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Kirchengericht: | Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD |
Entscheidungsform: | Urteil (rechtskräftig) |
Datum: | 16.09.2022 |
Aktenzeichen: | 0134/1-2022 |
Rechtsgrundlage: | DG.EKD § 18 |
Vorinstanzen: | keine |
Schlagworte: | Amtspflichtverletzung, sexueller Missbrauch von Kindern bzw. Schutzbefohlenen |
Leitsatz:
Mehrfache sexuelle Übergriffe eines ehemaligen Gemeindepfarrers zum Nachteil ihm seelsorgerisch anvertrauter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener stellen ohne den geringsten Zweifel ein einheitliches Dienstvergehen dar, wenn die Anbahnung solcher Kontakte ein gezieltes und planmäßiges Vorgehen des Täters unter grober Missachtung der christlichen Sexualmoral erkennen lässt. Da durch ein solches Verhalten das Ansehen der Kirche in der Öffentlichkeit auch noch nach langer Zeit und ungeachtet eingetretener Strafverfolgungsverjährung schwer beschädigt wird, ist es zwingend geboten, auf die härteste Disziplinarmaßnahme zu erkennen und einen seit mehreren Jahren pensionierten Kirchenbeamten mit allen Konsequenzen aus dem Dienst zu entfernen (§ 18 DG.EKD).
Tenor:
Der Beklagte wird gemäß § 18 DG.EKD aus dem Dienst entfernt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I. Auf den Abdruck des persönlichen und dienstlichen Werdegangs des Beklagten wird mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Beklagten abgesehen.
II. Der Zeuge D, geb. 1968, wandte sich bereits zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 2003 an die Kriminalpolizei, um sich über die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten einer Strafanzeige gegen den Beklagten wegen mutmaßlicher sexueller Verfehlungen in dessen Zeit als Pfarrer in der Pfarrstelle C zu erkundigen. Der zuständige Kriminalbeamte riet ihm, mit Blick auf die nach seiner Einschätzung bereits eingetretene Strafverfolgungsverjährung zunächst anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein vom Zeugen beauftragter Rechtsanwalt bestätigte die Einschätzung des Kriminalbeamten und riet auch mit Blick auf eine eventuelle Gegenanzeige des Beklagten wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung von der Erstattung einer Strafanzeige ab.
Erst im Jahr 2020 wurde der Zeuge auf die unabhängige Unterstützungskommission für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Bereich der Landeskirche aufmerksam. Zu deren Arbeitsweise hatte der Rat der Landeskirche im August 2019 eine Richtlinie beschlossen. Unter Bezugnahme darauf wandte sich der Zeuge mit einem Anerkennungsantrag an die Kommission und überreichte dazu ein zehnseitiges Schreiben vom 28.09.2020, in welchem er unter der Überschrift „Darstellung des Sachverhaltes" über die sexuelle Übergriffigkeit des Beklagten als damaliger Gemeindepfarrer in der Pfarrstelle C gegenüber ihm und anderen Anfang der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts berichtete.
Da der Beklagte bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand ab Oktober 2011 in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis Beamter in einer Dienststelle der Klägerin war, bejahte diese ihre Zuständigkeit als disziplinaraufsichtführende Stelle (§ 4 Absatz 1 DG.EKD), auch wenn die erhobenen Vorwürfe nicht seinen mehr als 11-jährigen Dienst als […] in der Dienststelle der Klägerin betrafen.
Die Klägerin beschloss daher in ihrer Sitzung am 04.12.2020 gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren einzuleiten (§ 24 Absatz 1 DG.EKD).
Entsprechend der Bevollmächtigung durch die Klägerin beauftragte die Dienststelle mit Schreiben vom 18.12.2020 Herrn E als Ermittlungsführer in diesem Disziplinarverfahren (§ 28 Absatz 1 DG.EKD).
Am 26.01.2021 erstattete die Dienststelle zunächst bei der Staatsanwaltschaft gegen den Beklagten eine Strafanzeige wegen des Verdachts von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und überreichte zur Begründung des entsprechenden Anfangsverdachtes die oben erwähnte Darstellung des Sachverhaltes durch den Zeugen D, sowie einen Vermerk des Ermittlungsführers zu § 29 DG.EKD. Im Hinblick darauf, dass der Schwerpunkt der dem Beklagten zur Last gelegten Verfehlungen eine vorrangige Zuständigkeit einer anderen Staatsanwaltschaft begründete, gab die Staatsanwaltschaft wegen ihrer nachrangigen Wohnortzuständigkeit das Verfahren nach dorthin ab. Parallel dazu erstattete die Dienststelle mit Schreiben vom 01.02.2021 auch bei der dortigen Staatsanwaltschaft gegen den Beklagten eine Strafanzeige wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und anderer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
Mit zugestelltem Schreiben der Dienststelle vom 09.02.2021 wurde dem Beklagten die Einleitung des vorliegenden Disziplinarverfahrens förmlich mitgeteilt, weil es tatsächliche Anhaltspunkte dafür gäbe, dass er als Gemeindepfarrer in der Pfarrstelle C Anfang der 80-er Jahre gegenüber ihm anvertrauten Kindern und Jugendlichen zahlreiche schwere Amtspflichtverletzungen begangen habe. Zugleich wurde der Beklagte belehrt und über seine Anhörungsrechte unterrichtet (§ 26 Absatz 1 bis 3 DG.EKD).
Mit weiterem Schreiben vom 11.02.2021 teilte die Dienststelle dem Beklagten mit, dass im Hinblick auf die beantragten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen das Disziplinarverfahren ausgesetzt worden sei (§ 29 Absatz 1 DG.EKD).
In einem Telefongespräch am 18.02.2021 kündigte der Beklagte der zuständigen Referentin der Dienststelle der Klägerin an, sich zur Verteidigung gegen die Vorwürfe anwaltlicher Hilfe bedienen zu wollen. Nach seiner Einschätzung könnten dabei die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eine gute Grundlage für die kirchlichen Ermittlungen bilden. Nach Akteneinsicht erfolge dann eine schriftliche Äußerung zu den Beschuldigungen.
Im Zuge des bei der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurden am 24.02.2021 die Zeugin F, geb. 1966, durch eine Beamtin des Polizeipräsidiums und am 08.03.2021 der Zeuge D, geboren 1968, durch einen Beamten des Polizeipräsidiums als Zeugen vernommen.
Auf seinen von der sachverständigen Zeugin G initiierten Antrag von Ende September 2020 erhielt der Zeuge D von der Unabhängigen Unterstützungskommission (UUK) der Landeskirche gemäß Ziffer 3 ihrer Richtlinie von August 2019 im Februar 2021 eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 10.000 Euro.
Mit Fax-Schreiben vom 16.03.2021 zeigte eine Rechtsanwaltskanzlei der Dienststelle an, den Beklagten als Bevollmächtigter zu vertreten.
Mit Bescheid vom 31.03.2021 teilte die Staatsanwaltschaft der Dienststelle die Einstellung des vorbezeichneten Ermittlungsverfahrens mit, weil nach den Aussagen der beiden vernommenen Zeugen bezüglich der in Betracht kommenden Straftaten des Beklagten unzweifelhaft Strafverfolgungsverjährung eingetreten sei.
Soweit sich aus der Aussage des Zeugen D Hinweise darauf ergeben haben, dass der Beklagte auch gegenüber seinen beiden Stiefkindern, geboren im März 1981 und im September 1983, übergriffig geworden sein könnte, gab die Staatsanwaltschaft das Verfahren zuständigkeitshalber an die vormalige Staatsanwaltschaft als Tatortbehörde ab.
Mit Schreiben vom 19.04.2021 teilte diese der Dienststelle mit, dass das geführte Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen mangels Vorliegen eines Anfangsverdachts ohne die Aufnahme weiterer Ermittlungen eingestellt worden sei.
Unter dem 26.04.2021 ersuchte die Dienststelle die Staatsanwaltschaft um Akteneinsicht (insbesondere in die Protokolle der Zeugenvernehmungen), damit das Disziplinarverfahren fortgesetzt werden könne.
Zugleich unterrichtete die Dienststelle den Beschuldigten und seinen Bevollmächtigten mit zugestelltem Schreiben vom 26.04.2021 über die Fortsetzung des zuvor ausgesetzten Disziplinarverfahrens (§ 29 Absatz 2 DG.EKD).
Nach Erhalt und Auswertung der von der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 10.06.2021, eingegangen am 14.06.2021, übersandten Kopien der polizeilichen Vernehmungsprotokolle bzgl. der Zeugen D und F sah der Ermittlungsführer im Rahmen seiner disziplinarrechtlichen Ermittlungen von einer erneuten Vernehmung der Zeugen ab.
