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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 16.08.2021 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD II-0124/10-21 |
Rechtsgrundlage: | § 47 MVG.EKD; § 19 MVG.EKD |
Vorinstanzen: | Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland - Kammer für den Bereich des DW Hamburg - Az. NK MG 5 7/2020 DWHH |
Schlagworte: | Initiativantrag der Mitarbeitervertretung |
Leitsatz:
Die MAV kann im Wege eines Initiativantrags nach § 47 MVG.EKD gegenüber der Dienststellenleitung schriftlich vorschlagen, eine fehlerhafte Eingruppierung zu korrigieren.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland - Kammer für den Bereich des Diakonischen Werkes Hamburg - vom 23. November 2020, Az. NK-MG 5 7/2020 DWHH abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Weigerung der Antragsgegnerin, Herrn D in die Entgeltgruppe EP 8 der Abteilung 3 der Entgeltordnung des KTD mit Wirkung zum 1. Januar 2020 umzugruppieren, rechtswidrig ist.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über einen Initiativantrag der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist die bei der Antragsgegnerin eingerichtete Mitarbeitervertretung. Herr D ist bei der Antragsgeg-nerin als Altenpfleger in der Einrichtung Haus A tätig mit einer Arbeitszeit von 60% einer Voll-zeitstelle. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Kirchliche Tarifvertrag Diakonie einschließlich der Anlage 1 (Entgeltordnung) Anwendung.
Herr D ist seit 2012 Mitglied der Mitarbeitervertretung und seit Mai 2014 mit 50% seiner indivi-duellen Arbeitszeit für die Wahrnehmung von Aufgaben als MAV-Vorsitzender freigestellt. Im April 2019 wurde seine Freistellung auf 50% einer Vollzeitstelle erhöht, sodass er nur noch mit einem Zeitanteil von 10% pflegerische Tätigkeiten wahrnimmt. Die Dienststelle greift derzeit auf ein externes Wundmanagement zurück.
Herr D hat entsprechend dem Zertifikat vom 4. Juli 2007 erfolgreich an einer Fortbildung zum Thema Wundmanagement in einem Umfang von insgesamt 26 Unterrichtsstunden teilgenom-men. In einem Schreiben vom 26. August 2010 hat sich die Antragsgegnerin im Rahmen einer Abmahnung gegenüber Herrn D wie folgt eingelassen:
„Wir bestätigen hiermit den Eingang Ihrer Stellungnahme und nehmen diese zur Kenntnis. Wie bereits in der Abmahnung begründet, sind Sie Ihren Aufgaben und Pflichten als Wohnbereichsleiter und Wundmentor nicht nachgekommen. …“
Die Beteiligten haben eine Dienstvereinbarung über die Festlegung von eingruppierungsrele-vanten Zusatzqualifikationen am 17. März 2020 vereinbart.
Dort heißt es:
„Ziffer 3 Übergangsbestimmungen
…
Die Eingruppierung in die Entgeltgruppe EP 8 und EP 9 ist vom Vorliegen einer für die Tätigkeit erforderlichen Zusatzqualifikation abhängig.
Ziffer 4. Erforderliche Zusatzqualifikation Entgeltgruppe EP 8
Als erforderliche Zusatzqualifikation wird in der Stiftung A neben den Fortbildungen im Wundmanagement, als Hygienebeauftragte und als Pain Nurse zusätzlich anerkannt:
- Weiterbildung Palliativcare für Pflegende (Umfang mindestens 150 h)
- Weiterbildung zur Qualitätsmanagementbeauftragten (Umfang mindestens 150 h)“
Unter Bezugnahme auf die Zusatzqualifikation hat die Mitarbeitervertretung im Hinblick auf die zum 1. Januar 2020 neu in Kraft getretene Abteilung 3 der Entgeltordnung des KTD im Rahmen eines Initiativantrages mit Schreiben vom 4. März 2020 die Eingruppierung des Mitarbeiters D in die Entgeltgruppe EP 8 geltend gemacht. Mit Schreiben vom Montag, dem 6. April 2020 hat die Antragsgegnerin die Höhergruppierung verweigert.
Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, die Zusatzqualifikation bedinge eine Eingrup-pierung in die Vergütungsgruppe EP 8.
Die Antragstellerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Weigerung der Antragsgegnerin, Herrn D in die Entgeltgruppe EP 8 der Abteilung 3 der Entgeltordnung des KTF mit Wirkung zum 1. Januar 2020 umzugruppieren, rechtswidrig ist,
die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
und die Auffassung vertreten, dem Beschäftigten D seien Tätigkeiten des Wundmanagements nicht übertragen worden, sodass eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe EP 8 ausscheide.
Das Kirchengericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. November 2020 den Antrag zurückgewiesen unter Hinweis darauf, in Bezug auf die konkrete Tätigkeit des Herrn D sei die Erforderlichkeit der Zusatzqualifikation „Wundmanagement“ nicht dargetan. Herr D übe keine Tätigkeiten des Wundmanagements aus, ihm seien solche Tätigkeiten nicht übertragen worden.
Mit der frist- und formgereicht eingereichten und begründeten Beschwerde verfolgt die Antrag-stellerin ihr Antragsbegehren weiter. Die Initiative, eine Fortbildung im Wundmanagement zu machen, sei seinerzeit von der Dienststelle ausgegangen. Die Dienststelle habe jemanden gesucht, der diese Aufgabe übernimmt. Die Fortbildung habe im zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung des Expertenstandards „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ ge-standen. Nach Abschluss sei Herr D im Organigramm der Einrichtung als „Wundmentor“ geführt worden, erst im Rahmen seiner Freistellung und der damit einhergehenden geringeren Verfügbarkeit sei er nicht mehr im Organigramm als Wundmentor geführt worden.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland vom 23. November 2020 (NK-MG 5 7/2020 DWHH) abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Antragsgegnerin beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen,
und vertritt unter Beifügung eines Organigramms aus dem Jahre 2016 die Auffassung, eine Eingruppierung in die EP 8 käme deshalb nicht in Betracht, weil Herr D die Tätigkeit des Wundmanagements gar nicht wahrnehme.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die wechselsei-tigen zu den Akten gereichten Schriftsätze in der Beschwerdeinstanz und auf die Erörterung in der mündlichen Anhörung.
II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde der Mitarbeitervertre-tung ist begründet.
1. Nach § 47 Absatz 1 MVG-EKD kann die Mitarbeitervertretung der Dienststellenleitung auch in einem Fall des § 42 c) MVG-EKD eine Maßnahme schriftlich vorschlagen. Die Dienststellen-leitung hat innerhalb eines Monats Stellung zu nehmen. Kommt eine Einigung über die Initiative der Mitarbeitervertretung nicht zustande, kann die Mitarbeitervertretung innerhalb von zwei Wochen nach Abschluss der Erörterung oder Ablehnung das Kirchengericht anrufen. Das Kir-chengericht stellt gemäß § 60 Absatz 7 MVG-EKD sodann fest, ob die Weigerung der Dienst-stellenleitung, die von der Mitarbeitervertretung beantragte Maßnahme zu vollziehen, rechts-widrig ist. In diesem Fall hat die Dienststellenleitung nach § 60 Absatz 7 Satz 2 MVG-EKD er-neut unter Berücksichtigung des Beschlusses über den Antrag der Mitarbeitervertretung zu entscheiden.
2. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Kirchengerichts nach § 47 Abs. 2 S. 2, § 60 Abs. 7 MVG.EKD liegen vor; die Dienststelle hat dem schriftlichen Vorschlag der MAV auf Hö-hergruppierung des MAV-Vorsitzenden frist- und formgerecht widersprochen und die MAV hat fristgerecht das Kirchengericht angerufen. Darüber besteht kein Streit.
