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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:14.10.2019
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/13-2019
Rechtsgrundlage:§ 14 Abs. 1 Unterabs. 5 Satz 2 KTD
Vorinstanzen:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland - Kammer für den Bereich des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein Beschluss vom 10. Januar 2019 - NK-MG 8 03/2018 DWSH
Schlagworte:Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten bei einer Betriebsveräußerin
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Leitsatz:

1. Beschäftigungszeit nach § 14 Abs. 1 Unterabs. 5 Satz 2 KTD ist nach § 22 KTD die bei derselben Anstellungsträgerin in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit. 2. § 613 a BGB gebietet nicht, die vor einem Betriebsübergang bei der Betriebsveräußerin zurückgelegte Zeit zu berücksichtigen. 3. § 613 a BGB schützt die Arbeitnehmer gegen den durch den Betriebsübergang bewirkten Verlust von Rechtspositionen, die sie bei ihrem bishergien Arbeitgeber gehabt haben. Soweit Rechte erst gegenüber dem Erwerber begründet werden, die vorher nicht bestanden haben, ist der Schutz für den Bestand einzelner Elemente des bisherigen Arbeitsverhältnisses durch § 613 a BGB nicht gewährleistet. .

Tenor:

Die Beschwerde der Mitarbeitervertretung gegen den Beschluss des Kirchenge-richts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland - Kammer für den Bereich des Diakoni-schen Werkes Schleswig-Holstein - vom 10. Januar 2019, Az. NK-MG 8 03/2018 DWSH, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die zutreffende Eingruppierung einer Mitarbeiterin.
Die Mitarbeiterin Frau D wurde aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 18. Dezember 1997 ab dem 1. Januar 1998 bei einer Fachklinik als Erzieherin eingestellt. Nachdem das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich auf ein anderes Unternehmen übergegangen war, gelangte es im Jahre 2010 im Wege der Ausgliederung eines Betriebsteils zu der Dienststelle. Dort gilt seit dem 1. März 2014 der KTD nebst Tarifvertrag zur Einführung unter Ablösung der bisher gel-tenden Tarifverträge.
Die Mitarbeiterin wurde in die Entgeltgruppe 7 zuzüglich einer Ausgleichzulage übergeleitet. Ihr wurde mit Vertragsänderung vom 8./14. Juli 2016 befristet bis zum 14. Juli 2017 die stellvertretende Hausleitung übertragen. Die Übertragung wurde durch Vereinbarung vom 11./12. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2017 verlängert.
Die ab dem 1. Januar 2018 geltende neue Entgeltordnung sieht eine neue Stufe 5 für die Ab-teilung 2, Sozial- und Erziehungsdienst, vor, die durch 20 Jahre Erfahrungszeit erfüllt wird.
Mit einer Vereinbarung vom 29. Januar/9. Februar 2018 ist Frau D die Hausleitung unbefristet übertragen worden. Vorgesehen war dabei eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe ES 9, Stufe 4. Die Mitarbeitervertretung stimmte der Eingruppierung, nicht aber der Einstufung zu, weil sie die Stufe 5 für zutreffend hielt.
Die Dienststellenleitung hat gemeint, dass für die Einstufung allein auf die in der Dienststelle zurückgelegten Zeiten abzustellen sei, weil es sich bei den früheren Trägerinnen der Einrich-tung um andere juristische Personen gehandelt habe.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
festzustellen, dass der Mitarbeitervertretung kein Grund zusteht, ihre Zustimmung zur Eingruppierung der Mitarbeiterin Frau D in die Entgeltgruppe ES 9, Stufe 4, gem. Anl. 1, Abteilung 2, zum kirchlichen Tarifvertrag Diakonie (KTD) für die Zeit ab dem 1. Ja-nuar 2018 zu verweigern.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Mitarbeitervertretung hat die Auffassung vertreten, dass die Anerkennung der Beschäfti-gungszeit die vorangegangenen Arbeitgeberinnen berücksichtigen müsse. Dieses folge aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 5. Dezember 2013 (C-514/12). Die Anwendung von europarechtlichen Vorschriften könne nicht auf Sachverhalte mit Auslands-bezug beschränkt werden.
Das Kirchengericht hat dem Antrag der Dienststellenleitung mit Beschluss vom 10. Januar 2019 stattgegeben. Gegen diesen Beschluss, der der Mitarbeitervertretung am 7. Februar 2019 zugestellt worden ist, hat diese mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019, beim Kirchenge-richtshof eingegangen am selben Tage, Beschwerde eingelegt. Mit am 8. April 2019 einge-gangenem Antrag hat die Mitarbeitervertretung die Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde beantragt. Innerhalb der vom Kirchengerichtshof bis zum 7. Mai 2019 verlänger-ten Frist ging die Begründung der Beschwerde am 7. Mai 2019 beim Kirchengerichtshof ein.
Die Mitarbeitervertretung ist der Auffassung, dass die Tätigkeit von Frau D ab dem 1. Januar 2018 mit der Folge als Erfahrungszeit anzuerkennen sei, dass Frau D in die Stufe 5 eingestuft sei. Die Mitarbeitervertretung hält dieses für geboten, weil die einschränkungslose Gleichsetzung von Erfahrungszeit mit der Beschäftigungszeit dann gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, wenn sich an dem Arbeitsplatz nichts ändere.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses vom 10. Januar 2019 den Antrag abzuweisen.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Kirchengerichts für zutreffend, weil Frau D nicht die erforderliche Beschäftigungszeit zurückgelegt habe. Hierfür wäre ausdrücklich erforderlich, dass sie bei demselben Anstellungsträger tätig gewesen sei. Diese Voraussetzung erfülle Frau D nicht.