Unter dem 29.06.2021 schrieb der Ermittlungsführer weitere fünf in Betracht kommende Zeug(inn)en an, um sie über seine Absicht zu informieren, zeitnah ihre Vernehmungen zu organisieren.
Eine Zeugin teilte dem Ermittlungsführer telefonisch am 02.07.2021 mit, zu den gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfen lediglich etwas vom „Hörensagen" zu wissen. Der Ermittlungsführer verzichtete daher auf ihre Vernehmung.
Mit Fax-Schreiben vom 12.07.2021 forderte der Ermittlungsführer den Bevollmächtigten des Beklagten, der zwischenzeitlich dessen Vollmacht vorgelegt hatte, unter Fristsetzung auf, noch den Nachweis zu führen, einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland anzugehören (§ 27 Absatz 2 Satz 2 DG.EKD). Zugleich informierte er ihn über eine am 17.07.2021 terminierte Vernehmung des Zeugen H und der Zeugin I. Zugleich gab er dem Beklagten dessen Ausschluss von der Vernehmung der Zeugin I gemäß § 31 Absatz 5 DG.EKD bekannt, weil sie zu sehr privaten Umständen aus ihrer Konfirmanden- und Teenagerzeit befragt werden sollte. Der Beklagte und sein Bevollmächtigter reagierten auf dieses Schreiben nicht.
Die angekündigten Vernehmungen erfolgten am 17.07.2021. Weder der Beklagte noch sein Bevollmächtigter erschienen zu diesem Termin.
Weil die Zeugin I bei ihrer Aussage angegeben hatte, aus dem hier zum Teil in Betracht kommenden Zeitraum noch Tagebuchaufzeichnungen zu besitzen, wurden mit ihrem Einverständnis Mehrfertigungen der Tagebucheinträge vom 01.01.-09.05.1983 zu den Ermittlungsakten genommen. Das jeweilige Protokoll wurde von beiden Zeugen nach Diktat durchgelesen, genehmigt und unterschrieben.
Am 21.07.2021 meldete sich Rechtsanwalt J per E-Mail als neuer Bevollmächtigter des Beklagten, dem die Dienststelle umgehend die Disziplinarakte zur Einsichtnahme übersandte.
Der Ermittlungsführer übermittelte zusätzlich mit Fax-Schreiben vom 23.07.2021 dem neuen Bevollmächtigten, der zwischenzeitlich auch seine Mitgliedschaft in einer EKD-Gliedkirche nachgewiesen hatte, die beiden Vernehmungsprotokolle und informierte ihn darüber, dass am 31.07.2021 Herr K und Frau L als Zeugen vernommen werden sollten. Zugleich schloss er den Beklagten von der Vernehmung des Zeugen K aus, da sich dessen Befragung auf intime Umstände aus seiner Konfirmanden- und Teenagerzeit erstrecken sollte (§ 31 Absatz 5 DG.EKD). Mit E-Mail vom 27.07.2021 bestätigte der neue Bevollmächtigte den Erhalt der beiden Vernehmungsprotokolle vom 17.07. und teilte für den Beklagten einen Verzicht auf die Teilnahme an der Vernehmung der Zeugin L mit.
Die beiden Zeugen K, geb. 1964, und L, geb. 1969, wurden vom Ermittlungsführer am 31.07.2021 vernommen. Die beiden Zeugen lasen jeweils nach Diktat ihr Protokoll durch, genehmigten und unterschrieben es.
Der Ermittlungsführer telefonierte am 12.08.2021 mit einer weiteren Zeugin, die in den 80-er Jahren Leiterin des Kinder- und Jugendchores der evangelischen Kirchengemeinde war. Den Anlass dazu gab eine Aussage des Zeugen D in seiner „Darstellung des Sachverhaltes" vom 28.09.2020, wonach die Zeugin - nach Erklärung des Beklagten ihm gegenüber - dessen Geliebte gewesen sei.
Auf die fernmündliche Nachfrage des Ermittlungsführers teilte die mögliche Zeugin diesem mit, sexuelle Übergriffe seitens des Beklagten nicht erlebt zu haben. Daher sah der Ermittlungsführer von ihrer förmlichen Vernehmung ab.
Mit Schreiben vom 12.08.2021 übersandte der Ermittlungsführer dem Bevollmächtigten des Beklagten Kopien der Tagebuchaufzeichnungen der Zeugin I sowie die beiden Vernehmungsprotokolle vom 31.07.2021 und teilte ihm mit, ihn über den Fortgang des Ermittlungsverfahrens zu unterrichten.
Bereits mit E-Mail vom 21.07.2021 hatte der neue Bevollmächtigte eine schriftliche Stellungnahme nach Akteneinsicht angekündigt. Daraufhin setzte die zuständige Referentin der Dienststelle der Klägerin ihm aufgrund des Anwaltswechsels mit E-Mail vom 22.07.2021 im Rahmen der einleitenden Anhörung zunächst eine Frist bis zum 23.08.2021. Auf dessen weiteren Antrag vom 13.08.2021 (per E-Mail) verlängerte der Ermittlungsführer diese Frist mit E-Mail vom 16.08.2021 bis zum 20.09.2021.
Mit E-Mail vom 01.09.2021 nahm der Bevollmächtigte in einem 39-seitigen Schreiben vom selben Tag zu dem bisherigen Ermittlungsergebnis Stellung und beantragte, das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten einzustellen, weil zusammenfassend Amtspflichtverletzungen nicht erwiesen seien.
Der Ermittlungsführer unterrichtete mit Schreiben vom 17.09.2021 (vorab per E-Mail) den Bevollmächtigten über einen Termin am 02.10.2021 zur Vernehmung der Zeugin M und des Zeugen N. Mit E-Mail vom 23.09.2021 teilte der Bevollmächtigte auch für den Beklagten mit, dass auf eine Teilnahme an den Zeugenvernehmungen verzichtet werde.
Der Ermittlungsführer vernahm ankündigungsgemäß am 02.10.2021 die Zeugin M, geb. 1969, und den Zeugen N, geb. 1944, und ließ sie jeweils nach Diktat ihr Protokoll durchlesen, genehmigen und unterschreiben.
Am 11.10.2021 übersandte der Ermittlungsführer dem Bevollmächtigten des Beklagten die beiden Vernehmungsprotokolle vom 02.10.2021 und gab ihm Gelegenheit, in Ergänzung zu seinem Schreiben vom 01.09.2021 bis zum 25.10.2021 zu den weiteren Ermittlungen Stellung zu nehmen. Der Bevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom 25.10.2021 die Auffassung, dass das Disziplinarverfahren auch mit Blick auf diese Vernehmungen „nunmehr einstellungsreif“ sei.
Nach den aus seiner Sicht wesentlichen eigenen Ermittlungen schloss der Ermittlungsführer am 09.12.2021 seine Tätigkeiten mit einem Bericht ab. Darin empfahl er der Klägerin, gegen den Beklagten unter zusammenfassender Würdigung der erhobenen Beweise wegen schwerwiegender Amtspflichtverletzung (u.a. den sexuellen Missbrauch von Kindern bzw. Schutzbefohlenen) Disziplinarklage zu erheben mit dem Ziel, ihn aus dem Dienst zu entfernen (§ 9 Absatz 2 Satz 1 i.V.m. § 18 DG EKD). Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht des Ermittlungsführers verwiesen.
Dem Beklagten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten wurde dieser Ermittlungsbericht mit Schreiben vom 15.12.2021 unter Hinweis auf die Möglichkeit einer abschließenden Äußerung übersandt. Davon machte der Beklagte persönlich in der Form Gebrauch, dass er versuchte, die gegen ihn von den Zeuginnen und Zeugen erhobenen Vorwürfe in einer 30 Seiten umfassenden Stellungnahme zu widerlegen. Diese wurde am 18.01.2022 vom Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten per E-Mail übersandt. Ergänzend übermittelte der Beklagte am 20.01.2022 per E-Mail Fotos und weitere Anmerkungen zum Abschlussbericht des Ermittlungsführers. Am 21.01.2022 gingen bei der Dienststelle per Post weitere Fotos, Briefe und andere Unterlagen zur Untermauerung der Argumentation des Beklagten in seiner Stellungnahme zum Abschlussbericht des Ermittlungsführers ein.
