nach eigenen Angaben ein zölibatäres Leben führte, im Rahmen seiner Kinder- und Jugendarbeit in der Kirchengemeinde L eine den Umständen nach gebotene professionelle Distanz zu den ihm zur Christenlehre und zum Konfirmandenunterricht anvertrauten Gemeindemitgliedern nicht gewahrt hat.
Das gilt in vorwerfbarem Maße für die vom Beklagten initiierten und mit den Zeugen I und F durchgeführten Ringkämpfe (Kampeleien), an denen er jeweils in der oben näher beschriebenen Weise teilgenommen hat. Im Hinblick darauf, dass er selbst bei diesen augenscheinlich sehr engen Körperkontakten mit den Kindern bzw. Jugendlichen feststellen musste, dadurch auch unwillkürlich sexuell erregt zu werden, hätte er spätestens nach dem ersten Vorfall dieser Art jegliche Beteiligung daran einstellen müssen.
In jedem nachfolgenden Fall hat er danach vorsätzlich bzw. dies jeweils billigend in Kauf nehmend und damit bedingt vorsätzlich bei objektiver Betrachtung eindeutig grenzüberschreitend gehandelt und sich damit amtspflichtwidrig verhalten.
Die dem Beklagten darüber hinaus nachgewiesenen eindeutig sexuellen Handlungen stellen sich nach dem damals geltenden Strafrecht der DDR und der Bundesrepublik Deutschland als sexueller Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen, zum Teil tateinheitlich begangen, dar, waren aber bei der Anzeigeerstattung bereits verjährt, so dass eine rein strafrechtliche Bewertung vorab nicht erfolgen konnte und im vorliegenden Disziplinarverfahren auch nicht mehr erfolgen muss.
Sie stellen allerdings aus Sicht der Kammer besonders schwere Amtspflichtverletzungen dar. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist bei einem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen die besondere Persönlichkeits- und Sozialschädlichkeit aus folgenden Gründen zu berücksichtigen:
Übergriffe dieser Art stellen einen unnatürlichen Eingriff in die sittliche Entwicklung der Betroffenen dar, den diese wegen ihrer noch nicht ausreichend fortgeschrittenen Reife intellektuell und gefühlsmäßig nicht verarbeiten können. Derartige Verhaltensweisen greifen in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährden nachhaltig die harmonische Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft. Dem Opfer werden - typischerweise - erhebliche zumindest seelische Schäden zugefügt, deren Folgen ein ganzes Leben lang andauern können.
Zugleich benutzt der Täter die Betroffenen als Mittel zur Befriedigung seiner geschlechtlichen Triebe. Eine solche Herabminderung des Kindes oder Jugendlichen zu einem bloßen Objekt der Sexualität verletzt deren Menschenwürde und Persönlich-keitsrecht in elementarster Weise (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1989 - 1 D 141/86 -BVerwGE 83,303; BayVGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - 16 a D 08.1287, juris Rn.85).
Unter Beachtung dieser zum staatlichen Disziplinarrecht entwickelten Grundsätze, die auch für das kirchliche Disziplinarrecht entsprechend maßgeblich sind, stellen die dem Beklagten insgesamt nachgewiesenen Amtspflichtverletzungen Verfehlungen dar, die grundsätzlich geeignet sind, eine Entfernung aus dem Dienst zu rechtfertigen.
Ihnen kann daher nicht das Verfolgungshindernis der Verjährung entgegengehalten werden. Bei der Entscheidung, ob diese härteste Disziplinarmaßnahme auch im konkreten Fall auszusprechen ist, orientiert sich die Kammer an den richtungsweisenden Leitlinien des Beschlusses des Disziplinarhofes der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13. Februar 2013 - (DH.EKD) 0125/1-11-.
Danach besteht die Disziplinargewalt der Kirche nicht schrankenlos und ohne Bindung an allgemeine Grundsätze. Sie ist daher auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die auszusprechende Disziplinarmaßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Amtspflichtverletzung stehen und zur Realisierung der mit dem Disziplinarrecht verfolgten Zwecke geeignet und erforderlich sein. Je länger die Verwirklichung der Amtspflichtverletzung zurückliegt, die nur noch mit der schwersten Sanktion, nämlich der Entfernung aus dem Dienst geahndet werden kann, ist umso sorgfältiger bei der erforderlichen Abwägung des Verfolgungsinteresses des Dienstherrn mit den von der Entfernung aus dem Dienst einhergehenden Auswirkungen auf den Beklagten zu prüfen, ob die Zwecke des Disziplinarrechts noch die Verhängung dieser Sanktion rechtfertigen.
Der Beklagte ist im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer 83 Jahre alt. Er sieht sich seit Aushändigung der Disziplinarverfügung am 14. Juni 2012 mit den schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert und hat sich diesen auch in einer sich über zehn Verhandlungstage erstreckenden mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellt. Der Kammer ist dabei bewusst, dass in dieser Zeit die Lebensqualität des Beklagten erheblich eingeschränkt war, was sich nicht zuletzt gesundheitlich bei ihm durch depressive Zustände ausgewirkt hat.
Die ihm nunmehr angelasteten Amtspflichtverletzungen liegen zum Teil mehr als 40 Jahre zurück, so dass die Kammer in die gebotene Prüfung eingetreten ist, ob die Entfernung aus dem Dienst noch durch die die Disziplinargewalt legitimierenden Zwecke gedeckt ist. Ohne den geringsten Zweifel zu haben, geht die Kammer im vorliegenden Fall davon aus, dass die erwiesenen Amtspflichtverletzungen auch heute noch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesichts der Vielzahl und der Schwere der Vorwürfe keine andere Entscheidung als die Entfernung aus dem Dienst zulassen.
Besonders ins Gewicht fällt dabei für die Kammer, dass die Zeugen I und F durch die festgestellten Amtspflichtverletzungen Zeit ihres Lebens - zum Teil traumatisch - belastet sind. Die Kammer hat andererseits im vorliegenden Fall auch stets im Blick, dass sich der Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme insbesondere im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit ein hohes Ansehen verschafft hat, was sich nachhaltig auch in zahlreichen Solidaritätsbekundungen niederschlägt.
Diese Verdienste vermögen es aber nicht zu rechtfertigen, im vorliegenden Verfahren von einer Reaktion abzusehen und das Verfahren einzustellen. Dabei fällt vielmehr erschwerend ins Gewicht, dass der Beklagte, der um sein Ansehen wusste, dieses gleichsam als Schutzwall um sich aufbauen konnte, um dahinter lange Jahre im Verborgenen, die umschriebenen Amtspflichtverletzungen zu begehen.
Auch wenn mit Blick auf das Alter des Beklagten eine spezialpräventive Wirkung der vorliegenden Entscheidung nicht mehr eintreten kann, hält es die Kammer für geboten, aus generalpräventiven Gründen deutlich zu machen, dass sexuelle Übergriffe insbesondere dieser Art begangen durch Inhaber von Kirchenämtern nicht geduldet werden können und nachhaltig verfolgt werden müssen. Dabei ging es der Kammer insbesondere auch darum, angesichts allgemeiner, aber vorliegend auch konkreter Verfolgungsversäumnisse zur Wahrung der Integrität und der Glaubwürdigkeit der Kirche deren Funktionsfähigkeit konsequent unter Beweis zu stellen.
Die Kammer sieht daneben keine Veranlassung, dem Beklagten gemäß § 18 Abs. 1 S. 3 (richtig ist: S. 4) DG.EKD nach Maßgabe der §§ 81 und 82 DG.EKD einen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen, weil er dessen nicht würdig erscheint und auch für eine Bedürftigkeit nichts vorgetragen wurde.“
5. Gegen dieses seinem Verfahrensbevollmächtigten am 5. Dezember 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 5. Januar 2017 eingelegte und begründete Berufung des Beklagten.
Er rügt zum einen, dass die Kammer eine Äußerung des Beklagten rechtsirrig als „Teilgeständnis“ betrachtet habe. Zum anderen seien die Beweisanträge 47 Nr. 2 und 48 zu Unrecht zurückgewiesen worden; das Gericht habe insoweit keine eigene aussagepsychologische Sachkunde walten lassen dürfen. Zugleich beanstandet der Beklagte die Einschätzung der Disziplinarkammer, dass die Zeugen I und F glaubhafte Angaben gemacht hätten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Kirchengerichts der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Disziplinarkammer - vom 29. Juni 2016 aufzuheben und die Disziplinarklage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil, das sie auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens für zutreffend hält.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schrift-sätze der Beteiligten sowie die Personal-, Disziplinar-, Straf- und Gerichtsakten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat auch in Abwesenheit des Beklagten verhandeln und entscheiden konnte, da dieser hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (§ 7 DG.EKD i.V.m. § 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig (I.), hat aber in der Sache keinen Erfolg (II.).
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht bei der Disziplinarkammer innerhalb eines Monats nach der am 5. Dezember 2016 erfolgten Zustellung des vollständigen Urteils, nämlich am 5. Januar 2017, schriftlich eingelegt und begründet worden; die Begründung enthält einen bestimmten Antrag sowie im Einzelnen angeführte Gründe der Anfechtung (§ 68 Abs. 1 Sätze 2 und 4 DG.EKD).