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist im Sinne der nach § 62 MVG-EKD anwendbaren §§ 87 Absatz 2 Satz 1, 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof hat sie zur Entscheidung angenommen.
2) Die Beschwerde ist unbegründet. Die Mitarbeiterin ist nicht in die Stufe 5 eingruppiert, weil sie nicht über die dafür erforderliche Erfahrungszeit von 20 Jahren verfügt.
Nach § 14 Absatz 1 Unterabsatz 5 Satz 2 KTD gilt die Beschäftigungszeit als Erfahrungszeit. Beschäftigungszeit ist nach § 22 KTD die bei derselben Anstellungsträgerin in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist. Die Beschäftigungszeit von Frau D bei der Dienststelle erreicht nicht die Zeit von 20 Jahren.
§ 613a BGB gebietet nicht die Berücksichtigung weiterer Beschäftigungszeiten. Bei der ge-meinsamen Schaffung und Ausgestaltung von Normen, in denen Bestandteile der Vergütung eines Arbeitnehmers geregelt werden, sind die Tarifvertragsparteien weitgehend frei. Es ist ihnen insbesondere nicht verwehrt, bei der Festlegung von Kriterien für die Bemessung von Vergütungsbestandteilen den in der Vergangenheit absolvierten Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers, die dieser unmittelbar bei seinem Arbeitgeber erbracht hat, größere Bedeu-tung beizumessen als denjenigen, die er bei einem anderen Arbeitgeber erbracht hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis von dem anderen Arbeitgeber auf den aktuellen Arbeitgeber nach § 613a Absatz 1 BGB übergegangen ist. § 613a BGB gewährt zwar Bestandsschutz. Die Vorschrift schützt die Arbeitnehmer gegen den durch den Betriebsübergang bewirkten Verlust von Rechtspositionen, die sie bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gehabt haben. Soweit diese durch den Zeitraum der bisherigen Beschäftigung beeinflusst sind, nehmen auch diese Be-schäftigungszeiten an dem durch § 613a BGB bewirkten Schutz teil. Dies gilt aber nur für solche Rechte, die bereits gegenüber dem Veräußerer bestanden haben. Soweit Rechte erst gegenüber dem Erwerber begründet werden, die vorher nicht bestanden haben, ist der Schutz für den Bestand einzelner Elemente des bisherigen Arbeitsverhältnisses durch § 613a BGB nicht gewährleistet. Die Tarifvertragsparteien sind rechtlich nicht gezwungen, die bisherigen Beschäftigungszeiten auch bei anderen Arbeitgebern proportional vergütungserhöhend zu berücksichtigen. Auch in diesem Bereich mag es sinnvoller und gerechter erscheinende Lösungen geben. Diese können jedoch nicht an die Stelle der rechtlich zulässigen Vereinba-rungen der Tarifvertragsparteien gesetzt werden (BAG 17. Oktober 2007 4 AZR 1005/06 Rdnr. 61 f). Danach folgt aus § 613a BGB nicht, dass die Beschäftigungszeiten von Frau D bei den Vorarbeitgeberinnen als Erfahrungszeit berücksichtigt werden müssen. Die Ansprü-che auf eine Bezahlung nach der Erfahrungsstufe 5 haben bei den Vorarbeitgeberinnen noch nicht bestanden und können deshalb ohne Berücksichtigung der bei diesen zurückgelegten Beschäftigungszeit geregelt werden.
Der Auffassung der Mitarbeitervertretung, der KTD weise eine Lücke auf, weil er auch solche Zeiten nicht berücksichtige, die bei Vorarbeitgeberinnen auf demselben Arbeitsplatz wie sodann bei der aktuellen Arbeitgeberin zurückgelegt worden sind, kann nicht gefolgt werden. Gerade nach dem soeben genannten Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dessen Kenntnis den Tarifvertragsparteien bei Einführung des KTD in der Dienststelle zu unterstellen ist, gibt es für die Annahme einer Lücke keinerlei Grund. Insbesondere das Fehlen einer Regelung zur Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten im Einführungstarifvertrag lässt darauf schließen, dass solche Anrechnung nicht gewollt war. Jedenfalls aber gibt es keinen Anhaltspunkt für das Bestehen einer planwidrigen Lücke.
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ist ebenfalls bei einer tarif-lich zulässigen Regelung nicht ersichtlich. Die Tarifvertragsparteien haben einen weiten Spielraum auch für nur pauschale Differenzierungen.
Die Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit erfordern kein anderes Verständnis der Erfah-rungszeit. Bei der Einstellung von Beschäftigten mit einer im Gebiet der Europäischen Union erworbenen einschlägigen Berufserfahrung ("Wanderarbeitnehmer") und der von sog. Inlän-dern ohne auslandsbezogene Berufserfahrung handelt es sich nicht um vergleichbare Sachverhalte, die nach Art. 3 Absatz 1 GG hinsichtlich der tariflichen Stufenzuordnung gleich be-handelt werden müssten (BAG 15. Januar 2018 6 AZR 791/16 Rdnr. 27). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Regelung zur Erfahrungszeit in §§ 14, 22 KTD europarechtlich für Beschäftigte mit Bezug zum EU-Ausland anders angewendet werden müsste. Ferner kann dahingestellt bleiben, ob die Regelung nach §§ 14, 22 KTD überhaupt auch nur mittelbar ei-nen Verstoß gegen die Regelungen zur Freizügigkeit bedeutete, weil sie für die Arbeitnehme-rin aus Dänemark keine anderen Bedingungen vorsieht als für eine Beschäftigte aus Schles-wig: Es kommt allein auf die Beschäftigungszeit bei der konkreten Arbeitgeberin an.