Der Empfehlung des Ermittlungsführers folgend erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10.02.2022 – Eingang beim Kirchengericht der EKD am selben Tage – gegen den Beklagten Disziplinarklage und kündigte an, in der mündlichen Verhandlung gemäß § 18 DG.EKD dessen Entfernung aus dem Dienst zu beantragen. Diesen Vorwurf stützte die Klägerin auf die Ermittlungsergebnisse, wonach sich der Beklagte über den Zeitraum von sechs Jahren in der Zeit von 1982-1988 an den Zeuginnen I und F, sowie an den Zeugen D und K vornehmlich sexuell vergangen und damit rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus der Ordination gemäß § 3 Absatz 2 des Pfarrdienstgesetzes der EKKW verletzt haben soll. Dabei erstrecken sich die Vorwürfe nicht nur auf die Zeit von 1982 bis Ende September 1986, in der der Beklagte Gemeindepfarrer in der Pfarrstelle C war. Auch während seiner Tätigkeit als Studienleiter für die Vikarsausbildung eines evangelischen Predigerseminars ab Oktober 1986 soll sich der Beklagte in schwer amtspflichtverletzender Weise verhalten haben. Bezüglich weiterer Einzelheiten zu den Vorwürfen wird auf die Klageschrift vom 10.02.2022 verwiesen.
Mit E-Mail vom 05.05.2022 legte der bisherige Verfahrensbevollmächtigte des Beklagten, Rechtsanwalt J, sein Mandat nieder und teilte mit, dass der Beklagte zukünftig von der Rechtsanwältin B vertreten werde. Diese zeigte die Übernahme der Verfahrensbevollmächtigung durch E-Mail vom selben Tage unter Vorlage einer Bescheinigung ihrer Kirchengemeinde über ihre Kirchenmitgliedschaft an.
In der Fortsetzungsverhandlung vom 4. August 2022 machte der von dem Beklagten benannte Zeuge O, geboren 1964, zusätzlich Angaben zu zwei homosexuellen Handlungen, die der Beklagte Ende 1982 und zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt 1985/86 an dem zu den mutmaßlichen Tatzeiten volljährigen Zeugen vorgenommen haben soll. Bezüglich dieser beiden Vorwürfe erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.08.2022 eine Nachtragsdisziplinarklage, die noch am selben Tag bei dem Kirchengericht einging. Zur Begründung nahm sie Bezug auf die Aussage des Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 05.08.2022 vor dem erkennenden Gericht. Nach ordnungsgemäßer Zustellung unter Fristsetzung zur Stellungnahme binnen zwei Wochen beantragte die Verfahrensbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom 25.08.2022 - eingegangen beim Kirchengericht per E-Mail am selben Tag - eine Fristverlängerung bis zum 30.08.2022, die vom Vorsitzenden der Kammer bewilligt wurde. Entgegen dieser Ankündigung erfolgte eine konkrete Stellungnahme zur Nachtragsdisziplinarklage weder schriftlich noch in der Fortsetzungsverhandlung vom 30.08.2022.
Nach dem Abschluss der Beweisaufnahme stellt die Vertreterin der Klägerin den Antrag,
den Beklagten gemäß § 18 DG.EKD aus dem Dienst zu entfernen.
Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Disziplinarklage vom 10.02.2022 ergänzt durch die Nachtragsdisziplinarklage vom 09.08.2022 und führt zur Begründung aus, dass sich die darin umschriebenen Amtspflichtverletzungen des Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in vollem Umfang bestätigt hätten.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Beklagten stellt den Antrag,
die Disziplinarklage insgesamt abzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den gesamten Beklagtenvortrag außerhalb und während der mündlichen Verhandlung.
III.
1. Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD ist für die Entscheidung über die Vorwürfe aus der Disziplinarklage der Klägerin in erster Instanz zuständig. Da der Beklagte bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand ab Oktober 2011 unter Beibehaltung seiner Rechte aus der Ordination Beamter in der Dienststelle der Klägerin gewesen ist und damit in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zu ihr gestanden hat, hat die Klägerin zu Recht ihre Zuständigkeit als disziplinaraufsichtsführende Stelle bejaht (§ 4 Absatz 1 DG.EKD) und damit auch die Zuständigkeit der von ihr im Rahmen der Kirchengerichtsbarkeit korrespondierend geschaffenen Disziplinarkammer begründet, auch wenn die Beschuldigungen nicht den mehr als elfjährigen Dienst des Beklagten als […] in der Dienststelle der Klägerin betreffen.
2. Die Disziplinarkammer ist weiter mit Blick auf den in der Klageschrift und in den Nachtragsklageschrift umrissenen mutmaßlichen Tatzeitraum (1982-1988) nicht durch ein Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs gemäß § 22 Absatz 1 DG.EKD an einer Sachentscheidung gehindert. Dem Beklagten werden überwiegend neben schweren Verstößen gegen die sich aus seiner Ordination als Pfarrer ergebenden Dienstpflichten sexuelle Verfehlungen als Amtspflichtverletzungen zur Last gelegt, die in ihrer Gesamtheit im Falle des Nachweises grundsätzlich gemäß § 18 DG.EKD die Entfernung aus dem Dienst und damit die für einen bereits in den Ruhestand getretenen Pfarrer härteste, einer Verjährung nicht unterliegende Maßnahme rechtfertigen können.
3. Ein in § 86 Absatz 1 Satz 2 DG.EKD verankertes Rückwirkungsverbot steht der Durchführung dieses Disziplinarverfahrens nicht entgegen, weil die dem Beklagten im mutmaßlichen Tatzeitraum von 1983-1989 zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen auch nach dem damals geltenden Disziplinarrecht grundsätzlich eine Entfernung aus dem Dienst zugelassen hätten.
IV. Die Disziplinarklage ist nach dem Ergebnis einer umfangreichen Beweisaufnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, die sich insgesamt über vier Tage erstreckte, auch begründet.
1. Die Kammer trifft zunächst zum Hintergrund der dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen die folgenden Feststellungen:
Der Beklagte wurde in der Zeit von Oktober 1978 bis Januar 1981 mit der Wahrnehmung der Aufgaben der zweiten Pfarrstelle in der Kirchengemeinde C beauftragt. Im Anschluss daran wurde ihm wegen seiner anerkannt erfolgreichen Arbeit in der Gemeinde unter Berufung in das Pfarrerdienstverhältnis auf Lebenszeit diese Pfarrstelle übertragen. Neben dem Inhaber der ersten Pfarrstelle, dem Zeugen N, war er bis September 1986 für die kirchlichen Belange der Gemeinde verantwortlich. Diese Aufgaben nahmen beide mit Teamgeist, gegenseitigem Respekt und in absoluter Loyalität, die bis heute andauert, wahr. Ihr besonderer Verdienst war es unter anderem, durch die Planung und Realisierung eines Gemeindezentrumneubaus die Rahmenbedingungen für ihre pfarramtliche Tätigkeit erheblich zu verbessern. Der Beklagte widmete sich darüber hinaus bereits vom Beginn seiner beruflichen Praxis an intensiv der Kinder- und Jugendarbeit. Das fiel ihm wegen seines offenen, zugewandten und freundlichen Wesens gepaart mit einer brillanten Rhetorik ausgesprochen leicht. Insbesondere durch neue Formen eines körperbetonten Umgangs miteinander und der Selbsterfahrung in Gruppen gelang es ihm Schwung in die Jugend- und insbesondere Konfirmandenarbeit der bis dahin ländlich konservativen Kirchengemeinde zu bringen. Die rechte Hand des Beklagten war aufgrund eines Geburtsfehlers missgebildet […]. Dadurch war der Beklagte aber in seinen Aktivitäten in keiner Weise eingeschränkt. Sein selbstverständlicher Umgang mit dieser Behinderung verstärkte vielmehr die Bereitschaft in seinem christlichen Umfeld, ihm als stets freundlichen und engagierten Pfarrer im Umgang mit Kindern und Jugendlichen keine schlechten Absichten zu unterstellen. Zu seiner Unterstützung baute der Beklagte im Laufe der Zeit um sich herum einen Helferkreis auf, einen „inner circle“, der im Wesentlichen aus bereits konfirmierten Jugendlichen, sogenannten „Helpis“ bestand, die ihn als progressiven Pfarrer verehrten. So konnte er im Rahmen einer intensiven, abwechslungsreichen Konfirmandenarbeit jeweils zwei Freizeiten anbieten, eine zu Beginn, die dem „team-building“ dienen sollte und eine weitere am Ende kurz vor der Konfirmation. Auf diesem Hintergrund waren seinerzeit die meisten Kinder und Jugendlichen bemüht, in die Konfirmandengruppe um den Beklagten zu kommen, um anschließend dann auch „Helpi“ werden zu können. Andererseits gab es aber damals bereits jugendliche und erwachsene Gemeindeglieder, die den engen Umgang des Beklagten mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden mit Skepsis beobachteten und froh waren, wenn sie oder ihre Kinder einer anderen Konfirmandengruppe zugeteilt wurden. Diese Skepsis war – wie sich im Nachhinein herausstellte – mehr als berechtigt. Als der Beklagte nämlich bemerkte, welch großen Einfluss er aufgrund seiner intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten auf Kinder, Jugendliche bis hin zu jungen Erwachsenen ausüben konnte, nutzte er jede ihm geeignet erscheinende Gelegenheit, um sich diesen in letztlich sexueller Absicht zu nähern und sie zur Befriedigung seiner eigenen, vorwiegend sexuellen Bedürfnisse zu missbrauchen.