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Disziplinarkammer hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte nach § 18 DG.EKD aus dem Dienst zu entfernen ist.
Denn dieser hat auch nach der Überzeugung des Senats durch seine Handlungen im Zeitraum von Mitte 1974 bis Ende Mai 1979 zum Nachteil des Zeugen I (ca. 50 „normale Kampeleien“ und mindestens 150 Fälle mit sexuellem Missbrauch) und des Zeugen F (ca. 170 „normale“ Fälle und mindestens 30 Fälle mit schweren sexuellen Übergriffen) vorsätzliche Amtspflichtverletzungen begangen (§ 3 Abs. 1 DG.EKD, Präambel zum Pfarrerdienstgesetz vom 11. November 1960 [ABl.EKD 1961, S.55] i.V.m. dem Beschluss über das Inkrafttreten des Kirchengesetzes des Pfarrerdienstgesetzes in der Kirchenprovinz Sachsen vom 5. September 1961 [ABl.EKD 1961, S. 324]).
Vorsätzliche Amtspflichtverletzungen waren sowohl durch die mit den Zeugen I und F durchgeführten Ringkämpfe (Kampeleien) als auch insbesondere durch die - sich als besonders schwere Amtspflichtverletzungen darstellenden - sexuellen Missbrauchshandlungen an den Zeugen.
Diese Feststellungen beruhen auf den durch die Disziplinarkammer erhobenen Beweisen, die der Senat, da sie verfahrensfehlerfrei erhoben und auch gewürdigt worden sind (hierzu 1.), seiner Entscheidung ohne erneute Beweisaufnahme zugrunde legt (hierzu 2.). Die Dienstentfernung ist bei Abwägung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Gesichtspunkte geboten und verhältnismäßig (hierzu 3.). Ein Unterhaltsbeitrag wird dem Beklagten nicht bewilligt (hierzu 4.).
1. Mit ihren gegen die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen bzw. gegen die ihnen vorangegangene Beweiserhebung und die Beweiswürdigung im Urteil der Disziplinarkammer gerichteten Rügen dringt die Berufung nicht durch.
Die von der Disziplinarkammer erhobenen Beweise sind verfahrensfehlerfrei erhoben worden und somit auch im vorliegenden Verfahren verwertbar. Die Berufung vermag des Weiteren keine Zweifel an der Richtigkeit der von der Disziplinarkammer aufgrund einer umfangreichen Beweisaufnahme und einer sorgfältigen und überzeugenden Beweiswürdigung zu den Anschuldigungen getroffenen Feststellungen zu wecken.
a. Die Berufung rügt zunächst eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte erstinstanzliche Protokollierung von Äußerungen des Beklagten, die die Disziplinarkammer demgemäß im Urteil fälschlicherweise als Teilgeständnis gewertet habe. Sie nimmt Bezug auf das Protokoll der Verhandlung vom 12. März 2014, in der der Beklagte vernommen worden war und in dem es heißt:
„Auf Befragen des Vorsitzenden Richters erklärt Herr A, dass er nicht ausschließen könne, damals unwillkürlich vielleicht eine Pollution gehabt zu haben. Wenn er so etwas gemerkt habe, sei er schnell auf die Toilette gegangen. Er habe vermeiden wollen, dass die Kinder etwas davon bemerken. Es sei richtig, dass es beim Kampeln mal passiert sein könnte.
Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob seine Hose nass gewesen sei, teilt Herr A mit, dass er sich daran nicht erinnere. Er sei immer gleich auf die Toilette gegangen. Hätte er bemerkt, dass seine Hose nass gewesen sei, hätte er sich eine neue angezogen.
Auf Befragen von Frau C erklärt Herr A, dass er sich nicht daran erinnern könne, dass es mal zu einer unwillkürlichen Urinausscheidung gekommen sei“ (UA S. 10).
In das angefochtene Urteil seien diese Äußerungen als Teilgeständnis eingeflossen:
„Er schließt nicht aus, im Zusammenhang mit den ‚Kampeleien‘ damals unwillkürlich eine ‚Pollution‘ gehabt zu haben. In einem solchen Fall will er nach eigenen Angaben schnell zur Toilette gegangen sein um zu verhindern, dass die Kinder etwas davon bemerkten. Dort will er die Hose gewechselt haben, falls sie nass geworden sei“ (UA S. 18).
„Darüber hinaus nimmt die Kammer das Eingeständnis des Beklagten zur Kenntnis, wonach er bei diesen Rangeleien sexuelle Erregungszustände bin hin zu einem unwillkürlichen Samenerguss (Pollution) nicht ausschließen kann“ (UA S. 20).
„Im Rahmen dieser Bewertung ist die Besonderheit zu beachten, dass sich die dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen zum Nachteil des Zeugen F ohne große Mühe in ein unstreitig feststehendes Rahmengeschehen einordnen lassen, welches mit Blick auf die einem Teilgeständnis gleichkommende Einlassung des Beklagten eine Vielzahl von Realkennzeichen aufweist“ (UA S. 22, 23).
Insoweit sei nach Auffassung der Berufung zum einen zu bemängeln, dass das Protokoll entgegen § 35 Abs. 2 DG.EKD nicht als Wortprotokoll, sondern in indirekter Rede geführt worden sei. Weil der Beklagte nicht von einer Erinnerung berichtet habe, sondern den von der Kammer als belastend gewerteten Vorgang nur nicht habe „ausschließen“ können, liege nahe, dass die von der Niederschrift verschwiegene Frage des Vorsitzenden eine den Beklagten auch angesichts seines Alters und seiner ausgeprägten - in den Urteilsgründen ebenfalls unerwähnt gebliebene - Schwerhörigkeit überfordernde Suggestivfrage gewesen sei, deren Einfluss auf den Inhalt der Äußerung die Kammer rechtsfehlerhaft nicht erörtert habe.
Zum anderen handele es sich bei den o.g. Äußerungen nicht um ein „Geständnis“, da Inhalt eines Geständnisses nur von der betroffenen Person wahrgenommene Tatsachen sein könnten. Demgegenüber habe der Beklagte auf Befragen nur eine bloße Möglichkeit eingeräumt.
Diese Einwendungen bleiben erfolglos.
Die für das Vorverfahren einschlägige Vorschrift des § 35 Abs. 2 DG.EKD, wonach die bei allen Anhörungen und Beweiserhebungen erforderliche Niederschrift entweder durch Wortprotokoll oder unmittelbare Aufnahme sowie vorläufig durch eine Tonbandaufnahme erstellt werden kann, gilt für das Gerichtsverfahren nicht. Vielmehr finden insoweit § 7 DG.EKD i.V.m. §§ 173 VwGO, 159 ff. ZPO Anwendung. Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 Hs. 1 ZPO sind im Protokoll u.a. die Aussagen der vernommenen Parteien festzustellen. Deren wörtliche Wiedergabe ist jedoch nicht zwingend vorgesehen; möglich ist auch die Wiedergabe einer Aussage in indirekter Rede.
Bei der des Weiteren geäußerten Vermutung der Berufung, die der Antwort des Beklagten zugrundeliegende Frage des Vorsitzenden der Disziplinarkammer sei eine „Suggestivfrage“ gewesen, handelt es sich um reine Spekulation, ebenso wie bei der Vermutung, der Beklagte sei aufgrund seines Altes und seiner Schwerhörigkeit mit der Frage überfordert gewesen.
Vielmehr hat der Beklagte die Frage beantwortet, was entsprechend protokolliert und auch später nach Zustellung des Protokolls an seinen damaligen Verfahrens-bevollmächtigten (am 22. April 2014) nicht moniert worden ist. Seine Verfahrens-bevollmächtigte hat zu der Sitzungsniederschrift vom 12. März 2014 zwar am 3. Juni 2014 einen Protokollberichtigungsantrag zu den Akten gereicht; die nunmehr gerügten Passagen sind dort jedoch nicht beanstandet worden. Auch die Hinweise des Beklagten zu diesem Protokoll (vgl. GA II, Bl. 356a Anlage 3) enthalten keine monita zu den nunmehr gerügten Passagen. Eine solche Beanstandung nach mehr als drei Jahren unterliegt der Verwirkung.
Ohne Erfolg ist ferner der Einwand, das erstinstanzliche Gericht habe zu Unrecht einen Teil des Sachverhalts als vom Beklagten eingestanden angesehen.
Entgegen der Darstellung der Berufung hat der Beklagte in seiner Aussage nicht nur bloße Möglichkeiten eingeräumt, sondern sehr wohl auch Beschreibungen und Schilderungen gegeben. So hat er erklärt, er sei schnell auf die Toilette gegangen, wenn er so etwas gemerkt habe und habe vermeiden wollen, dass die Kinder etwas bemerken. Er habe die Hose gewechselt, wenn sie nass geworden sei. Auf Nachfrage erklärte er dazu, sich nicht daran erinnern zu können, dass es einmal zu einer unwillkürlichen Urinausscheidung gekommen sei.