3. Der Initiativantrag der MAV hat in der Sache Erfolg. Die Weigerung der Dienststelle, den MAV-Vorsitzenden Herrn D mit Wirkung zum 1. Januar 2020 in die Entgeltgruppe EP 8 der Anlage 1 zum KTD (Entgeltordnung) umzugruppieren, ist rechtswidrig. Der MAV-Vorsitzende hätte – seine Freistellung hinweggedacht – Anspruch auf eine Vergütung aus der Entgeltgruppe EP 8 der Anlage 1 zum KTD (Entgeltordnung). Nach § 19 Absatz 1 Satz 2 MVG-EKD darf ein Mitglied der MAV wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Das Benachteiligungsverbot sichert den Anspruch des Mitglieds der MAV, bei Entscheidungen der Dienststelle über Höhergruppierungen nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zur MAV übergangen zu werden (JMNS/Voßkühler MVG.EKD § 19 Rn. 18). Der MAV-Vorsitzende ist deshalb in die Entgeltgruppe EP 8 umzugruppieren, auch wenn er wegen seiner Freistellung die eingruppierungsrelevanten Tätigkeiten derzeit nicht verrichtet.
a) Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob und wenn ja in welchem Umfang in einem Verfahren nach § 47 Absatz 2 Satz 2 MVG-EKD die Prüfungskompetenz des Kirchengerichts nach § 60 Absatz 7 MVG-EKD begrenzt sein kann. (vgl. hierzu JMNS/Evers-Vosgerau MVG-EKD § 47 Rn. 27). Der streitgegenständliche Initiativantrag der MAV bezieht sich auf eine Rechtspflicht der an den KTD einschließlich seiner Entgeltordnung gebundenen Dienststelle, die Benachteiligungen der Mitglieder der MAV nach § 19 Abs. 1 Satz 2 MVG.EKD zu unterlassen hat. Auf die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands kann ein Initiativantrag gerichtet werden.
b) Der MAV-Vorsitzende Herr D erfüllt die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe EP 8 der Anlage 1 zum KTD (Entgeltordnung). Da Herr D im Rahmen der Freistellung als Vorsitzender der Mitarbeitervertretung wegen seiner Tätigkeit nicht benachteiligt werden darf, hat er gemäß § 19 Absatz 1 Satz 2 MVG-EKD i.V.m. § 19 Absatz 2 MVG-EKD Anspruch auf die Vergütung, die er bezogen hätte, wenn er nicht freigestellt worden wäre. Ihm ist das Arbeitsentgelt weiter zu zahlen, dass er verdient hätte, wenn er nicht als Mitglied der MAV freigestellt worden wäre sondern gearbeitet hätte (JMNS/Voßkühler MVG-EKD § 19 Rn. 38 mit Rechtsprechungsnach-weis).
a) Nach § 14 Absatz 1 UA. 2 Satz 2 KTD ist die Arbeitnehmerin in der Entgeltgruppe eingrup-piert, deren Tätigkeitsmerkmale die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Arbeitsvorgänge sind nach § 14 Absatz 1 UA. 3 KTD Arbeitsleis-tungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Arbeitnehmerin, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen.
b) Danach erfüllt die Tätigkeit des MAV-Vorsitzenden zunächst die Voraussetzungen der Ent-geltgruppe EP 7, da er als Pflegefachkraft im Sinne des SGB XI mit einer entsprechenden Tä-tigkeit beschäftigt wird.
c) Er erfüllt auch die Voraussetzungen der Aufbauentgeltgruppe EP 8. Nach Satz 2 der Ent-geltgruppe EP 8 erfüllt „unbeschadet dieser Mindestanforderung“ eine Zusatzqualifikation u.a. im Wundmanagement die Voraussetzung einer Zusatzqualifikation im Sinne der Entgeltgruppe EP 8. In der Bezugnahme „unbeschadet dieser Mindestanforderung“ liegt eine Ausnahme von der grundsätzlich erforderlichen Mindeststundenzahl einer Zusatzqualifikation im Umfang von 150 Stunden. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut „Mindestanforderung“ und der daraus abzuleitenden Bezugnahme auf die in Satz 1 enthaltene Voraussetzung des Umfangs einer Zusatzqualifikation von „mindestens 150 Stunden“. Der MAV-Vorsitzende hat die Fortbildung zum Thema Wundmanagement erfolgreich absolviert.