2. Zum Kerngeschehen der aufgrund dieses Verhaltens dem Beklagten vorzuwerfenden Amtspflichtverletzungen trifft die Kammer die folgenden Feststellungen:
a) Taten zum Nachteil des Zeugen D
Der 1968 geborene Zeuge wurde Mitte bis Ende April 1982 kurz nach seinem 14. Geburtstag von dem Beklagten konfirmiert. Wie viele Kinder und Jugendliche seiner damaligen Generation fühlte sich auch der Zeuge zum allseits beliebten Pfarrer hingezogen, weil dieser ihm aus seiner Sicht auf Augenhöhe begegnete und ihn wie einen Erwachsenen behandelte. Um dazu zu gehören, bemühte sich der Zeuge daher, von dem Beklagten in den inneren Kreis der Konfirmandenhelferinnen und -helfer aufgenommen zu werden. Der Beklagte, der dieses Bestreben bald bemerkte, lud deshalb den Zeugen, den er – wie einige andere Kinder und Jugendliche auch – besonders mochte, meistens nach dem Konfirmandenunterricht wiederholt zum Essen in Gaststätten, vornehmlich in griechische Restaurants, zu Theater- oder zu Kinovorstellungen ein. Der Zeuge bekam dadurch bald Kontakt zur Kulturszene. In dieser Zeit entdeckte der damals 14-jährige Zeuge seine Vorliebe für die Schauspielerei und für das Theater, was seine spätere Berufswahl nachhaltig prägen sollte. Der Beklagte, der regelmäßig die Mutter des Zeugen aufsuchte, um sich von ihr die Haare schneiden zu lassen, war mit dieser in gutem Kontakt. Zu den gemeinsamen Unternehmungen mit ihrem Sohn versicherte er ihr, die Eignung des Zeugen für dessen neue Ambitionen prüfen und ihn gegebenenfalls dabei unterstützen zu wollen.
So war sie auch nicht misstrauisch, als der Beklagte im April 1983 vorschlug, gemeinsam mit dem Zeugen in die Stadt P zu fahren, um ihm dort die Stadt zu zeigen. Dort hatte er bereits in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter begonnen, an einer Dissertation zu arbeiten, deren Thema ihm noch von seinem damaligen Professor vorgegeben worden war. Nach dessen Tod Ende 1978 setzte er diese Arbeit zunächst fort, weil er hoffte, einen neuen Doktorvater für das Thema zu gewinnen, was sich schwierig gestaltete. Daneben wirkte er noch an der posthumen Herausgabe von Schriften des Professors mit. Diese Arbeiten bildeten für den Beklagten den Anlass, gemeinsam mit dem Zeugen in die Stadt P zu fahren, um ihm bei dieser Gelegenheit neben der Stadt insbesondere auch die Universität zu zeigen. Im Einvernehmen mit der Mutter des Zeugen übernachteten beide jeweils gemeinsam in einem Doppelzimmer eines Hotels, später auch in anderen Hotels in der Stadt und Umgebung.
ab) Die erste Fahrt fand bereits im April 1983 statt. Die genauen Daten konnten der Beklagte und der Zeuge nicht mehr erinnern. Sie erstreckte sich aber auf jeden Fall – wie vom Zeugen angegeben - über ein Wochenende, was auch grundsätzlich möglich war, weil dem Beklagten während dieser Zeit ein 40tägiger Sonderurlaub zum Abschluss seiner Dissertation gewährt worden war.
Auf dieser ersten Fahrt kam es nach einem nachmittäglichen Besuch der Sauna des öffentlichen Schwimmbades am Abend im Hotelzimmer zum ersten sexuellen Kontakt des Beklagten mit dem Zeugen. Als beide nur mit der Unterwäsche bekleidet im Hotelbett lagen, streichelte der Beklagte dem damals ca. 15 Jahre alten Zeugen den Po unterhalb der Unterhose und fasste auch dessen Geschlechtsteil an, was der Zeuge widerstandslos geschehen ließ. Als am nächsten Morgen beide ausgezogen und nackt waren, tauschten sie erneut sexuelle Zärtlichkeiten aus, indem sie gegenseitig ihre Geschlechtsteile stimulierten. Dabei befriedigte der Beklagte den Zeugen mit dem Mund. Ob der Zeuge einen Samenerguss hatte und ob der Beklagte auch das Sperma des Zeugen geschluckt hatte, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Der Zeuge wiederum streichelte den Beklagten an dessen ganzen, an Brust und Bauch auffällig behaarten Körper. Der Penis des Beklagten war nach dem damaligen Eindruck des Zeugen sehr klein und reagierte auf feinste Berührungen sehr empfindlich, so dass der Beklagte durch die stimulierenden Handlungen des Zeugen schnell äußerst erregt war. Ob der Beklagte bei dieser Gelegenheit zum Orgasmus kam, konnte die Kammer ebenfalls nicht sicher feststellen. Bei diesen Manipulationen durch den Zeugen machte der so hochgradig erregte Beklagte mit zusammengebissenen Zähnen und hochangespannter Halsmuskulatur nicht nur an diesem Morgen sondern auch stets bei den weiteren immer gleich ablaufenden sexuellen Begegnungen mit dem Zeugen ein wimmerndes gequetschtes Geräusch. Er vermittelte dabei dem Zeugen zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, im sexuellen Umgang mit Jugendlichen unerfahren zu sein. Er spornte vielmehr den Jugendlichen bei dessen sexuellen Handlungen u.a. mit Worten wie „du bist so schön", „du machst das so toll, wie du mich anfasst" noch besonders an.
Auf der Rückfahrt fragte der Zeuge den Beklagten, ob für diesen das sexuelle Erlebnis mit ihm das eigentliche Ziel der Reise gewesen sei. Mit seiner überlegenen Rhetorik beschwichtigte der damals 36-jährige Beklagte den ca. 15 Jahre alten Zeugen damit, dass doch nichts gegen dessen Willen geschehen sei und dass er eigentlich nur getan habe, was dem Zeugen gut tue. Er rechtfertigte das Geschehen weiter damit, dass es auch unter Männern völlig normal sei, Zuneigung und Nähe - wie bereits in alten Kulturen - auch körperlich auszudrücken. Es sei lediglich die „erotische Erweiterung einer sehr engen, vertrauten Männerfreundschaft"; mit Sex im eigentlichen Sinne habe ihre Beziehung insoweit nichts zu tun. So gelang es dem Beklagten, das Bewusstsein des Zeugen dahingehend zu beeinflussen, dass solche sexuelle Begegnungen wie selbstverständlich zur Freundschaft mit dem Beklagten gehörten. Für den Zeugen war sein fortan „geheimes illegales Sexleben" auch eine „persönliche Art der Rebellion" gegen die Welt der Erwachsenen. In der Zeit von 1983-1987 kam es noch zu drei weiteren gemeinsamen Fahrten in die Stadt P, die ähnlich abliefen und im Rahmen derer es jeweils dazu kam, dass der Beklagte und der Zeuge sich gegenseitig oral bis zum Orgasmus befriedigten und zum Teil auch das Sperma schluckten. Der Analverkehr wurde dabei nicht praktiziert.