Der Beklagte hat also Fakten sowie seine Intention geschildert und damit seine Aussage in einen realen und erlebnisfundierten Zusammenhang gestellt. Nichts anderes macht die erstinstanzliche Entscheidung:
Die Disziplinarkammer hat hier nicht eine bloße Schlussfolgerung des Beklagten übernommen und sie als Teilgeständnis gewertet, sondern seine Einlassung insgesamt in einen faktenorientierten Zusammenhang gestellt. Im Übrigen ist die zweite Nachtragsdisziplinarklage vom 5. März 2015 auf die genannten streitgegenständlichen Äußerungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 12. März 2014 gestützt worden, ohne dass der Beklagte insoweit später Gegenteiliges eingewendet hat. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, dass eine insoweit erfolgreiche Rüge den Urteilsgründen die notwendige sichere Grundlage entziehen könnte. Denn die sexuellen Erregungszustände bis zur Ejakulation (nicht: Pollution als lediglich unwillkürliche Ejakulation im Schlaf) sind auch von dem Zeugen I (vgl. Protokoll vom 12. März 2014, S. 11) und dem Zeugen F (Protokoll vom 12. Mai 2014, S. 21) geschildert worden. Folglich kann das „Eingeständnis“ des Beklagten hinweggedacht werden, ohne die erstinstanzliche Beweiswürdigung infrage zu stellen.
b. Die Ablehnungen der Beweisanträge 47 Nr. 2 und 48 lassen ebenfalls, entgegen der Auffassung der Berufung, keine Verfahrensmängel erkennen. Die Disziplinarkammer hat diese Beweisanträge zu Recht abgelehnt, so dass sie auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen bleiben (§ 69 Abs. 3 Satz 2 DG.EKD).
Ebenso wenig ist die von der Disziplinarkammer vorgenommene Beweiswürdigung zu beanstanden. Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 31 Abs. 3 Satz 1 DG.EKD wird über Beweisanträge nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. § 31 Abs. 3 Satz 2 DG.EKD bestimmt, dass ein Beweisantrag insbesondere abgelehnt werden kann, wenn ein Ablehnungsgrund nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) vorliegt. Für Beweisanträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gilt § 244 Abs. 3 und 4 StPO; sie können abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Hierbei entspricht es allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Partei, eines Zeugen oder sonstiger Prozessbeteiligter zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung gehört. Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter daher berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. Er ist dabei im Allgemeinen nicht auf sachverständige Hilfe angewiesen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 7. November 1973 - VI C 5.73 -, juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Ob sich die Gerichte der sachverständigen Hilfe eines in Bezug auf die Aussagepsychologie Fachkundigen bedienen wollen, haben sie - wie auch sonst beim Sachverständigenbeweis - nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
In aller Regel wird jedoch kein Ermessensfehler vorliegen, wenn die Tatsachengerichte sich die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung notwendige Sachkunde selbst zutrauen und auf die Hinzuziehung eines Fachpsychologen verzichten. Etwas anderes kann dann gelten, wenn im Verfahren besondere Umstände hervortreten, die in erheblicher Weise von den Normalfällen abweichen und die es deshalb geboten erscheinen lassen können, die Hilfe eines Fachpsychologen in Anspruch zu nehmen, wie etwa beim Vorliegen von Verdachtsmomenten für eine die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigenden psychischen Erkrankung des Zeugen (BVerwG, Urteil vom 7. November 1973, a.a.O., sowie Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 B 69.10 -, juris Rn. 21). Ein posttraumatisches Psychosyndrom aufgrund sexuellen Missbrauchs allerdings ist eine typische Folge eines traumatischen Erlebnisses und führt nicht dazu, dass ein Gericht verpflichtet wäre, ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2011, a.a.O., juris Rn. 21 a.E.).
Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen war die Hinzuziehung eines Fachpsychologen zur nachträglichen Begutachtung „zur Qualität und Validität“ der Aussage beider Zeugen nicht geboten (Beweisantrag 47 Nr. 2: Glaubwürdigkeits-prüfung).
Gerade die aufgrund des Beweisantrages 47 Nr. 1 eingeholten psychiatrischen Gutachten zur Aussagetüchtigkeit haben ergeben, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erinnerungsfähigkeit der Zeugen aus besonderen, psycho-diagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt gewesen ist oder dass besondere psychische Dispositionen oder Belastungen die Zuverlässigkeit der Aussagen in Frage stellen können.
Bei dem Zeugen I hat der Sachverständige zwar eine gemischte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, sah hierdurch aber die Aussagetüchtigkeit in keiner Weise beeinträchtigt. Hinsichtlich des Beweisantrages 48 ist die Disziplinarkammer von einer Traumatisierung des Zeugen I ausgegangen; da das Sachverständigengutachten hierdurch jedoch nicht die Aussagetüchtigkeit beeinträchtigt sah, liegen keine Umstände vor, aufgrund deren die Disziplinarkammer die Glaubwürdigkeit des Zeugen I und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht selbst hätte beurteilen können.
Dementsprechend hat die Kammer die Beweisanträge durch Beschluss vom 6. Juni 2016 zu Recht abgelehnt.
Die Disziplinarkammer hat im Übrigen in ihrem Urteil zutreffend ausgeführt, dass bei dem Zeugen F keinerlei psychische Erkrankung diagnostiziert worden war und daher noch nicht einmal Anhaltspunkte für die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu seiner generellen Aussagetüchtigkeit vorlagen (UA S. 22). Die Behauptung des Beklagten, der Zeuge F leide an einer Borderline-Erkrankung, war eine verfahrensbedingte Unterstellung.
Der entsprechende Beweisantrag (47 Nr. 1, ebenso 47 Nr. 2) war demgemäß ein Beweisantrag „ins Blaue hinein“ und hätte schon deswegen abgelehnt werden können. Die Disziplinarkammer hat insoweit dem Beweisantrag 47 Nr. 1 nur wegen der Schwere der dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen und der Unschulds-vermutung stattgegeben (UA S. 22).
Zwar ist „Aussagetüchtigkeit“ nicht mit „Glaubhaftigkeit“ gleichzusetzen. Aussagetüchtigkeit bedeutet die (generell-abstrakte) Fähigkeit eines Menschen zu einer richtigen und vollständigen Aussage. Sachverständige Hilfe durch einen Psychiater oder Psychologen kann dann angezeigt sein, wenn die Zeugentüchtigkeit möglicherweise durch Alkoholismus, eine geistige Erkrankung oder sonstige psychopathologische Ursachen beschränkt sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04 -, juris Rn. 22).
Bei der Prüfung der (konkreten) Glaubhaftigkeit einer Aussage geht es vorrangig um die Analyse des Aussageinhalts, d.h. um eine methodische Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben einem tatsächlichen Erleben des Zeugen entsprechen (BGH, a.a.O., juris Rn. 23).
Bei dem Begriff der Glaubhaftigkeit müssen drei psychologische Voraussetzungen vorliegen, damit Erlebnisgehalt und Zuverlässigkeit einer konkreten Aussage bestätigt werden können: Hierbei handelt es sich um 1. Aussagetüchtigkeit (Ausschluss individueller Leistungsdefizite), 2. Aussagequalität (Ausschluss intentionaler Falsch-aussagen) und 3. Aussagezuverlässigkeit/-validität (Ausschluss nicht-intentionaler Aussagefehler).
Hinsichtlich der Voraussetzungen 2. und 3. geht es darum, ob sich die vorliegenden Aussagen allein mit Rückgriff auf tatsächliche Erlebniserinnerungen erklären lassen. Ein Sachverständigengutachten hierzu hat die Disziplinarkammer jedoch zu Recht - wie ausgeführt - angesichts der vom Sachverständigen diagnostizierten Aussagetüchtigkeit und - zuverlässigkeit der beiden Zeugen verneint.
Zusätzlich zu den Gründen in dem die Beweisanträge 47 Nr. 2 und 48 ablehnenden Beschluss der ersten Instanz vom 6. Juni 2016 hat die Disziplinarkammer im Urteil vom 29. Juni 2016 ergänzende Ausführungen dazu gemacht, wieso sie sich in der Lage sah, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen I und F selbst zu beurteilen. Solche ergänzenden Ausführungen zu einem bereits ergangenen Beschluss, mit denen ein Beweisantrag abgelehnt worden ist, sind zulässig.
Zugleich nimmt die Disziplinarkammer dort auch die erforderliche Beweiswürdigung vor, aufgrund derer sie zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Beklagte die ihm zu Last gelegten Amtspflichtverletzungen begangen hat. Diese Beweiswürdigung ist anhand der vorliegenden Vernehmungsprotokolle und der sonstigen Beweiserhebung nachvollziehbar und schlüssig.
