.
Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:19.06.2018
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/6-2018
Rechtsgrundlage:§ 34 MVG-EKD
Vorinstanzen:Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz e.V., Beschluss vom 23. Oktober 2017, Az.: II-12/17
Schlagworte:Bruttolohnlisten
#

Leitsatz:

1. Die Mitarbeitervertretung hat nach § 34 Absatz 3 Satz 1 MVG-EKD einen Anspruch darauf, dass die Dienststelle die zur Durchführung ihrer Aufgabe erforderlichen Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung stellt; dies beinhaltet einen Anspruch auf zur Verfügungstellung von Listen, die den Bruttolohn der Mitarbeiter/innen ausweisen (Bestätigung von KGH.EKD vom 5. Dezember 2016 – II-0124/34-2016).
2. Diakonische Einrichtungen sind verpflichtet, kirchengerichtliche Entscheidungen zu respektieren und umzusetzen.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss der Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. vom 15. Januar 2018 – Az. II-12/17 - wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I. Die antragstellende Mitarbeitervertretung begehrt von der Antragsgegnerin, die ein Kran-kenhaus betreibt, die Vorlage einer Liste der monatlichen Bruttolohnzahlungen für den Zeitraum von November 2016 bis März 2017. Mit Schreiben von 23. März 2017 trat die Antrag-stellerin an den Geschäftsführer der Dienststelle heran und bat um Übermittlung der monatli-chen Bruttoentgeltlisten. Das Angebot des Geschäftsführers, in Listen (nur) Einsicht zu gewähren, lehnte die Mitarbeitervertretung ab, eine nachfolgende Erörterung blieb erfolglos.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Dienststellenleitung zu verpflichten, ihr für den Zeitraum von November 2016 bis März 2017 eine Liste zu Verfügung zu stellen, aus der die monatlichen Bruttolohnzahlungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Ausnahme der Mitglieder der Dienst-stellenleitung, aufgeschlüsselt nach sämtlichen Entgeltbestandteilen, die nach der Vergütungsordnung der Dienststelle und außerhalb der Vergütungsordnung der Dienststelle gezahlt werden, ersichtlich sind.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Schieds- und Schlichtungsstelle hat dem Antrag unter Hinweis auf die Entscheidung des Kirchengerichtshofs vom 5. Dezember 2016 – Az. II-0124/28-2016 entsprochen. Mit der frist- und formgerecht eingereichten und begründeten Beschwerde wiederholt und vertieft die An-tragsgegnerin ihr erstinstanzliches Vorbringen und verfolgt den Antrag auf Zurückweisung des Antrags der Mitarbeitervertretung weiter.
II. Die Voraussetzungen für die Annahme der Beschwerde durch den Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland liegen nicht vor.
1. Nach § 63 Abs. 2 MVG-EKD bedarf die Beschwerde die Annahme durch den Kirchenge-richtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Beschwerde ist anzunehmen, wenn unter anderem
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen,
2. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
3. der Beschluss von einer Entscheidung des Kirchengerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland, einer Entscheidung eines Obersten Landesgerichts oder eines Bundesgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
2. Auf Grundlage der Beschwerdebegründung liegt kein Zulassungsgrund vor, insbesondere bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Solche liegen nur vor, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird, die bloße Möglichkeit einer entgegengesetzten Entscheidung genügt nicht (st.Rspr. KGH.EKD, vgl. nur Beschluss vom 18. Juni 2012 – Az. I-0124/U3-2012).
a) Der Antragstellerin steht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den geltend gemachten Antrag zur Seite. Sie hat den auf den Zeitraum November 2016 bis März 2017 beschränkten Antrag im März 2017 gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht und damit einen zurzeit der Antragsstellung auf Hergabe aktueller Unterlagen gerichteten Anspruch erhoben. Da die Antragsgegnerin die Herausgabe verweigert und dem Antrag nicht entsprochen hat, besteht für den auf Leistung gerichteten Antrag das erforderliche Rechtschutzbedürfnis.
b) Soweit die Antragsgegnerin die Beschwerde darauf stützt, die angefochtene Entscheidung verstoße gegen Artikel 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 70 Abs. 1, Nr. 7 und 80 Abs. 2 GO.EKBO und (mittelbar) gegen Artikel 32 Abs. 1 GO.EKD, weil sie kirchliches Recht ohne rechtliche Legitimation unzulässig fortbilde, legt sie damit keinen Grund für die Zulassung der Beschwerde dar.
aa. Das Verfahren bedingt keine Auseinandersetzung, in welchem Umfang Auslegung und gegebenenfalls Rechtsfortbildung des Kirchengerichts den Organen der EKD oder der kirchlichen Gerichtsbarkeit obliegen. Die umfangreichen Leseproben und die literarische Äußerung des Prozessbevollmächtigten (ZAT 2018, Seite 2 ff „Haben Kirchengerichte die Kompetenz zur Rechtsfortbildung?“) fußen auf der unzutreffenden These, die Entscheidung des KGH.EKD vom 5. Dezember 2016 (Az. II-0124/34-2016) und die darauf beruhende anzufechtende Entscheidung seien Akte der Rechtsfortbildung. Dies ist unzutreffend, der KGH.EKD hat in der angezogenen Entscheidung lediglich kirchliches Recht angewendet. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG-EKD ist die Mitarbeitervertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und um-fassend zu unterrichten, nach § 34 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD sind der Mitarbeitervertretung die zur Durchführung ihre Aufgaben erforderlichen Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. „Zur Verfügung stellen“ bedeutet nicht „Einblick nehmen“ oder „einem begrenzten Kreis Einblick gewähren“ sondern nach dem klaren Wortsinn „Aushändigen“.