Da der Zeuge neben dem Beklagten auch mit dessen etwa gleichaltrigem Sohn befreundet war, der auch zur gemeinsamen Clique gehörte, besuchte er die Familie des Öfteren, häufig auch zum Abendessen. Das bereitete ihm keine großen Umstände, weil das Wohnhaus der Familie fußläufig nur 10 Minuten vom Wohnhaus der Eltern des Zeugen entfernt war. Neben den gemeinsamen Restaurant- und Kinobesuchen ergaben sich für den Beklagten in der Zeit von 1982-1986 mindestens dreimal im Jahr Gelegenheiten, bei denen er sich dem Zeugen anlässlich von Hausbesuchen sexuell nähern und zu homosexuellen Handlungen animieren konnte. Diese Treffen fanden gegen Abend nach der Erinnerung des Zeugen in einem Anbau gelegenen und abschließbaren „Bibliothek/Arbeitszimmer“ statt. Nach Schnittchen, Wein und Gesprächen begann der Beklagte den Zeugen einvernehmlich zunächst am Oberschenkel zu streicheln. Nach dem Ausziehen der Hosen befriedigten sie sich gegenseitig oral oder mit der Hand bis zum jeweiligen Orgasmus, wobei das Sperma auch geschluckt wurde. Diese sexuellen Handlungen gehörten für den Zeugen nach den manipulativen Erklärungen des Beklagten anlässlich der ersten Fahrt in die Stadt P wie selbstverständlich zu dieser „Männerfreundschaft“. Anschließend zogen sich beide wieder an, tranken bei weiteren Gesprächen noch Wein, bis der Zeuge aufbrach, um gegen 22:00 Uhr wieder zu Hause zu sein.
ac) Nach der gemeinsamen Fahrt Ende April/Anfang Mai 1983 in die Stadt P beschlossen der Beklagte und der Zeuge, zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt in den Herbstferien desselben Jahres oder in den Osterferien 1984 eine mehrtägige Reise ins Elsass zu unternehmen, wobei sie sich darauf verständigten, ihre Angehörigen über das Ziel nicht zu informieren. Nach einer ersten Übernachtung in einem Hotel fuhren sie über zwei Städte im Elsass weiter zu ihrem eigentlichen Ziel, einem kleinen Weinort. Dort nahmen sie im Hotel Q wiederum gemeinsam ein Doppelzimmer zur Übernachtung. Nach dem Abendessen, bei dem es „coq au vin“ gab, gingen der Beklagte und der Zeuge ins Hotel, um dort zum ersten, aber auch einzigen Mal Sex in einer Badewanne zu haben. Im Schein leuchtender Kerzen, die von irgendwoher besorgt und aufgestellt wurden, saßen sich beide nackt in der Wanne gegenüber und begannen sogleich sich auf die bereits mehrfach praktizierte Art und Weise gegenseitig mit der Hand und mit dem Mund sexuell bis hin zum Orgasmus zu befriedigen. Auch hier war der Zeuge vom Beklagten so eingestimmt worden, dass er die sexuelle Handlung für nicht außergewöhnlich und insbesondere nicht für anstößig hielt.
ad) Im Herbst 1985 lud der Beklagte den Zeugen zu einem Kurzurlaub nach R in sein kleines Ferienhaus ein. Im Schlafzimmer im oberen Geschoss des zu dieser Zeit allein von ihnen bewohnten Hauses kam es während des Aufenthaltes insgesamt dreimal zum Sexualverkehr und zwar stets in der bereits wiederholt beschriebenen, zwischen beiden eingespielten Art und Weise. Da zum damaligen Zeitpunkt die Aidsproblematik noch akut war, machte der Beklagte vor der Reise einen Aidstest und informierte den Zeugen darüber. Auf der Rückfahrt holte der Beklagte in Begleitung des Zeugen seine Ehefrau ab, die von dem intimen Verhältnis ihres Mannes zu dem Zeugen weder etwas wusste noch ahnte.
ae) Die letzte gemeinsame Fahrt fand zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1987 statt und diente der Vorbereitung einer Radtour. Sie führte über den Heimatort des Beklagten, den er dem Zeugen auch zeigte, in die Stadt S. Dort übernachteten beide in der Wohnung der zum damaligen Zeitpunkt ortsabwesenden Schwester des Beklagten. Unterhalb dieser Wohnung wurde im Erdgeschoss eine Videothek betrieben, wo sich der Beklagte und der Zeuge Pornofilme ausliehen, die sie sich gemeinsam im Wohnzimmer auf einem dort eingerichteten „Matratzenlager" anschauten, um sich sexuell zu stimulieren. Auch im Laufe dieses Abends kam es zwischen beiden zu den inzwischen gewohnten sexuellen Handlungen, d.h. zur gegenseitigen sexuellen Befriedigung mit der Hand bzw. mit dem Mund bis hin zum beiderseitigen Orgasmus.
Nach dem Wechsel des Beklagten aus der Pfarrstelle C in das Predigerseminar und dem Beginn der beruflichen Ausbildung des Zeugen zum Schauspieler kam es zu keinen weiteren sexuellen Treffen der vorbeschriebenen Art.
Lediglich im Herbst 1991 besuchte der Beklagte den Zeugen in T, als dieser dort in die Schauspielschule ging. Dabei zeigte sich der Beklagte enttäuscht, dass der Zeuge zum ersten Mal zu ihm dadurch auf Distanz ging, dass er ihm nicht gestattete, in seiner Wohngemeinschaft zu übernachten. Dadurch bot sich dem Beklagten - wie er es auch in anderen Fällen versucht hat – keine Möglichkeit mehr auszuloten, ob und inwieweit die in der frühen Jugend des Zeugen geschaffene sexuelle Hörigkeit fortwirkte.
Der Zeuge ist sich der Tatsache, dass er vom Beklagten im Rahmen der damaligen so genannten besonderen Freundschaft sexuell missbraucht worden ist, sehr viel später bewusst geworden bzw. musste darauf erst von Außenstehenden hingewiesen werden. Das hat bei dem Zeugen traumatische Reaktionen ausgelöst, deren Folgen der Zeuge bis heute noch nicht überwunden hat und die ihn weiterhin unter anderem in hoch gewalttätigen Träumen in Bezug zum Beklagten stark belasten.
b) Tat zum Nachteil des Zeugen K
Der 1964 geborene Zeuge ist im Frühjahr 1978 noch von dem Vorgänger des Beklagten als Gemeindepfarrer konfirmiert worden. Im Sommer 1979 begann der Beklagte mit dem Aufbau des bereits oben erwähnten Helferkreises für den Konfirmandenunterricht. In diesem Zusammenhang war der Zeuge für ihn interessant, weil dieser eine Ausbildung zum Organisten machte. Durch seinen neuen, kooperativen Umgang mit den Kindern und Jugendlichen der Gemeinde gewann der Beklagte auch schnell beim Zeugen die Bereitschaft zur Mitarbeit. Da dessen Vater schon früh verstorben war und der neue Lebensgefährte der Mutter dessen Erziehungsaufgabe wegen fehlender Akzeptanz durch den Zeugen nicht übernehmen konnte, fand der Zeuge schon bald in dem Beklagten einen väterlichen Freund als Orientierungshilfe. Als der Beklagte erfuhr, dass der Zeuge homosexuell ist, unterstützte er ihn sehr bei seinem Coming-out und setzte sich auch bei einer wichtigen schulischen Entscheidung bei seiner dominanten Mutter für ihn ein.
Im Januar 1983 begleitete der gerade 18 Jahre alt gewordene Zeuge als „Helpi“ den Beklagten auf einer Konfirmandenfreizeit. Als sie an einem Abend allein im dortigen Meditationsraum der Einrichtung und die anderen Fahrtteilnehmer bereits zu Bett gegangen waren, nutzte der Beklagte die Gelegenheit, sich dem Zeugen sexuell zu nähern. Er wurde gegenüber dem Zeugen zärtlich, indem er ihn streichelte und sexuell erregte. Der Zeuge ließ dies widerstandslos geschehen und entkleidete schließlich auch seinen Körper unterhalb der Gürtellinie, so dass sein Glied entblößt war. Der damals 36 Jahre alte Beklagte nahm das Glied des Zeugen in die Hand, schließlich auch in den Mund und befriedigte ihn bis zum Orgasmus. Dabei blieb der Zeuge selbst passiv, insbesondere nahm er selbst an dem Beklagten keine sexuellen Handlungen vor. Ob die Tür zum Meditationsraum zu dieser Zeit verschlossen war, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, der Beklagte vertraute jedoch wohl darauf, in dieser Situation nicht plötzlich gestört zu werden. Der gerade volljährig gewordene Zeuge war zunächst überrascht, widersetzte sich aber nicht, weil er mit Blick auf seine geschlechtliche Veranlagung die sexuelle Aktivität des Beklagten als angenehm empfand. Dieses Erlebnis wühlte den Zeugen dennoch innerlich sehr auf und bereitete ihm eine unruhige Nacht. Am nächsten Morgen kam der Beklagte auf ihn zu und bot ihm wohl als vermeintliches Zeichen der neuen Verbundenheit „endlich das Du" an. Bereits vor dieser Freizeit hatte der Zeuge bemerkt, dass einige Jugendliche den Beklagten duzen durften und andere (wie er) nicht. Dabei ging dem Zeugen durch den Kopf, dass der Beklagte sich bereits anderen Jugendlichen in ähnlicher Weise sexuell genähert haben könnte. Er fühlte sich deshalb nach eigenen Angaben danach wie eine „Nutte". In diesem Zusammenhang fiel dem Zeugen auch auf, dass der Beklagte sich verstärkt um Kinder und Jugendliche kümmerte, bei denen es im Elternaus Probleme gab, nicht aber um diejenigen, die aufgrund ihres guten Verhältnisses zu den Eltern etwaige Probleme mit diesen besprechen würden. Der Zeuge schloss persönlich mit dieser Missbrauchserfahrung dadurch ab, dass er dem Beklagten später persönlich ins Gesicht sagte, dass er ihn für sich als Missbrauchstäter erkannt habe und ihn deshalb auch verachte. Als später Gerüchte aufkamen, dass der Beklagte als Kandidat für eine Nachfolge im Bischofsamt in Betracht kommen könnte, versuchte er dies durch ein persönliches Gespräch mit der damaligen Präses der Landeskirche zu verhindern. Tatsächlich stand der Beklagte damals für dieses Amt nicht zur Disposition.