Die Berufung vermag mit ihren Rügen (hierzu c. bis l.) weder die Ablehnung der beiden Beweisanträge noch die vorgenommene Beweiswürdigung der Disziplinarkammer mit Erfolg in Zweifel zu ziehen.
c. Bezogen auf die Ablehnung des Beweisantrags 47 Nr. 2 rügt der Beklagte Folgendes:
Der Sachverständige Dr. S sei zwar in seinem Gutachten über den Zeugen I zu dem Ergebnis gelangt, dass dessen Aussagetüchtigkeit nicht wesentlich anders zu beurteilen sei als bei sonstigen gesunden Zeugen; entscheidend sei jedoch die mündliche Vernehmung, in der der Sachverständige auf die Möglichkeit hingewiesen habe, dass der Zeuge I an einem borderline-Syndrom erkrankt sei, und ausgeführt habe, dass eine genaue Überprüfung im Rahmen der Glaubwürdigkeits-untersuchung erfolge.
Aufgrund dessen hätte - nach Auffassung des Beklagten - die Disziplinarkammer ein Glaubwürdigkeitsgutachten einholen müssen, da das mündlich in der Verhandlung am 6. Juni 2016 erstattete, nicht jedoch das schriftliche Gutachten maßgeblich sei. Sie habe auch zugestanden, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens nötig gewesen wäre, wenn der Beklagte allein durch den Zeugen I belastet worden wäre. Aufgrund von vielen Realkennzeichen im Rahmen einer eigenverantwortlichen Beweiswürdigung habe sie jedoch ausgeschlossen, dass eine borderline-Erkrankung vorliege bzw. eine solche Erkrankung im konkreten Fall Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Zeugen gehabt habe. Damit habe sich die Disziplinarkammer medizinische und aussagepsychologische Sachkunde angemaßt, aber in den Urteilsgründen nicht belegt.
Diese Rüge geht fehl. Das schriftliche Gutachten bereitet die Begutachtung durch den Sachverständigen in der Verhandlung nur vor; es wird in der mündlichen Verhandlung dargelegt und erläutert. Nur wenn das mündlich erstattete Gutachten dem vorbereitenden Gutachten in entscheidenden Punkten widerspricht, muss sich das Gericht mit diesen Widersprüchen auseinandersetzen und nachvollziehbar darlegen, warum es das eine Ergebnis für zutreffend, das andere für unzutreffend erachtet (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 4 StR 120/04 -, juris Rn. 4).
An derartigen Widersprüchen fehlt es vorliegend. Der Sachverständige hat sowohl in seinem schriftlichen als auch in seinem mündlich in der Verhandlung erläuterten Gutachten die Aussagetüchtigkeit beider Zeugen bejaht. Bezogen auf die Erkrankung des Zeugen I diagnostizierte er in seinem schriftlichen Gutachten, was er auch mündlich erläuterte, eine Persönlichkeitsstörung, ggfs. auch eine posttraumatische Belastungsstörung. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Sachverständige auf Nachfrage, er könne bei dem Zeugen I ein borderline-Syndrom nicht ausschließen, was dann, so seine Äußerung, im Rahmen der Glaubwürdigkeitsprüfung zu überprüfen sei.
Soweit die Disziplinarkammer in dem angegriffenen Urteil offenlassen hat, ob eine borderline-Erkrankung vorliege, weil sie „im Rahmen einer eigenverantwortlichen Beweiswürdigung ausschließen“ konnte, „dass eine solche Erkrankung vorliegt bzw. dass sie im konkreten Fall Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Zeugen I gehabt“ habe (UA S. 26), hat sie sich entgegen der Auffassung des Beklagten keine medizinischen Kenntnisse angemaßt.
Denn die Aussagetüchtigkeit des Zeugen I hat der Sachverständige bejaht, und das Gericht hat gerade nicht darüber befunden, ob der Zeuge I unter einem borderline-Syndrom leidet oder nicht. Zwar geht es bei der Frage der Glaubhaftigkeit, wie bereits ausgeführt, auch - neben der Aussagetüchtigkeit - um die Aussagequalität und die Aussagevalidität. Die Disziplinarkammer hat jedoch eine Gesamtbeurteilung aufgrund verschiedener Realkennzeichen vorgenommen und insbesondere auch die Aussage des Zeugen F herangezogen, bei dem unstreitig weder eine vorübergehende noch eine dauernde psychische Erkrankung oder Störung diagnostiziert worden war. Dies ist nicht zu beanstanden.
d. Des Weiteren rügt die Berufung, Realkennzeichen seien Indikatoren mit jeweils für sich genommen nur geringer Validität, d.h. mit durchschnittlich nur wenig über dem Zufallsniveau liegender Bedeutung; insoweit sei es auch unzulässig, aus dem Vorliegen einer bestimmten Anzahl an Merkmalen auf die Qualität einer Aussage zu schließen.
Diesbezüglich verkennt der Beklagte, dass die Disziplinarkammer eine umfassende Beweiswürdigung vorgenommen und insbesondere die Vernehmung des Zeugen I, des Zeugen F, der weiteren Zeugen, die Einlassung des Beklagten und die vom Beklagten übergebenen Fotos gewürdigt hat. Dieses Gesamtbild trägt nach Überzeugung des Senats die Einschätzung der Disziplinarkammer, dass es eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hinsichtlich des Zeugen I nicht bedurfte.
e. Die Berufung trägt ferner vor, der Disziplinarkammer sei die Bedeutung des Umstandes verborgen geblieben, dass das angebliche Verhalten des Beklagten dem Zeugen I nach der Bekundung des Zeugen Dr. G erst „im Laufe der Therapie“ eingefallen sei. Die Möglichkeit, die Aussage könne „antherapiert“ und der Zeuge I bedrängt worden sein, liege hier besonders nahe.
Diese Rüge entbehrt der Substanz. Der Zeuge Dr. G bekundete in seiner erstinstanzlichen Vernehmung am 30. Juni 2014, es sei möglich, dass dem Zeugen I die Vorfälle erst im Laufe der Therapie eingefallen seien, dass dies aber bei vielen Patienten so sei und dass kein Grund ersichtlich sei, warum der Zeuge I einen Missbrauch nach so langer Zeit erfinden solle.
Bereits im Erstgespräch habe der Zeuge I von einem Missbrauch durch den Dorfpfarrer zwischen seinem 8. und 12. Lebensjahr berichtet; da er, der Zeuge Dr. G, aber kein Psychotraumatherapeut sei, habe er die Aussage zunächst so hingenommen. Der Zeuge Dr. G schilderte weiter, dass Schreiben eine Form der Therapie sei, um z.B. Erlebnisse in der Kindheit und Jugend zu verarbeiten. Man müsse sich eine Therapie wie das Schälen einer Zwiebel vorstellen: Es kämen immer neue Schichten zum Vorschein. Es sei wichtig, dass die Psyche schlimme Erlebnisse verdränge, damit der Mensch weiterleben könne. Andernfalls würden die betroffenen Personen psychotisch, was bis hin zum Selbstmord führen könne. Der Körper könne Abwehrmechanismen entwickeln, um “Live Events“ zu verdrängen, und es gebe Fälle, da rufe ein Einzelerlebnis plötzlich Erinnerungen an einen Missbrauch hervor, der 40-50 Jahre zurückliege (Protokoll S. 15, 16).
Der Zeuge Dr. J wiederum erklärte in der mündlichen Verhandlung am 3. Juni 2014, er habe den Zeugen I nicht weiter bedrängt, auch wenn er seine Zweifel gehabt habe, dass eine Aufarbeitung des Traumas erfolgt sei. Er habe nicht den Eindruck gewonnen, dass sich der Zeuge I in dem Buch „etwas zusammengesponnen“ habe; aus seiner Sicht sei er kein Lügner.
Manche Menschen könnten ein Geschehen ihr Leben lang unter Verschluss halten und damit leben. Bei anderen Patienten könne es so sein, dass in der Therapie beim Reden einzelne Erlebnisschichten wieder hochkämen. Der Zeuge I erleide möglicherweise sog. Flashbacks. Dann kämen Szenen hoch, und in diesem Moment durchlebe man alles noch einmal. Der sexuelle Missbrauch liege bei dem Zeugen I ganz tief (Protokoll S. 6, 7).
Nach diesen Aussagen fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen Dr. G oder Dr. J den Zeugen I bedrängt haben oder seine Aussage „antherapiert“ worden ist. Ergänzend wird auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. S in seinem Gutachten über den Zeugen I vom 14. Dezember 2015 hingewiesen, wonach „sich für die Hypothese einer möglicherweise relevant herabgesetzten Kontrollmöglichkeit gegenüber Suggestiveinflüssen keine Anhaltspunkte“ gefunden haben (S. 64).
f. Weiter rügt die Berufung, die Disziplinarkammer habe sich aufgrund der hauptberuflichen Tätigkeit zweier Mitglieder der Disziplinarkammer zu Unrecht Sachkunde angemaßt, um zu beurteilen, ob eine borderline-Erkrankung beim Zeugen I vorliege bzw. dass diese keine Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Zeugen gehabt habe. Sie vermengt jedoch zwei Aspekte:
Die Ausführungen zu den beruflichen Erfahrungen zweier Richter beziehen sich darauf, dass die Disziplinarkammer keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bei dem Zeugen F sah, dennoch aber ein aussagepsychologisches Gutachten auch für ihn in Auftrag gab (UA S. 21, 22).
