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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:24.09.2018
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/57-2017
Rechtsgrundlage:MVG-Württemberg §§ 19, 20
Vorinstanzen:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Landeskirche und Diakonie in Württemberg, 2 AS 18/2015 L
Schlagworte:Errichtung einer Gesamtmitarbeitervertretung im Dienststellenverbund
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Leitsatz:


1. Auch in Dienststellen, in denen die Mindestanzahl von Beschäftigten für die Freistellung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung nicht erreicht wird, kann eine Freistellung oder teilweise Freistellung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung von seiner beruflichen Tätigkeit in Betracht kommen, wenn dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben der Mitarbeitervertretung erforderlich ist und regelmäßig Tätigkeit der Mitarbeitervertretung in einem bestimmten, einer Pauschalierung zugänglichen Mindestumfang anfällt. Hierzu müssen besondere Umstände vorliegen, die die besonderen organisatorischen und zeitlichen Belastungen bestimmbar machen.
2. Die Beibringungslast für die besonderen Umstände kann nach dem „Beweis des ersten Anscheins“ durch eine sachkundige Stellungnahme für den kirchlichen Bereich erleichtert werden, die ein bestimmtes Freistellungsvolumen ausweist.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitungen gegen den Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelische Landeskirche und Diakonie in Württemberg vom 12. Juli 2017, Az. 2 AS 18/2015 L wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die zu 1 beteiligte Mitarbeitervertretung verlangt die Feststellung, dass ihr ein Freistel-lungsanspruch im Umfang von sechs Wochenstunden zusteht.
Die Mitarbeitervertretung besteht aus fünf Mitgliedern. Bei den Dienststellen handelt es sich um ein Gymnasium und eine Realschule in Trägerschaft einer kirchlichen Stiftung. Die Schu-len sind in Stuttgart gelegen. Insgesamt werden dort 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter be-schäftigt. Der Mitarbeitervertretung wird eine Freistellung im Umfang von drei Wochenstunden gewährt.
Der Evangelische Oberkirchenrat gab mit Schreiben vom 1. Dezember 2016, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage AG 1 zum Schriftsatz der Beteiligten zu 2 und 3 verwiesen wird, eine Stellungnahme zu den Rahmenbedingungen für die Arbeit der Mitarbeitervertretungen ab, u.a. auch für Mitarbeitervertretungen an kirchlichen Schulen.
Die Beteiligten streiten sich darum, ob und in welchem Umfang die Mitarbeitervertretung die Freistellung von Mitgliedern verlangen kann. Einigungsbemühungen vor Anrufung des Kirchengerichts scheiterten.
Die Mitarbeitervertretung hat die Auffassung vertreten, dass eine Freistellung im Umfang von drei Wochenstunden nicht ausreichend sei. Der Freistellungsanspruch habe sich an der Freistellungsstaffel des Landespersonalvertretungsgesetzes Baden-Württemberg zu orientieren. Diese habe sich zugunsten der Personalräte geändert, so dass eine entsprechende Änderung für die Mitarbeitervertretungen vorzunehmen sei. Dieses führe zu einem Umfang der Freistel-lungen von acht Wochenstunden. Auch andere kirchliche Schulen wendeten die Freistellungsregelungen von öffentlichen Schulen entsprechend an. Es sei nicht möglich, die Mitar-beitervertretungstätigkeiten während des Unterrichts zu erledigen. Die Bedarfe ergäben sich aus den Aufstellungen über die Tätigkeiten der Mitarbeitervertretung, die die Mitarbeitervertre-tung für die Monate Oktober 2015 bis Dezember 2015 mit Schriftsatz vom 5. Februar 2016 dargelegt habe.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
festzustellen, dass ihr ein Anspruch auf Freistellung von acht Wochenstunden zusteht.
Die Beteiligten zu 2 und 3 haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie haben die Auffassung vertreten, dass es keinen Rechtsanspruch auf die begehrte Freistellung gebe. Die Mitarbeitervertretung habe nicht dargelegt, dass eine solche Freistellung erforderlich sei. Es werde im MVG-Württemberg abschließend geregelt, in welchem Umfang Freistellungsansprüche bestünden. Das Schreiben des Oberkirchenrats begründe keine Verpflichtungen der Dienststelle.