c) Taten zum Nachteil der Zeugin I
Probleme im Elternhaus erkannte der Beklagte auch bei der 1969 geborenen Zeugin, die bereits als Kind bei ihm in der Konfirmandenvorbereitung war und im April 1983 im Alter von 13 Jahren von ihm konfirmiert wurde. Da ihre Mutter Anfang 1983 an Krebs erkrankte, suchte sie außerhalb der Familie Rat und Hilfe. Der Beklagte als Gemeindepfarrer prägte den Konfirmandenunterricht durch einen neuen Stil des Umgangs miteinander, indem er insbesondere Themen der Selbsterfahrung und der Gefühlsentdeckung einbezog. Sie und die anderen waren deshalb von ihm hellauf begeistert. Die Konfirmandenfreizeiten empfand sie als „Ausbruch aus dem kleinbürgerlichen Leben". Darüber hinaus verstand es der Beklagte, durch die Schaffung einer persönlichen Nähe zur Zeugin etwa durch gemeinsame Unternehmungen und kleine Geschenke, dass er die Zeugin nicht nur als Pfarrer, sondern auch als Männerfigur faszinierte. Besonders intensive Kontakte fanden auf der Konfirmandenfreizeit vom 17.-19.01.1983 statt. Am 17. Januar 1983 eröffnete der Beklagte der Zeugin, dass sie zukünftig als „Helpi“ im Team mitwirken sollte, worüber sich die Zeugin sehr freute. Am 18.01.1983 meditierte sie mit dem Beklagten und anderen Teilnehmern in dem bereits im Zusammenhang mit dem Zeugen K erwähnten Meditationsraum. Gemeinsam mit ihrer Freundin, der 1966 geborenen Zeugin F beschloss sie, in diesem Raum zu übernachten. Nachdem der Beklagte alle anderen Jugendlichen bis auf sie und ihre Freundin gegen 03:30 Uhr am frühen Morgen hinaus geschickt hatte, tauschte der Beklagte mit den beiden Mädchen zärtliche Berührungen insbesondere im Gesicht und an den Händen aus, was die Jugendlichen damals verniedlichend als „Wuseln“ oder „Schmusen“ bezeichneten. Ob dabei Zärtlichkeiten mit eindeutig sexuellem Bezug ausgetauscht wurden, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Gegen 05:30 Uhr ging der Beklagte auf sein Zimmer. Nach der Konfirmandenfreizeit setzte der Beklagte seine Bemühungen um die Zeugin fort. Am 29.01.1983 rief er sie zweimal an und besuchte sie gegen 18:00 Uhr, wobei er ihr eine Schale, eine Tassenkanne und drei Sorten Tee schenkte, worüber die Zeugin sich riesig freute und sehr stolz war. Bei einem weiteren Besuch am 07.02.1983 schenkte er ihr eine Kassette, ein Foto von ihr und ein Buch. Die Zeugin war durch das Verhalten des Beklagten als damals 13-jähriges, pubertierendes Mädchen emotional so aufgewühlt, dass dieser sogar in ihren Träumen auftauchte. Parallel dazu bemühte sich der Beklagte auch um die Zeugin F, die damals mit der Zeugin I befreundet war. Am 20.02.1983 um 13:45 Uhr kam die Zeugin F und berichtete, dass der Beklagte ihr ein Bild von der Zeugin geschenkt habe, worüber die Zeugin glücklich war. Am 28.02.1983 besuchte sie gemeinsam mit der Zeugin F und einem Mitkonfirmanden den Beklagten zu Hause. Ein für das Wochenende vorgesehenes Essen mit dem Beklagten sagte die Zeugin nach einem Gespräch mit ihm ab, worüber sie sehr traurig war. Am Sonntag, den 13.03.1983, fuhr die Zeugin mit dem Beklagten in ein Café, wo sie sich mit ihm nach eigenen Angaben sehr gut unterhielt. Die Eltern der Zeugin wurden mittlerweile wegen der häufigen Kontakte des Beklagten mit ihrer Tochter immer misstrauischer. Ihre Mutter hinterfragte jedes Treffen sehr kritisch. Am Samstag, den 19.03.1983, besuchte die Zeugin mit dem Beklagten ein Café. Weil dieses Treffen aus Sicht der Zeugin sehr schön war, blieb sie dort 1 Stunde länger als vorgesehen. Am 25.03.1983 teilte der Beklagte der Zeugin mit, dass ihre Mutter mit ihrer Freundschaft zu ihm nicht einverstanden sei. Das war so von ihrer Mutter an eine weitere Person weitergegeben worden. Diese informierte die Ehefrau des Zeugen N darüber, welche wiederum ihren Mann in Kenntnis setzte. Dieser sprach schließlich den Beklagten darauf an. Die Spannungen in der Familie spitzen sich so weit zu, dass die Mutter zeitweilig sogar daran dachte, die Konfirmation ihrer Tochter abzusagen. Am 29.03.1983 trafen der Beklagte und die Zeugin I sich erneut. Er kam um 18:00 Uhr, schenkte ihr Blumen und umgarnte sie, indem er sagte, dass sie auf ihn melancholisch wirke. Zum Abschluss dieses Treffens küssten sich beide. Spätestens in diesem Moment war die Zeugin von dem Beklagten emotional völlig eingenommen. Am Abend des 30.03.1983 besuchte der Beklagte die Eltern der Zeugin, um sie von der Harmlosigkeit der Beziehung zu ihrer Tochter und von seinen lauteren Absichten zu überzeugen. Das gelang ihm aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten auch vordergründig, die Zeugin war allerdings zu Recht skeptisch, ob er tatsächlich die Bedenken der Eltern zerstreut hatte. Am 07.04.1983 machten der Beklagte und die Zeugin einen Spaziergang, auf dem der Beklagte erneut Zärtlichkeiten mit der Zeugin austauschte. Dabei gab er der Zeugin auch einen von ihm ausgehenden Zungenkuss. Bei dieser Gelegenheit bot der Beklagte dem damals noch 13 Jahre alten Mädchen auch endlich das DU an, wodurch die Zeugin sich zusätzlich geschmeichelt sah. Am 19.04.1983, zwei Tage nach ihrer Konfirmation, ging die Zeugin um 4.00 zu dem Beklagten und führte mit ihm eines der - nach eigenen Angaben – interessantesten Gespräche über die Zeugen D und F, sowie über den Beklagten selbst und über sie. Am 26.04.1983 ging die Zeugin mit dem Beklagten in die Stadt, wo er ihr bei einem Einkaufsbummel eine Schallplatte kaufte, was der Zeugin viel Spaß bereitete. Das war allerdings der erneute Anlass für eine heftige Diskussion in der Familie. Die vom Beklagten ausgelösten Irritationen in der Familie haben diese offensichtlich stark belastet. Das gipfelte sogar darin, dass der Vater der Zeugin später vorwarf, durch ihre Freundschaft mit dem Beklagten den Tod ihrer Mutter, die 1985 an Krebs gestorben war, mitverursacht zu haben.