Die Beurteilung einer borderline-Erkrankung hingegen bzw. eine hieraus folgende fehlende Glaubhaftigkeit einer entsprechenden Aussage bezieht sich auf den Zeugen I; insoweit hat sich die Disziplinarkammer keine Fachkunde hinsichtlich medizinischer Fakten angemaßt (siehe bereits oben; UA S. 26); vielmehr hat sie ergänzend die Aussagen des Zeugen F sowie eine Vielzahl an weiteren Realkennzeichen herangezogen und aufgrund dessen beanstandungsfrei Auswirkungen einer (etwaigen) borderline-Erkrankung auf das Aussageverhalten des Zeugen I ausgeschlossen.
g. Die Berufung rügt des Weiteren, mit der Aussage des Zeugen Dr. G in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2014, ihm falle „schwer ein Grund ein, warum Herr I einen Missbrauch nach so langer Zeit erfinden solle“ (Protokoll S. 17), habe das Gericht in Wahrheit ein larviertes Gutachten entgegengenommen und sich so „von einer geordneten Sachverhaltsfeststellung entfernt“.
Diese Rüge verkennt, dass das Gericht insoweit die Einschätzung eines Zeugen entgegengenommen und sich hierüber eine eigene Überzeugung, auch und gerade im Kontext mit einer Würdigung der Aussagen der Zeugen Dr. J, F und I gebildet hat; keineswegs ist damit der Disziplinarkammer durch einen Sachverständigen eine ihm fehlende Sachkunde vermittelt worden.
h. Ferner ist die Berufung der Auffassung, die Ansicht des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2016, eine genaue Überprüfung, ob der Zeuge I an dem borderline-Syndrom erkrankt sei, erfolge im Rahmen des Glaubwürdigkeitsgutachtens, rufe Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen hervor.
Zum einen hätte der Beklagte in der erstinstanzlichen Verhandlung eine entsprechende Rüge, etwa gerichtet auf Ablehnung des Sachverständigen, erheben müssen. Zum anderen hatte der Sachverständige eine psychische Erkrankung des Zeugen I bereits in seinem schriftlichen Gutachten diagnostiziert, so dass er mit seiner mündlichen Antwort erkennbar nur noch einmal auf den gebotenen Unterschied zwischen einer Erkrankung und ihren Auswirkungen auf eine etwaige Glaubwürdigkeitsprüfung hinweisen wollte.
i. Des Weiteren meint die Berufung, der Zeuge I, möglicherweise auch der Zeuge F, hätten sich gezielt inszeniert und Dritte manipuliert, was sich in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 14. Dezember 2015 wiederfinde, wo er dem Zeugen I einerseits eine Persönlichkeitsstörung attestiere, die aber nicht zu einer Beeinträchtigung der Informationsaufnahme, der inhaltlichen Speicherung von Erlebnisinhalten oder deren Wiedergabe führe, andererseits aber die Behauptung des Zeugen I, er habe die sexuellen Missbrauchserfahrungen durch den Beklagten spätestens ab der H. Zeit konsequent verdrängt, letztlich auch aus forensisch-psychiatrischer Sicht für plausibel halte. Dies sei widersprüchlich.
Dem ist entgegenzuhalten, dass Erlebnisinhalte auch bei einer späteren Verdrängung zunächst aufgenommen und gespeichert werden; andernfalls könnten sie später nicht mehr an die Oberfläche des Bewusstseins gelangen.
Völlig spekulativ ist diese Behauptung im Übrigen hinsichtlich des Zeugen F. Der Zeuge Dr. H führte in seiner erstinstanzlichen Vernehmung vom 31. Juli 2014 aus, er habe nicht den Eindruck gewonnen, dass sich der Zeuge F - aufgeheizt durch die damals aktuellen Diskussionen um sexuellen Missbrauch in der Kirche - habe wichtig machen wollen. Dieser habe sich dadurch zwar in Bewegung gesetzt, habe aber niemanden an den Pranger stellen wollen. Er, der Zeuge Dr. H, habe zunächst den Eindruck gehabt, dass der Zeuge F erst einmal sein Päckchen habe loswerden wollen, so nach dem Motto „Kirche mach mal!“. Eine konkretere Vorstellung zum „wie“ habe der Zeuge F aus seiner Sicht aber nicht gehabt.
j. Die Berufung rügt weiterhin, als in Betracht kommende Motive einer falschen Verdächtigung habe die Kammer lediglich die Möglichkeit erörtert, der Zeuge F habe in den Genuss von Opferentschädigungszahlungen gelangen oder sich an dem Beklagten rächen wollen. Keineswegs sei er erst, nachdem er von den möglichen Taten zum Nachteil seines Freundes I erfahren habe, in seinen Bemühungen um eine disziplinarrechtliche Verfolgung nachhaltiger und konsequenter geworden. Viel wahrscheinlicher sei eine massive Einflussnahme des Zeugen I auf den Inhalt der Aussage des Zeugen F.
Mit diesen Behauptungen übergeht die Berufung, dass sich die Disziplinarkammer in dem angefochtenen Urteil nicht nur mit der Argumentation des Beklagten, der Zeuge F habe Opferentschädigung erhalten und Rache üben wollen, befasst, sondern auch noch viele weitere Aspekte möglicher Motive der Zeugen F und I erörtert hat.
Eine reine Spekulation ist nach dem Verfahrensverlauf die Annahme des Beklagten, der Zeugen I habe die Aussage des Zeugen F beeinflusst. Die Disziplinarkammer hat dies ausführlich dargestellt:
Der Zeuge F hatte die Geschehnisse bereits zu einem Zeitpunkt angezeigt, als ihm vom Zeugen I noch nichts bekannt war. Er hatte im Jahr 2010 im Fernsehen von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche erfahren und wollte nun sein Wissen nicht mehr länger verschweigen. In seiner erstinstanzlichen Aussage vom 12. Mai 2014 schilderte er, dass er seine Aussage gegenüber Dr. H nicht autorisiert habe, da er das ganze Theater nicht gewollt habe. Sein Ansinnen sei einzig und allein gewesen, dem Beklagten zukünftig die Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu untersagen.
Diese Angaben stimmen auch überein mit den Angaben des Zeugen F gegenüber dem Sachverständigen Dr. S (Gutachten vom 29. Februar 2016, S. 25, 36 f.). Der Zeuge F habe nach den TV-Berichten im Jahr 2010 etwas unternehmen wollen und sich im Frühjahr 2011 entschlossen, sich an die Kirche zu wenden. Da sei es bei ihm wieder richtig hochgekommen; ihm sei klar geworden, dass der Beklagte immer weiter gemacht und es neue Opfer gegeben habe. Dann habe der Zeuge F von dem Buch des Zeugen I erfahren und festgestellt, dass dieser darin den Missbrauch beschrieben hatte; daher habe er Kontakt zu ihm aufgenommen. Erst dann hätten sie beschlossen, gemeinsam etwas zu unternehmen.
In Übereinklang damit steht die Aussage des Zeugen I vom 20. August 2012 im disziplinarrechtlichen Vorverfahren. Dieser berichtete eindrücklich, dass er sich immer damit „beruhigt“ habe, das einzige Opfer des Beklagten gewesen zu sein; dann habe ihm der Zeuge F erzählt, was der Beklagte mit ihm gemacht habe. Da sei es bei ihm “abgelaufen, wie in einem Film“, und er habe gewusst, dass es die Wahrheit sei, was der Zeuge F ihm erzählt habe. Bei ihm habe sich daraufhin ein „Schalter […] umgelegt“, und er habe sich gesagt, dass „jetzt […] einfach Schluss“ sein müsse.
k. Aufgrund des Berichtes des Zeugen F, der Beklagte sei ohne Erektion zu einem Samenerguss gekommen, hätte diese Möglichkeit nach Auffassung der Berufung sexualmedizinisch begutachtet werden müssen; soweit die Berufung meint, damit werde zugleich der Wahrheitsgehalt seiner Aussage in Zweifel gezogen, verkennt sie die Aussage des Zeugen F.
Aus dem Protokoll vom 12. Mai 2014 ergibt sich Folgendes: Der Vorsitzende Richter fragte, ob das Glied des Beklagten erigiert gewesen sei. Der Zeuge F sagte, er habe es gesehen, da es aus der Hose „herausgehangen“ habe. Auch nach dem Hinweis des Vorsitzenden, dass ein erigiertes Glied theoretisch nicht aus der Hose „heraushängen“ könne, blieb der Zeuge F bei seiner Aussage (S. 6 unten). Damit hat der Zeuge F aber nicht ausgesagt, dass der Beklagte ohne Erektion einen Samenerguss gehabt habe. Vielmehr schilderte der Zeuge F seine optische Wahrnehmung, das Glied des Pfarrers in steifem Zustand außerhalb der Hose gesehen zu haben.
Auch der Zeuge I berichtete im Übrigen in der erstinstanzlichen Verhandlung vom 12. März 2014, dass aus der Bekleidung des Beklagten „sein ‚Schwanz‘ herausgeguckt habe“ (Protokoll S. 20).
l. Bezogen auf den Beweisantrag 48 führt die Berufung schließlich an, der Sachverständige Dr. S habe in seinem Gutachten über den Zeugen I ausgeführt, es könne auch an eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung gedacht werden. Auf das Ergebnis des schriftlichen Gutachtens habe sich diese Erwägung jedoch nicht ausgewirkt und auch in der mündlichen Verhandlung sei der Sachverständige darauf nicht zurückgekommen.