Das Kirchengericht hat mit Beschluss vom 12. Juli 2017 unter Zurückweisung des Antrags der Mitarbeitervertretung im Übrigen festgestellt, dass der Mitarbeitervertretung ein Freistel-lungsanspruch von sechs Wochenstunden zusteht. Gegen diesen Beschluss, der der Dienst-stellenleitung am 21. November 2017 zugestellt wurde, hat diese mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2017, am selben Tag beim Kirchengerichtshof eingegangen, Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.
Die Dienststellenleitung hält den Beschluss des Kirchengerichts für falsch, weil es nach dem MVG-Württemberg keinen Freistellungsanspruch außerhalb des § 20 Abs. 2 MVG-Württemberg ergebe, wenn keine Vereinbarung nach § 20 Abs. 1 MVG-Württemberg ge-schlossen worden sei. Der allgemeine Anspruch auf Arbeitsbefreiung sei nicht geeignet, eine generelle Freistellung in einem bestimmten Umfang zu begründen. Es bestehe keine Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung von § 20 Abs. 2 MVG-Württemberg auf kleine Dienststellen geschlossen werden müsse oder könne. Der Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG-Württemberg sei ausreichend. Das Rundschreiben des Ober-kirchenrates sei nicht verbindlich, sondern gebe nur dessen Rechtsmeinung wieder, aus der er eine Handlungsempfehlung ableite.
Die Dienststellenleitung beantragt,
den Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Landeskirche und Diakonie in Württemberg vom 12. Juli 2017, Az. 2 AS 18/2015 L abzuändern und die Anträge der Antragstellerin/Beschwerdegegnerin zu-rückzuweisen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den Beschluss des Kirchengerichts für zutreffend.
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 63 Abs. 1 MVG-EKD statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof der EKD hat sie zur Ent-scheidung angenommen.
2. Die Beschwerde ist unbegründet, weil der Antrag der Mitarbeitervertretung, soweit er erstinstanzlich erfolgreich war, zulässig und begründet ist.
a) Der Antrag ist zulässig. Mit ihm verfolgt die Mitarbeitervertretung einen mitarbeitervertre-tungsrechtlichen Anspruch, den zwischen den Beteiligten umstritten ist. Interne Einigungsbemühungen vor Anrufung des Kirchengerichts blieben erfolglos.
b) Der Antrag ist begründet.
Die Mitarbeitervertretung kann die Freistellung von Mitgliedern im Umfang von sechs Wochen-stunden verlangen. Zwar ergibt sich weder aus § 20 Abs. 1 noch aus § 20 Abs. 2 MVG-Württemberg ein Anspruch auf entsprechende Freistellungen. Eine Dienstvereinbarung nach § 20 Abs. 1 MVG-Württemberg ist zwischen den Beteiligten nicht geschlossen worden. Die Dienststelle erreicht nicht die in § 20 Abs. 2 MVG-Württemberg vorgesehene Anzahl von Be-schäftigten für eine Freistellung. Gleichwohl besteht ein Freistellungsanspruch der Mitarbeiter-vertretung, der sich aus § 19 Abs. 2 MVG-Württemberg ergibt.
Betriebsverfassungsrechtlich gelten folgende Grundsätze: Auch in Betrieben, in denen die Min-destanzahl von Beschäftigten für die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nicht erreicht wird, kann eine Freistellung oder teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes von seiner beruflichen Tätigkeit in Betracht kommen, wenn dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der Be-triebsratsaufgaben erforderlich ist und regelmäßig Betriebsratstätigkeit in einem bestimmten, einer Pauschalierung zugänglichen Mindestumfang anfällt. Die Regelung zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern ist nur eine Konkretisierung des Anspruchs auf Arbeitsbefreiung für Betriebsratstätigkeiten. Auch der Anspruch auf Arbeitsbefreiung in kleineren Betrieben, in denen die Mindestanzahl von Beschäftigten für eine Freistellung nicht erreicht ist, kann bei Vorliegen besonderer Umstände eine völlige oder teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitglieds von der Arbeit erforderlich machen (BAG, Beschluss vom 2. April 1974, 1 ABR 43/73, Rn. 12, juris). Dazu ist erforderlich, dass der Betriebsrat die besonderen Umstände so detailliert beschreibt, dass die sich hieraus voraussichtlich ergebenden organisatorischen und zeitlichen Belastungen zumindest bestimmbar werden. Zudem muss erkennbar werden, dass die Not-wendigkeit der Freistellung für die gesamte Restdauer der Wahlperiode besteht (BAG, Be-schluss vom 13. November 1991, 7 ABR 5/91, juris).