Nach der Konfirmandenzeit hatte sich der enge Kontakt zwischen dem Beklagten und der Zeugin allmählich gelockert, weil der Beklagte aus der Kirchengemeinde als Studienleiter an ein Predigerseminar gewechselt war. In der zweiten Hälfte des Jahres 1988, als die Zeugin 19 Jahre alt und damit volljährig war, beschloss der Beklagte auszuprobieren, ob und inwieweit die Zeugin auf der Gefühlsebene noch mit ihm verbunden war und ob sich daraus für ihn die Gelegenheit zu einem sexuellen Abenteuer ergeben könnte. Die Zeugin lebte inzwischen ausbildungsbedingt während eines Praktikums in einer anderen Stadt und hatte dort eine kleine Wohnung. Aus Anlass eines Vortrages, den der Beklagte angeblich in der Nähe zu halten hatte, meldete er sich telefonisch bei der Zeugin, um mit ihr ein Treffen zu vereinbaren. Die Zeugin gestattete ihm auch auf seinen Wunsch hin, bei ihr zu übernachten. Nach einem gemeinsamen Essen in einem Restaurant suchten sie die Wohnung der Zeugin auf. Dort näherte sich der Beklagte der Zeugin in eindeutig sexueller Absicht. Die Zeugin ließ sich zunächst auf ein Petting mit dem Beklagten ein, im Verlaufe dessen der Beklagte sie auch unterhalb ihrer Kleidung an den Geschlechtsteilen berührte und streichelte. Als er auch den Geschlechtsverkehr mit ihr vollziehen wollte, wies sie ihn zurück, weil ihr in diesem Moment klar geworden war, dass der Beklagte auch schon während ihrer Konfirmanden- und „Helpi“-Zeit eindeutig Grenzen überschritten hatte. Sie war deshalb froh, ihm insoweit Einhalt geboten zu haben. Erst später erfuhr die Zeugin, dass der Beklagte auch andere sexuell konnotierte Beziehungen gehabt hatte. Dies war für sie ein emotionaler Vertrauensbruch, da sie bis dahin davon ausgegangen war, dass sie und die Zeugin F für ihn etwas Besonderes gewesen seien. Sie machte später auf dem Hintergrund ihrer familiären Situation zur Bewältigung der Ereignisse in ihrer Kinder- und Jugendzeit eine Therapie, im Rahmen derer auch die erfahrenen sexuellen Übergriffe durch den Beklagten thematisiert und aufgearbeitet wurden.
d) Taten zum Nachteil der Zeugin F
Die 1966 geborene Zeugin wurde von dem Beklagten im April 1981 konfirmiert. Da die Zeugin ihm neben der Zeugin I unter den Konfirmandinnen besonders gefiel und sie auch familiär wenig Rückhalt hatte, so dass sie für die Hilfsangebote des Beklagten dankbar war, bemühte er sich um sie in ähnlicher Weise wie um die Zeugin I. So war es für beide selbstverständlich, dass die Zeugin nach ihrer Konfirmation weiter als „Helpi“ im Team mitarbeiten sollte. Besonders intensive, grenzüberschreitende Kontakte zum Beklagten fanden auf der Konfirmandenfreizeit vom 17.-19.01.1983 statt. Am 18.01.1983 meditierte sie mit dem Beklagten und anderen Teilnehmern in dem bereits im Zusammenhang mit dem Zeugen K erwähnten Meditationsraum. Gemeinsam mit ihrer Freundin, der Zeugin I, beschloss sie, in diesem Raum zu übernachten. Nachdem der Beklagte alle anderen Jugendlichen bis auf sie und ihre Freundin gegen 03:30 Uhr am frühen Morgen hinaus geschickt hatte, tauschte er mit den beiden Mädchen zärtliche Berührungen insbesondere im Gesicht und an den Händen aus, was die Jugendlichen damals verniedlichend als „Wuseln“ oder „Schmusen“ bezeichneten. Ob dabei Zärtlichkeiten mit eindeutig sexuellem Bezug ausgetauscht wurden, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Erst gegen 05:30 Uhr ging der Beklagte auf sein Zimmer. Die beiden Mädchen blieben im Meditationsraum zurück und tranken noch gemeinsam Wein, bevor sie dort – wie geplant - übernachteten. Während der Freizeit behandelte der Beklagte die Zeugin, die für ihr Alter von 16 Jahren deutlich jünger wirkte, erkennbar bevorzugt.
Durch das charmante Verhalten des damals 36-jährigen Beklagten ihr gegenüber fühlte sich die ansonsten unsicher wirkende Zeugin sehr bestätigt. Sie erlebte den Beklagten, der ihr in allen schwierigen Lebenssituationen, insbesondere in ihrer zeitweise krisenhaften Berufsfindungsphase zur Seite stand, immer als einen Förderer, der sie dafür sensibilisierte, die eigenen Grenzen wahrzunehmen. Seine Solidarität und Unterstützung über die Zeit als Pfarrer hinaus waren entscheidend für die Identifikation der Zeugin mit ihrem jetzigen Beruf und für die daraus resultierende Zufriedenheit. Auf diesem Hintergrund entwickelte sich zwischen dem Beklagten und der Zeugin daraus im Laufe der Zeit eine bis heute bestehende Freundschaft, im Rahmen derer die beiden sich seither regelmäßig teilweise unter Einbeziehung ihrer Ehegatten treffen. Darüber hinaus machte die Zeugin im Jahr 1985, als sie bereits 18 Jahre alt war, zum ersten Mal und in den nachfolgenden Jahren bis heute auch wiederholt in unregelmäßigen Abständen gemeinsam mit dem Beklagten in dessen Ferienhaus in R unentgeltlich Urlaub. Die tatsächliche Intensität dieser Beziehung, insbesondere was sexuelle Kontakte der beiden anbelangt, war und ist für Außenstehende nicht erkennbar. Soweit dem Beklagten und der Zeugin ein ehebrecherisches Verhältnis nachgesagt wurde, beruhte dies lediglich auf Vermutungen bzw. nicht belegbaren Schlussfolgerungen.
Daneben kam es allerdings anlässlich des Kirchentages im Juni 1985 zu einem Vorfall, der in der Gemeinde, insbesondere im Bereich der Jugendarbeit für erhebliche Irritationen und Diskussionen sorgte. Der Beklagte besuchte seinerzeit den Kirchentag gemeinsam mit der damals bereits 18 Jahre alten Zeugin und anderen jüngeren Gemeindegliedern. Bereits während der Veranstaltung berichtete die Zeugin unter anderem der Zeugin U, dass sie ihren Schlafsack vergessen habe. Zu diesem Zeitpunkt war es noch möglich, einen Schlafsack zu kaufen, weil noch nicht Geschäftsschluss war. Davon machte die Zeugin allerdings keinen Gebrauch. Am Abend bemerkten die Zeugin U und mutmaßlich auch die anderen Kirchentagsteilnehmer aus der Gemeinde, dass die Zeugin zu dem Beklagten in dessen Schlafsack gekrabbelt war, um dort zu übernachten. Ob die Zeugin tatsächlich die Nacht im Schlafsack des Beklagten verbracht hat, konnte die Kammer allerdings nicht feststellen. Diese Wahrnehmung der Zeugin U und der weiteren namentlich nicht mehr zu ermittelnden Zeugen verbreitete sich unter den jugendlichen Kirchentagsteilnehmern wie ein Lauffeuer und führte dazu, dass der Zeuge D sich veranlasst sah, seinen damaligen „Freund“ darüber zu informieren. Der Beklagte reagierte darauf panisch, weil er befürchtete, dass diese Tatsache auch im Kreis der betroffenen Eltern bekannt werden könnte. Deshalb berief er ein Treffen ein, im Rahmen dessen er von jedem einzelnen Teilnehmer wissen wollte, ob er ihn gemeinsam mit der Zeugin F in einem Schlafsack gesehen habe. Das wurde von den damals anwesenden Jugendlichen durchweg verneint, weil sie Angst davor hatten, aus der Gruppe um den Beklagten zukünftig ausgestoßen zu werden. Der Beklagte und die anwesenden Jugendlichen verständigten sich schließlich darauf, dass das Gerücht über die „Schlafsackaffäre“ von einer Konfirmandenhelferin in die Welt gesetzt worden sei. Diese zog sich daraufhin ganz aus der Gruppe zurück, nachdem sie zuvor bereits unregelmäßig erschienen war.
e) Taten zum Nachteil des Zeugen O (Nachtragsklage vom 09.08.2022)
Der 1964 geborene Zeuge wurde 1979 im Alter von 15 Jahren von dem Beklagten konfirmiert. Danach wirkte er als Konfirmandenhelfer („Helpi“) in der Jugendarbeit der Gemeinde mit. Insbesondere im Rahmen der Vorbereitung und Gestaltung von Kindergottesdiensten kam es häufiger zu Treffen mit dem Beklagten. Der homosexuell veranlagte Zeuge ist seit 30 Jahren mit einem Mann verheiratet und lebt mit diesem zusammen. Bei den vorbereitenden Gesprächen mit dem Beklagten war ihm selbst seine sexuelle Ausrichtung noch nicht bewusst, er spürte jedoch damals bereits, dass ihn mit dem Beklagten neben einem besonderen Vertrauensverhältnis auch spürbar eine beiderseitige körperliche Nähe verband. Er fühlte sich zu dem Beklagten hingezogen, weil dieser für ihn mehr als nur ein Pfarrer war.