Diese Argumentation verhilft der Berufung ebenfalls nicht zum Erfolg. Der Sachverständige hat eine mögliche Traumatisierung des Zeugen I in sein Gutachten vom 14. Dezember 2015 einbezogen und gerade in Bezug hierauf unmissverständlich ausgeführt, dass dies nicht zur Beeinträchtigung der Gedächtnisfunktion, d.h. der Informationsaufnahme, der Speicherung oder der Wiedergabe von Erlebnisinhalten führe. Bezüglich einer Beeinträchtigung der Glaubhaftigkeit im Rahmen eines solchen Störungsbildes sei festzustellen, dass es nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Realitätswahrnehmung führe. Es ergebe sich kein grundsätzlicher, qualitativer Unterschied zu den Fähigkeiten Gesunder, denen es möglicherweise auch schwerfalle, über Dinge zu berichten, die ihnen ausgesprochen unangenehm seien (vgl. S. 63, 64).
Damit war die Disziplinarkammer in der Lage, von einer Traumatisierung des Zeugen I, aber auch - mangels sonstiger durchgreifender Indizien für eine Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit - einer hierdurch nicht beeinträchtigten Aussagetüchtigkeit auszugehen und die Glaubwürdigkeit des Zeugen I einer eigenen Würdigung zu unterziehen. Insoweit verweist der Senat auf die o.g. Grundsätze in dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2011 (a.a.O., juris Rn. 21).
Soweit der Beklagte zudem rügt, dass die Disziplinarkammer auf die Menschenkenntnis des Zeugen Dr. J vertraut habe und nach dem sachverständigen Zeugen Dr. G nicht ersichtlich sei, warum der Zeuge einen Missbrauch nach so langer Zeit erfunden haben sollte, moniert er die Beweiswürdigung durch die Disziplinarkammer und setzt damit seine Beurteilung gegen diejenige des erstinstanzlichen Gerichts, ohne einen Ermessensfehler im Rahmen der Ablehnung des Beweisantrages darzutun.
Dass sexuelle Missbrauchstaten verdrängt werden können bzw. dass dies auch aus forensisch-psychiatrischer Sicht plausibel erscheint, hat der Sachverständige Dr. S in seinem Gutachten über den Zeugen I bestätigt (S. 55, 58). Die Berufung beschränkt sich hier auf ein bloßes Bestreiten, ohne mit Fakten und Indizien das Gutachten des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen.
Im Ergebnis ist mithin weder die Ablehnung der beiden Beweisanträge noch die durch die Disziplinarkammer vorgenommene Beweiswürdigung, die unter Gesamtwürdigung aller aus der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse vorgenommen worden ist, rechtlich zu beanstanden.
2. Angesichts der vorstehenden Ausführungen hält es der Senat nicht für geboten, von Amts wegen weitere Beweise zu erheben oder die Zeugen I und F erneut zu vernehmen. Diese sind bereits im disziplinarrechtlichen Untersuchungsverfahren und nochmals in der Hauptverhandlung vor der Disziplinarkammer als Zeugen vernommen worden.
Ihre Aussagen sind gemäß § 69 Abs. 4 DG.EKD im Berufungsverfahren ohne erneute Vernehmung verwertbar. Mit Blick auf den dort normierten Grundsatz der mittelbaren Beweisaufnahme ist eine nochmalige Vernehmung im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht nur unter besonderen Voraussetzungen geboten. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Aussagen selbst oder im Vergleich mit anderen Aussagen erhebliche, im Rahmen der Beweiswürdigung nicht auflösbare Widersprüche aufweisen oder sich in dem disziplinargerichtlichen Verfahren neue Erkenntnisse ergeben haben, so dass sich eine nochmalige Vernehmung aufdrängt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1997 - 1 D 49.96 -, juris Rn. 27).
Solche besonderen Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Wie dargelegt, sind die von der Disziplinarkammer ihrer Beweiswürdigung zugrunde gelegten Erwägungen mit der Berufung nicht erschüttert worden; sie sind schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Vor diesem Hintergrund und weil angesichts des Zeitablaufs von einer weiter verblassten Erinnerung der Zeugen ausgegangen werden muss sowie wegen der mit einer erneuten gerichtlichen Vernehmung verbundenen erheblichen emotionalen Belastung der Zeugen spricht alles dafür, die erstinstanzliche Beweisaufnahme der Entscheidung des Senats ohne erneute Beweisaufnahme zugrunde zu legen.
Den Gesichtspunkt, dass der Senat ohne die Vernehmung der Zeugen in der Berufungsverhandlung keinen persönlichen Eindruck von diesen zu gewinnen vermag, hat der Kirchengesetzgeber mit der Einführung der Mittelbarkeit der Beweisaufnahme im disziplinarrechtlichen Berufungsverfahren bewusst in Kauf genommen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 8. September 1988 - 1 D 70/87 -, juris Rn. 54).
3. Die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung, die durch das Berufungsvorbringen nicht erschüttert werden und die sich der Senat in umfassender Kenntnis der Aktenlage zu eigen macht, rechtfertigen die Entfernung des Beklagten aus dem Dienst. Nach Überzeugung des Senats lassen die langjährigen sexuellen Missbrauchshandlungen an den damals minderjährigen Zeugen I und F in der Zeit von Mitte 1974 bis Ende Mai 1979, die schwerwiegende Amtspflichtverletzungen sind, nach Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine andere Rechtsfolge als die Entfernung aus dem Dienst zu.
a. Der Beklagte hat die schwerwiegenden Amtspflichtverletzungen im Alter von 41 bis 46 Jahren begangen. Inzwischen ist er 84 Jahre alt und seit September 1995, d.h. seit mehr als 21 Jahren im Ruhestand.
Für das staatliche Disziplinarrecht ist geklärt, dass die für aktive Beamte anwendbaren Bemessungsgrundsätze ebenso gelten „für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme gegen einen Ruhestandsbeamten, der während seiner aktiven Dienstzeit ein schweres Dienstvergehen begangen hat. Der nachträgliche Eintritt in den Ruhestand führt weder zur Anwendung anderer Bemessungsmaßstäbe noch stellt er einen mildernden Umstand dar“ (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2011, a.a.O., juris Rn. 31).
„Den gesetzlichen Regelungen liegen zum einen generalpräventive Erwägungen zugrunde. Es wären Rückwirkungen auf das Vertrauen in die Integrität des Berufs-beamtentums zu erwarten, wenn ein Ruhestandsbeamter, der wegen eines schweren Dienstvergehens als aktiver Beamter nicht mehr tragbar wäre, weiterhin sein Ruhegehalt beziehen könnte und berechtigt bliebe, die Amtsbezeichnung zu führen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Dienstvergehen in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist und wann es begangen wurde. Zum anderen gebietet der Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein Beamter, der in den Ruhestand tritt, nachdem er ein zur Auflösung des Beamtenverhältnisses führendes Dienstvergehen begangen hat, nicht bessergestellt wird als ein Beamter, der bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens im aktiven Dienst verbleibt“ (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 32 m.w.N., insbesondere mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 -, juris Rn. 9). Anders als bei einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme, bei der das Beamtenverhältnis fortgesetzt wird, „geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. Dies gilt gemäß […] gleichermaßen für die Aberkennung des Ruhegehalts“ (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 33 m.w.N.).
Der Gemeinsame Senat in Disziplinarsachen übernimmt diese Rechtsprechung der staatlichen Gerichte, wonach hinsichtlich eines schweren Dienstvergehens für einen Ruhestandsbeamten dieselben Bemessungsgrundsätze wie für einen im Dienst befindlichen Beamten gelten (vgl. auch § 20 Abs. 3 Satz 2 DG.EKD).
Der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland - Lutherischer Senat in Disziplinarsachen - hatte demgegenüber in seinem Beschluss vom 13. Februar 2013 - 0125/1-11 - keine Veranlassung, sich näher mit der Heranziehung dieser staatlichen Grundsätze auf das kirchliche Disziplinarrecht auseinander zu setzen, da das dortige Disziplinarklageverfahren in zweiter Instanz wegen des Gesundheitszustandes des 1923 geborenen Angeschuldigten eingestellt worden ist, da die weitere Durchführung des Verfahrens „unverhältnismäßig“ gewesen wäre [vgl. BA S. 14]); entsprechendes sieht § 64 Abs. 3 Satz 2 DG.EKD vor.
Das Vertrauen in die Integrität der kirchlichen Amtsträger wäre erschüttert, wenn ein im Ruhestand befindlicher Pfarrer, der wegen schwerer Amtspflichtverletzungen als aktiver Pfarrer nicht mehr tragbar wäre, weiterhin die Rechte aus der Ordination behielte und weiter sein Ruhegehalt beziehen könnte. Auch der Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, dass ein zwischenzeitlich in den Ruhestand getretener Pfarrer, nachdem er zur Auflösung des Pfarrdienstverhältnisses berechtigende schwere Amtspflichtverletzungen begangen hat, nicht bessergestellt wird als ein Pfarrer, der bis zum Abschluss des kirchlichen Disziplinarverfahrens im aktiven Dienst verbleibt.