bb. Soweit die Antragsgegnerin auf § 80 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz BetrVG verweist, wonach „in diesem Rahmen“ ein Ausschluss berechtigt ist, in Listen über die Bruttolöhne und Gehälter Einblicke zu nehmen, verkennt sie, dass sich die angezogene Entscheidung des KGH.EKD mit diesem Einwand auseinandergesetzt hat. Unabhängig davon, dass das MVG-EKD zunächst aus sich heraus ausgelegt werden muss, verkennt die Antragsgegnerin, dass der in § 80 Abs. 2 S. 2 2. Hs. BetrVG enthaltende Zusatz eine Beschränkung des grundsätzlich umfassenden Rechts auf Aushändigung der Unterlagen in Bezug auf Bruttolohnlisten regelt, diese Beschränkung enthält das MVG-EKD nicht. Der in Kenntnis fehlender Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten im kirchlichen Arbeitsrecht in der benannten Literaturstelle von einem Organ der Rechtspflege erteilte Rat an Dienstgeber, den Rechtssatz bzw. den Maßgaben der Entscheidung des Kirchengerichtshofs vom 5. Dezember 2016 nicht zu folgen, dürfte dem notwendigen Grundkonsens der am kirchlichen Arbeitsrecht Beteiligten in Bezug auf die An-wendung kirchlichen Arbeitsrechts und der Umsetzung kirchengerichtlicher Judikate nicht gerecht werden.
c) Auch das weitere Beschwerdevorbringen lässt nicht erwarten, dass die Beschwerde zu einem abweichenden Ergebnis führen wird.
aa. Nach § 34 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD besteht nicht nur wie im BetrVG lediglich ein Anspruch auf Einblicknahme eines Ausschusses, das Gesetz sieht vor, dass die erforderlichen Unterlagen – umfassend und nicht beschränkt - zur Verfügung zu stellen sind. Anspruchsberechtigt ist die MAV, eine Beschränkung bestimmte MAV-Mitglieder ist im Gesetz nicht vorgesehen, alle Mitglieder der Mitarbeitervertretung unterliegen auch in diesem Zusammenhang der Schweige-pflicht des § 22 MVG-EKD.
bb. Dass Bruttoentgelte nicht Bestandteil einer Personalakte sind, hat der KGH.EKD in der angezogenen Entscheidung vom 5. Dezember 2016, Az. II-0124/28-2016 bereits entschieden, gleichermaßen steht fest, dass datenschutzrechtliche Erwägungen dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegenstehen. Soweit die Antragsgegnerin - ohne diesbezüglich Unterlagen vorzulegen - behauptet, sie habe sich verschiedentlich vertraglich verpflichtet, Bruttolöhne oder andere Gehaltsbestandteile geheim zu halten, steht auch dieses unsubstantiierte Vorbringen dem Anspruch nicht entgegen. Kollektivrechtliche Ansprüche der MAV stehen nicht zur indivi-dualrechtlichen Disposition der Dienststelle, die Dienststelle ist zur Meidung von etwaigen Schadensersatzansprüchen vielmehr gehalten, ihre vertraglichen Vereinbarungen so zu gestalten, dass die MAV ihren gesetzlichen Aufgaben nach dem MVG-EKD nachkommen kann.
cc. Soweit die Antragsgegnerin schließlich einwendet, die Herausgabe der Listen sei ihr „unmöglich“, ist ihr Vorbringen unsubstantiiert. Unstreitig wird die Verwaltung der Gehälter EDV-gestützt durchgeführt. Einzelheiten zu den (Un)Möglichkeiten der EDV der Antragsgegnerin legt die Beschwerde nicht dar; die Antragsgegnerin hatte vorprozessual im Gegenteil selber Einblick in Listen angeboten. Nach dem Tenor der anzufechtenden Entscheidung ist die Antragsgegne-rin auch nur verpflichtet „eine“ Liste zur Verfügung zu stellen, aus der die monatlichen Brutto-entgeltzahlungen ersichtlich sind. Welche Optik und welchen Aufbau diese Liste haben soll, ist nicht festgelegt, dies richtet sich nach den konkreten Möglichkeiten der EDV der Antragsgeg-nerin.
dd. Zutreffend hat die Schieds- und Schlichtungsstelle in den Tenor alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Ausnahme der Dienststellenleitung erstreckt und damit den Differenzierungskri-terien der §§ 2 und 4 MVG-EKD Rechnung getragen. Regelungen des Entgelttransparenzge-setzes berühren den streitgegenständlichen Anspruch der Mitarbeitervertretung aus § 34 MVG-EKD nicht.
3. Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Beschwerde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 63 Abs. 2 Nr. 2 MVG-EKD aufwirft, die nicht bereits durch den Kirchengerichtshof entschieden worden ist (Entscheidung vom 5. Dezember 2016, Az. II-124/28-2016).
4. Gleichermaßen fehlt es an einer Darlegung, dass der angefochtene Beschluss von einer Entscheidung im Sinne von § 63 Abs. 2 Nr. 3 MVG-EKD abweicht. Die angezogenen Entscheidungen des BAG sowie BVerfG verhalten sich zu anderen Rechtsvorschriften und nicht zum MVG-EKD und sind deshalb in diesem Zusammenhang nicht heranzuziehen. In Bezug auf das MVG-EKD hat der Kirchengerichtshof den streitgegenständlichen Anspruch auf Aushändigung einer Bruttolohnliste in der Entscheidung vom 24. Januar 2011, Az. I-0124/S41-10 zwar noch unentschieden gelassen, ihn aber mit der Entscheidung vom 5. Dezember 2016, Az. II-0124/28-2016 bejaht. Diese Entscheidung ist maßgeblich.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).
Mestwerdt Neuendorf Bock