d) Nicht jede erworbene Zusatzqualifikation begründet einen Anspruch auf Vergütung aus der Entgeltgruppe EP 8, es muss sich um eine „für die Tätigkeit erforderliche Zusatzqualifikation“ handeln. Nach der Vormerkung 5 zur Entgeltordnung zum KTD ist das Merkmal der „Erforder-lichkeit der Zusatzqualifikation“ nur erfüllt, wenn Rechtsvorschriften oder vertragliche Vereinba-rungen mit dem Kostenträger die Zusatzqualifikation für die Tätigkeit notwendig machen oder dies durch eine Dienstvereinbarung geregelt ist. Einschlägige Rechtsvorschriften bzw. vertrag-liche Vereinbarungen mit dem Kostenträger sind seitens der Beteiligten nicht dargelegt worden; vorliegend ergibt sich für den Eingruppierungsanspruch des MAV-Vorsitzenden die Erfor-derlichkeit der Zusatzqualifikation für seine Tätigkeit aus der zwischen den Beteiligten ge-schlossenen Dienstvereinbarung.
Aus Ziffer 4 der Dienstvereinbarung ergibt sich zunächst, dass die von der Beschäftigten er-worbene Zusatzqualifikation im Wundmanagement als erforderliche Zusatzqualifikation grund-sätzlich anerkannt ist; nach Ziffer 4 werden darüber hinaus weitere „Zusatzqualifikationen“ an-erkannt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin folgt daraus nicht unmittelbar ein An-spruch auf die höhere Vergütung aus der Entgeltgruppe EP 8, hinzukommen muss nach Satz 2 von Ziffer 3 der Dienstvereinbarung, dass es sich um eine „für die Tätigkeit erforderliche“ Zusatzqualifikation handelt.
Welche Zusatzqualifikation erforderlich ist, obliegt, sofern es nicht bindende Rechtsvorschriften oder Vereinbarungen mit den Kostenträgern gibt, der Entscheidung der Dienststelle, die den Dienstbetrieb organisiert. Entscheidet sie sich, die Tätigkeit im Wundmanagement für den Be-trieb der Dienststelle in Anspruch zu nehmen, so ist die „Erforderlichkeit“ gegeben, da die un-ternehmerische Entscheidung in die betriebliche Praxis umgesetzt wird.
e) Die Antragsgegnerin hat den MAV-Vorsitzenden vor seiner Freistellung als MAV-Mitglied in ihrem Organigramm als Wundmentor geführt. Die Antragsgegnerin ist dem diesbezüglichen Vortrag der Antragstellerin lediglich unter Vorlage eines Organigramms aus dem Jahre 2016 entgegengetreten, in dem der MAV-Vorsitzender bereits teilweise freigestellt war und deshalb in seiner Funktion als MAV geführt wurde. Die Antragsgegnerin hat dem MAV-Vorsitzenden in der Abmahnung vom 26.08.2021 zudem vorgehalten, er sei seinen Aufgaben und Pflichten als Wohnbereichsleiter und als Wundmentor nicht nachgekommen. Diese Abmahnung belegt die Übertragung der Funktion eines Wundmentors. Die Erforderlichkeit der Zusatzqualifikation für die Erbringung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des MAV-Vorsitzenden vor seiner Frei-stellung als MAV-Mitglied steht damit fest. Der MAV-Vorsitzende darf wegen der Freistellung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 MVG.EKD nicht benachteiligt werden. Die Weigerung der Dienststel-lenleitung, die von der Mitarbeitervertretung beantragte Maßnahme zu vollziehen, ist rechts-widrig.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Absatz 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).