An dem endgültigen Verlust des Vertrauens seines kirchlichen Dienstherrn, den ein in Ruhestand befindlicher Pfarrer durch sein schwerwiegendes Fehlverhalten herbeigeführt hat, ändern selbst langes Zurückliegen der Amtspflichtverletzungen nichts. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. Dies gilt auch, wenn im Hinblick auf schwerwiegende Amtspflichtverletzungen das Verbleiben im pfarrdienstlichen Ruhestand „geeignet wäre, der Glaubwürdigkeit der Wahrnehmung des kirchlichen Auftrages oder dem Ansehen der Kirche erheblich zu schaden“ (§ 20 Abs. 3 Satz 1 DG.EKD; vgl. ferner § 20 Abs. 2 Nr. 3 DG.EKD).
b. Der Senat hat als weitere Tatsacheninstanz eine eigene Bemessungs-entscheidung nach § 20 DG.EKD zu treffen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 15. August 2013 - 2 B 19/13 -, juris Rn. 13). Hinsichtlich der insoweit zu beachtenden Grundsätze schließt er sich den folgenden Ausführungen des Lutherischen Senats in dem o.g. Beschluss vom 13. Februar 2013 (a.a.O., BA S. 9-10, 12-13) an:
„Die Disziplinargewalt der Kirche besteht nicht schrankenlos und ohne Bindung an allgemeine Grundsätze. Sie ist daher auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die auszusprechende Disziplinarmaßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Amtspflichtverletzung stehen und zur Realisierung der mit dem Disziplinarrecht verfolgten Zwecke geeignet und erforderlich sein. Die Geltung dieses Grundsatzes auch im Bereich des kirchlichen Disziplinarrechts zeigt sich schon in der Abstufung der einzelnen in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahmen im Disziplinargesetz der VELKD. Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwingt zu einer Abwägung zwischen dem Zweck der Disziplinargewalt mit der individuellen Beeinträchtigung in der Person des oder der Angeschuldigten. Dies gilt insbesondere für die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD.
Danach unterliegen Amtspflichtverletzungen, die eine schwerere Maßnahme als die Kürzung der Dienstbezüge, des Wartegeldes oder des Ruhegehalts rechtfertigen, nicht der Verjährung. Das Disziplinargesetz der VELKD nimmt damit besonders schwer wiegende Amtspflichtverletzungen, die zu einer Entfernung aus dem Dienst führen, von einer Verjährung aus. Das heißt aber nicht, dass wegen der fehlenden Verjährung dieser Amtspflichtverletzung gewissermaßen als Automatismus stets die schwerste der vorgesehenen Disziplinarmaßnahme zu verhängen ist. Vielmehr gewinnt hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der generell die Disziplinargewalt begrenzt, besondere Bedeutung. Je länger die Verwirklichung der Amtspflichtverletzung zurückliegt, die im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD nur noch mit der schwersten Sanktion, nämlich der Entfernung aus dem Dienst, geahndet werden kann, umso sorgfältiger ist bei der erforderlichen Abwägung des Verfolgungsinteresses des Dienstherrn mit den von der Entfernung aus dem Dienst einhergehenden Auswirkungen auf den Angeschuldigten zu prüfen, ob die Zwecke des Disziplinarrechts noch die Verhängung dieser Sanktion rechtfertigen.
Grundsätzlich gilt, dass das Verfolgungsinteresse des Dienstherrn mit dem zeitlichen Abstand zu der Amtspflichtverletzung abnimmt. Aus diesem Grunde unterliegen Amtspflichtverletzungen auch der Verjährung. Soweit § 4 Abs. 1 Satz 2 DiszG VELKD eine schwere Amtspflichtverletzung von der Verjährung ausnimmt, besagt dies zunächst nur, dass diese noch disziplinarrechtlich geahndet werden kann. Das entbindet aber die Disziplinarbehörde und die Disziplinargerichte nicht von der Prüfung, ob die Entfernung aus dem Dienst in diesen Fällen, in denen die Verwirklichung der Amtspflichtverletzungen sehr lange Zeit - im vorliegenden Fall teilweise über vier Jahrzehnte, der letzte Tatvorwurf immerhin auch über drei Jahrzehnte - zurückliegen, unter Berücksichtigung des Einzelfalls noch durch die die Disziplinargewalt legitimierenden Zwecke geboten ist. Hier sind stets die konkreten Taten in ihrer Wertigkeit zu betrachten.
Wird etwa mit der Amtspflichtverletzung zugleich vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht, spricht dies in der Regel für ein besonderes Gewicht der Amtspflichtverletzung. Dies kann - in Abhängigkeit von dem durch die Verwirklichung des Straftatbestandes verletzten Rechtsgut - die Höchstmaßnahme rechtfertigen, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt (vgl. BVerwG, NVwZ 2010, 1571 zu einem sexuellen Missbrauch im Sinne des § 176 StGB). Ohne Verwirklichung eines Straftatbestandes kann eine solche Indizierung nicht ohne weiteres angenommen werden. Maßgebend sind hier die konkrete Tatausführung, die Hintergründe und Auswirkungen sowie das Maß des den Amtsträger treffenden Verschuldens an der Verwirklichung der Amtspflichtverletzung. Die Ermittlung dieser Umstände ist stets unabdingbar, um die Wertigkeit der Amtspflichtverletzung im Hinblick auf das Verfolgungsinteresse bestimmen zu können.
Auch bei sexuellen Übergriffen eines kirchlichen Amtsträgers bzw. Mitarbeiters ist stets zu ermitteln, was diesem konkret vorzuwerfen ist. Pauschale Einordnungen sind insoweit unzulässig. Es sind konkrete Feststellungen zu treffen, vor allem, zu welchen konkret missbilligten Handlungen es gekommen ist, aber auch zu den weiteren Umständen, wie etwa ihre Intensität bzw. Dauer, ihre schädlichen Auswirkungen auf die Opfer wie auch die mögliche Freiwilligkeit eines sexuellen Kontaktes und deren situative Bedingtheit. Bei lange zurückliegenden Taten sind diese Einzelheiten für die Einordnung des Gewichts und ihre Einstellung in die vorzunehmende Abwägung unverzichtbar. So mögen etwa mehrere Liebesverhältnisse eines verheiratenden Pfarrers im aktiven Dienst die Entfernung aus diesem rechtfertigen. Liegen diese Liebesverhältnisse aber jahrzehntelang zurück und hat sich der Pfarrer seither nichts mehr zu Schulden kommen lassen, liegt offen zu Tage, dass in einem solchen Fall - trotz der in beiden Fällen als schwerwiegend anzusehenden Pflichtverletzung - das Verfolgungsinteresse des Dienstherrn nicht mehr dieselbe Intensität besitzt. Die Zwecke des Disziplinarrechts rechtfertigen dann nicht mehr notwendigerweise die Verhängung der schwerwiegendsten Disziplinarmaßnahme.
Dies kann sich bei der Verwirklichung des Straftatbestandes, etwa der Vergewaltigung, anders darstellen. Hier kann dem Verfolgungsinteresse auch nach einem langen zeitlichen Abstand zu der Tat erhebliches Gewicht beikommen. Daher sind stets konkrete Feststellungen zu treffen und diese vor dem Hintergrund der die Disziplinargewalt rechtfertigenden Ziele zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, dass eine Entfernung aus dem Dienst unter dem Gesichtspunkt des Verfolgungsinteresses gleichwohl noch in Betracht kommt, so hat, wenn die entsprechenden Amtspflichtverletzungen - wie hier - sehr lange Zeit zurückliegen, im Anschluss daran eine Abwägung der Disziplinarzwecke mit den von einem Verfahren und der Verhängung der Sanktion einhergehenden Folgen für den Angeschuldigten zu erfolgen, wobei danach zu fragen ist, ob die Entfernung aus dem Dienst noch als verhältnismäßig abgesehen werden kann.
[…] Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme, vor allem der einschneidendsten, nämlich der Entfernung aus dem Dienst, kommt nicht allein um des Strafens willens in Betracht. Sie stellt auch nach der kirchenrechtlichen Ausgestaltung keine Sühne für begangenes Unrecht dar. Disziplinarrecht und Strafrecht sind von unterschiedlichen Zwecken geprägt. Die Kriminalstrafe dient - neben der Abschreckung und Besserung - der Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden.
Im Strafrecht wird damit - anders als im Disziplinarrecht - in erster Linie ein gesellschaftliches Unwerturteil ausgesprochen. Es unterscheidet sich daher sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme, welche - im staatlichen Disziplinarrecht - an einen Vertrauensverlust anknüpft und darauf ausgerichtet ist, einen geordneten und integeren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995, BVerwGE 103, 233). Erforderlich ist daher stets eine Prüfung, ob der hinter dem Disziplinarrecht stehende Zweck die Verhängung einer entsprechenden Disziplinarmaßnahme gebietet.