Diese Überlegungen treffen auch für die Arbeitsbefreiungen und Freistellungen nach Mitarbeitervertretungsrecht zu. Auch hier ist davon auszugehen, dass die Freistellung von Mitgliedern der Mitarbeitervertretung eine gesetzliche Pauschalierung der erforderlichen Arbeitsbefreiung ist. Bei Erreichen bestimmter Grenzwerte an Beschäftigten geht das Gesetz davon aus, dass sich die Erforderlichkeit der Arbeit für die Mitarbeitervertretung mindestens auf die geregelten Freistellungen summiert. Liegen besondere Umstände vor, die regelmäßig und für die restliche Amtszeit der Mitarbeitervertretung die sichere Erwartung begründen, dass die Arbeitsbefreiungen sich auf eine bestimmte Dauer summieren, kann für diese Dauer eine Freistellung der Mitglieder der Mitarbeitervertretungen verlangt werden. Ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 2 MVG-Württemberg kann sich demgemäß unter solchen Voraussetzungen in einen Freistellungsanspruch verdichten.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine solchen Freistellungsanspruch gegeben. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Mitarbeitervertretung die besonderen Umstände, aus denen sich der Freistellungsanspruch ergeben soll, so detailliert beschreibt, dass die sich hieraus voraus-sichtlich ergebenden organisatorischen und zeitlichen Belastungen bestimmbar werden. Ihre Beibringungslast für derartige Umstände ist nämlich durch das Schreiben des Evangelischen Oberkirchenrates vom 1. Dezember 2016 dahingehend erleichtert, dass aus diesem Schreiben ein Indiz dafür folgt, dass die darin genannten Freistellungen für die Arbeit an kirchlichen Schu-len erforderlich sind. Dieses Schreiben hat zwar für die Dienststellenleitung keinerlei rechtliche Verbindlichkeit, es begründet aber einen Anhaltspunkt dafür, in welchem Umfang bei einer Schule in kirchlicher Trägerschaft die Mitglieder der Mitarbeitervertretung einen dauernden Freistellungsbedarf haben. Eine solche sachkundige Prüfung für den kirchlichen Bereich bedeutet zwar nicht, dass dadurch auch zwingend und zutreffend die Freistellungsbedarfe der Mitarbeitervertretung in der Dienststelle der Beteiligten zu 2 und 3 wiedergegeben werden. Sie begründet aber doch zumindest einen „Beweis des ersten Anscheins“, dass in einem solchen Umfang Freistellungsbedarfe gegeben sind. Es erforderte eine ins Einzelne gehende Darlegung der Dienststellenleitung, aus welchen Gründen in ihrer Dienststelle solche Bedarfe nicht gege-ben sein sollen. An einer derartigen Entkräftung des „Beweises des ersten Anscheins“ fehlt es vorliegend. Es ist deshalb davon auszugehen, dass in dem sich aus dem Schreiben des Oberkirchenrats ergebenden Umfang Freistellungsbedarfe bei der Mitarbeitervertretung gegeben sind.
Der Freistellungsanspruch von sechs Stunden hält sich in dem im Schreiben des Oberkirchen-rats vom 1. Dezember 2016 gegebenen Umfang.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass dem Anspruch der Mitarbeitervertretung § 61 Abs. 1 MVG-Württemberg entgegensteht. Da es sich bei der Weigerung der Dienststellenlei-tung, Mitglieder der Mitarbeitervertretung in dem geforderten Umfang freizustellen, um einen andauernden Dauertatbestand handelt, kann eine Verfristung nicht eingetreten sein. Im Übrigen sind keine Tatsachen dafür erkennbar, dass zwischen der abschließenden Weigerung der Dienststellenleitung und der Anrufung des Kirchengerichts die Frist des § 61 Abs. 1 MVG-Württemberg abgelaufen ist.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).