Das kirchliche Disziplinarrecht dient zunächst dem Zweck, auf ein Verhalten eines kirchlichen Mitarbeiters oder einer kirchlichen Mitarbeiterin, das die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung beeinträchtigen kann, zu reagieren und dazu beizutragen, dass das Ansehen der Kirche, die Funktionsfähigkeit ihres Dienstes und eine auftragsgemäße Amtsführung gesichert ist. Dieser Zweck ist nunmehr in § 1 DG.EKD ausdrücklich erwähnt. Der Sinn und Zweck des Disziplinarrechts ist dementsprechend sowohl spezial- als auch generalpräventiv, wie auch bezogen auf die Sicherung des Ansehens der Kirche, als Institution zu sehen.
[…] In spezialpräventiver Hinsicht sollen die Disziplinarmaßnahmen die Betroffenen auch im kirchlichen Recht dazu ermahnen, künftig keine Amtspflichtverletzungen mehr zu begehen. Damit wird dem Erziehungszweck eine große Bedeutung zugewiesen. Der Bereich, innerhalb dessen auf die Amtsträger erzieherisch eingewirkt werden kann, ist weiter als nach dem staatlichen Disziplinarrecht und erfasst auch Verhaltensweisen, die dort nicht als dienstbezogen angesehen werden.
Neben diesem spezialpräventiven Zweck tritt eine generalpräventive Ausrichtung. Auch für den kirchlichen Bereich gilt, dass durch die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ihre Amtspflicht verletzt haben, andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen davon abgeschreckt werden sollen, selbst eine Amtspflichtverletzung zu begehen.
[…] Neben diese Zwecke tritt - ebenso wie im staatlichen Disziplinarrecht - der Gedanke, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als ungeeignet aus dem Dienst ausscheiden, wenn sie nicht mehr tragbar sind (Reinigungsfunktion; vgl. hierzu: Strietzel, Das Disziplinarrecht der deutschen Landeskirchen und ihrer Zusammenschlüsse, 1988, S. 29-32).“
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Beklagte nach Überzeugung des erkennenden Senats auch als seit 1995 im Ruhestand befindlicher Pfarrer - entsprechend der Überzeugung der Disziplinarkammer - gemäß § 20 Abs. 3 DG.EKD wegen der bewiesenen schweren Amtspflichtverletzungen zum Nachteil der damals minderjährigen Zeugen I und F aus dem kirchlichen Dienst zu entfernen:
Der 1933 geborene Beklagte ist nunmehr 84 Jahre alt. Er ist vor 5 Jahren mit der Aushändigung der Disziplinarverfügung mit den schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert worden, wobei er sich erstinstanzlich der sich über zehn Verhandlungstage erstreckenden mündlichen Verhandlung von März 2014 bis Juni 2016 gestellt hat. In dieser Zeit ist die Lebensqualität des Beklagten erheblich eingeschränkt worden; dies hat sich gesundheitlich bei ihm durch depressive Zustände ausgewirkt. An der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 29. Juni 2017 hat der Beklagte nicht teilgenommen, da ihm fachärztlich unter dem 20. Juni bescheinigt worden ist, dass wegen einer mittelgradig depressiven Symptomatik seine Fähigkeit, die eigenen Interessen vernünftig zu vertreten, erheblich eingeschränkt sei.
Wenngleich der Beklagte die sexuellen Missbrauchshandlungen in der Zeit von Mitte 1974 bis Ende Mai 1979 begangen hat, diese mithin schon eine lange Zeit zurückliegen, rechtfertigen die die kirchliche Disziplinargewalt legitimierenden Zwecke (§ 1 DG.EKD) die Entfernung des Beklagten aus dem kirchlichen Dienst.
Zwar kann eine spezialpräventive Wirkung bei dem Beklagten nicht mehr eintreten:
Er befindet sich seit 1995 im Ruhestand und hat inzwischen das hohe Alter von 84 Jahren erreicht. Ihm war mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens im Juni 2012 vorläufig die öffentliche Wortverkündigung, die Sakramentsverwaltung und die Vornahme von Amtshandlungen untersagt worden, und es ist nicht ersichtlich, dass er sich seither nicht daran gehalten hat.
Soweit dem damals 79-jährigen Beklagten mit weiterem Schreiben der Klägerin vom 20. Juni 2012 nahegelegt worden ist, seine ehrenamtliche Betätigung in der Schülerhilfe an seinem Wohnort einzustellen, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass er dieser kirchlichen Empfehlung, möglicherweise schon aufgrund seines Alters und seiner angegriffenen Gesundheit, seither nicht gefolgt ist.
Auch die o.g. kirchendisziplinarrechtliche Besonderheit, wonach der spezialpräventive Aspekt weiter gefasst ist als nach dem staatlichen Disziplinarrecht, da er sich auch auf das nichtdienstliche Verhalten der Inhaber von Kirchenämtern auswirkt, kommt bei dem seit mehr als 20 Jahren im Ruhestand befindlichen Beklagten nicht zum Tragen.
Dahinstehen kann, ob es der Verhängung der schwersten Disziplinarmaßnahme gerade gegenüber dem Beklagten bedarf, um - generalpräventiv - andere Amtsträger der Kirche davon abzuhalten, solche sexuell motivierten, strafbaren Amtspflichtverletzungen zu begehen.
Jedenfalls gebietet die Reinigungsfunktion der Kirche als Institution zur Wahrung ihrer Integrität und Glaubwürdigkeit und ihrer Funktionsfähigkeit bei Abwägung aller Umstände die Entfernung des Beklagten aus dem kirchlichen Dienst.
Das Ansehen der Kirche würde nach Überzeugung des Senats erheblich Schaden nehmen, wenn der Beklagte angesichts der erwiesenen sexuellen Missbrauchs-handlungen nicht aus dem Dienst der Kirche entfernt würde. Dieses Fehlverhalten des Beklagten diente der Befriedigung seines Geschlechtstriebes; nach deutlich mehr als 3 Jahrzehnten konnte er sich deshalb bei seiner Einlassung in der erstinstanzlichen Verhandlung am 12. März 2014 noch genau an seine damals minderjährigen Opfer F und I erinnern.
Die Disziplinarkammer hat in ihrem Urteil darauf hingewiesen, dass der Beklagte um sein hohes Ansehen aufgrund seiner erfolgreichen Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde wusste und dieses „gleichsam als Schutzwall“ nutzte, „um dahinter lange Jahre im Verborgenen“ seine erwiesenen Amtspflichtverletzungen zu begehen (UA S. 37).
Der Zeuge F hat bei seiner Vernehmung am 12. Mai 2014 das Ende der sexuellen Missbrauchshandlungen Monate nach der Konfirmation Ende Mai 1979 dahingehend beschrieben, dass der damals 16-jährige Zeuge I „wutentbrannt an ihm vorbeigerannt“ sei und der damals 46-jährige Beklagte hinterher, wobei „der Pfarrer aus Nase und Mund geblutet habe“. Er habe damals gedacht, dass der Beklagte „endlich das bekommen habe, was er verdient habe“ (Protokoll S. 8). Durch diese erstmalige Gegenwehr des Opfers I, der anschließend flüchtete, war diese Missbrauchshandlung eskaliert, so dass der Beklagte ernsthaft befürchten musste, entdeckt und zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dies geschah jedoch nicht in 1979, sondern erst 2012.
Durch sein mehrjähriges gravierendes Fehlverhalten sind die Zeugen I und F als Kinder und Jugendliche - zum Teil traumatisch - belastet worden. Nach der Beweisaufnahme vor der Disziplinarkammer wirken sich diese ersten sexuellen Erfahrungen noch heute deutlich auf ihr Leben als Erwachsene aus.
Die sexuell motivierten, langjährigen und schweren Amtspflichtverletzungen des Beklagten rechtfertigen daher nach Abwägung aller Umstände im Hinblick auf das „Ansehen der Kirche“ (§ 20 Abs. 3 Satz 1 DG.EKD) als gesetzlich normierter Zweck des kirchlichen Disziplinarrechts seine Entfernung aus dem Dienst (§ 18 DG.EKD). Zum Schutz ihrer Funktionsfähigkeit und der glaubwürdigen Wahrnehmung des kirchlichen Auftrages gibt es deshalb nach der Überzeugung des Senats zu dieser schwersten Disziplinarmaßnahme vorliegend keine Alternative.
4. Die Disziplinarkammer hat in ihrem Urteil vom 29. Juni 2016 keine Veranlassung gesehen, dem Beklagten einen befristeten Unterhaltsbeitrag zuzusprechen (§ 18 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. §§ 81, 82 DG.EKD).
Im Berufungsverfahren hat der Beklagte zur Bedürftigkeit nach Verlust seines Anspruches auf Versorgung als Folge der Entfernung aus dem Dienst nichts vorgetragen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 DG.EKD). Fest steht im Übrigen, dass er eine monatliche Rente in Höhe von mehr als 1.200 Euro von der Deutschen Rentenversicherung bezieht, so dass er nach Einschätzung des Senats nicht bedürftig im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 1 DG.EKD ist. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Beklagte auch würdig für den befristeten Bezug eines Unterhaltsbeitrages erscheinen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.