Im Alter von gerade 18 Jahren, d.h. zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Spätsommer/Herbst 1982, hielt sich der immer noch als Konfirmandenhelfer aktive Zeuge bettlägerig erkrankt in seiner damaligen Wohnung auf. Dort erschien der Beklagte zu einem Krankenbesuch. Der Zeuge lag nur mit einem Schlafanzug bekleidet im Bett. Der Beklagte setzte sich daneben auf einen Stuhl. Im Verlauf des nachfolgenden Gespräches sah der Beklagte die Gelegenheit, sich dem Zeugen, dessen sexuelle Ausrichtung er kannte bzw. zumindest vermutete, sexuell zu nähern. Nach ersten Berührungen über der Bettdecke, schob er diese zur Seite, griff in die Schlafanzughose, nahm das Glied des Zeugen in die Hand und begann es zu reiben, bis es bei diesem zum Samenerguss kam. Der Zeuge war zwar zunächst überrascht, ließ dies aber einvernehmlich geschehen, weil er es als angenehm empfand, von einem Mann befriedigt zu werden. Ob der Zeuge an dem Beklagten in gleicher Weise sexuelle Handlungen vornahm, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Das ganze Geschehen dauerte ca. fünf Minuten. Im Rahmen einer Begegnung im Pfarrhaus nach überstandener Krankheit bedeutete der Beklagte dem Zeugen, dass er sich schuldig fühle und nicht gewollt habe, dass es zum Samenerguss komme, was dem Zeugen befremdlich erschien, weil das für ihn doch eigentlich dazu gehörte. Bis zum Jahr 1984/85 bestand zwischen dem Zeugen und dem Beklagten auch danach ein enger, vertraulicher Kontakt, ohne dass es zu weiteren sexuellen Handlungen zwischen den beiden gekommen ist.
Im Jahr 1985 verlegte der Zeuge wegen der Aufnahme eines Studiums seinen Wohnsitz, wo er in einer Studenten-WG lebte. Dort besuchte der Beklagte den Zeugen zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1985/1986, wobei unklar ist, von wem dabei die Initiative zu dem Treffen ausging. Während der Abwesenheit des WG - Mitbewohners suchte der Beklagte den Zeugen auf und legte sich mit ihm in dessen Bett, um dort verabredungsgemäß zu übernachten. Der Beklagte und der Zeuge begannen wiederum einvernehmlich, sich gegenseitig zu streicheln und an den Geschlechtsteilen zu berühren. Als diese erigierten, gingen der Beklagte und der Zeuge dazu über, sich gegenseitig mit dem Ziel eines Samenergusses zu befriedigen. Dazu kam es allerdings nicht mehr, weil der WG-Mitbewohner vorzeitig zurückkehrte und sie von da an nicht mehr ungestört waren. Beide beendeten deshalb ihre Manipulationen und schliefen ein. Am nächsten Morgen verabschiedete sich der Beklagte, ohne dass es zu weiteren sexuellen Handlungen mit dem Zeugen gekommen war. Danach brach der Kontakt des Zeugen zu dem Beklagten ab. Der Zeuge hat durch die beiden sexuellen Kontakte mit dem Beklagten nach eigenen Angaben keine psychischen Folgeschäden erlitten. Er sieht sich auch nicht als Opfer, da er in beiden Fällen als homosexuell veranlagter Erwachsener mit dem Beklagten einvernehmlichen Sex hatte.
3. Die Kammer hat die obigen Feststellungen im Rahmen von drei mündlichen Verhandlungen aufgrund der nachfolgend benannten Beweismittel und deren entsprechender Bewertung getroffen:
a) Zum persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten stützt sie sich auf dessen eigene Angaben in den mündlichen Verhandlungen vom 18.07. und 30.08.2022 ergänzt durch die dazu gemachten Ausführungen in der Disziplinarklageschrift, im Ermittlungsbericht, sowie in den zum Beklagten beigezogenen Personalakten der Landeskirche.
b) Die Feststellungen zum Rahmengeschehen und zu den Sachverhalten, die die Vorwürfe von Amtspflichtverletzungen begründen sollen, beruhen zunächst in nicht unerheblichem Maße auf dazu vom Beklagten oder seinem jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten bereits vorgerichtlich oder in den mündlichen Verhandlungen abgegebenen Stellungnahmen bzw. Einlassungen. Darin werden die ihm angelasteten Amtspflichtverletzungen überwiegend bestritten. Lediglich zu den in der Nachtragsklageschrift vom 09.08.2022 aufgeführten Taten zum Nachteil des Zeugen O ist trotz eingeräumter Möglichkeit eine konkrete Stellungnahme nicht erfolgt. Dabei zeichnet er zunächst die sicherlich auch positiven Seiten, die die Kammer im Rahmen der Auswertung der Zeugenvernehmungen von seiner Persönlichkeit erlangen konnte, selbst nach. Danach hat der Beklagte auch nach Auffassung der Kammer ohne Zweifel im Rahmen seiner Amtszeit als Pfarrer in der Gemeinde C gerade in den Anfangsjahren engagiert gearbeitet und damit viel bewegt. Mit dieser Feststellung vermag die Kammer insbesondere auch noch der Aussage des Zeugen N zu folgen, der in der damaligen Zeit mit dem Beklagten als Inhaber der zweiten Pfarrstelle unmittelbar zusammengearbeitet hat. Dem Vorwurf der Amtspflichtverletzung durch grenzüberschreitende, insbesondere sexuelle Kontakte zu Konfirmandinnen und Konfirmanden sowie zu „Helpis“ versucht der Beklagte dadurch entgegenzutreten, dass er betont, seine grundlegende Haltung zum Thema „Betten-Karussel“ und „Konfirmandensex“ im Kreis der Jugendgruppen immer wieder als grundlegend und richtungsweisend herausgestellt zu haben. Deshalb ist er der Auffassung, die ihn belastenden Zeuginnen und Zeugen könnten nicht glaubhaft machen, dass er selbst sich dazu durch eigenes Fehlverhalten in Widerspruch gesetzt habe.
Aus diesem Grunde war es nötig, zunächst im Rahmen einer Einzelbetrachtung der jeweiligen Zeugenaussage Feststellungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen/der Zeugin und zur Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu treffen.
Dabei kann die Kammer zunächst einmal davon ausgehen, dass der Beklagte die erhobenen Vorwürfe zwar bestreitet, aber die von der überwiegenden Zahl der Zeuginnen und Zeugen beschriebenen Rahmenbedingungen insbesondere zu den angeblichen Tatzeiten und Tatorten und die vielen Kontakte zu Jugendlichen bestätigt bzw. sogar im Einzelfall noch präzisiert.
Konkret hat die Kammer dazu sämtliche in der Klageschrift benannten Zeuginnen und Zeugen mit Ausnahme der Zeugin M, deren Aussage im allseitigen Einverständnis der Parteien wegen der geringen Bedeutung verlesen wurde, persönlich vernommenen, um vor dem Hintergrund der schwerwiegenden Vorwürfe sich ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage machen zu können.
Im Ergebnis hat sie dazu folgendes festgestellt:
ba) Die Taten zum Nachteil des Zeugen D sind nach Auffassung der Kammer im Wesentlichen durch dessen Aussagen weitgehend als erwiesen anzusehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Aussagefähigkeit des Zeugen zweifelhaft sein könnte, hat die Kammer nicht. Allein der Umstand, dass der Zeuge im Zusammenhang mit den von ihm behaupteten Straftaten zwei Therapien zur Aufarbeitung der Geschehnisse gemacht hat, vermag aus Sicht der Kammer nicht die Notwendigkeit zu begründen, von Amts wegen dazu ein entsprechendes Sachverständigengutachten einzuholen. Die Kammer hat weiterhin die Person des Zeugen als glaubwürdig eingestuft, weil keine Umstände ersichtlich sind, die einen gegenteiligen Schluss zulassen könnten. Hinweise darauf, dass der Zeuge durch konkrete Umstände, die in seiner Persönlichkeit begründet liegen, als unglaubwürdig angesehen werden könnte, sind nicht bekannt geworden. Der Zeuge ist – soweit ersichtlich – als Schauspieler mit zahlreichen Engagements im Theater und auch im Fernsehen seit vielen Jahren beruflich etabliert und strafrechtlich insbesondere wegen ehrverletzender Delikte, falscher Verdächtigungen oder gar Falschaussagen strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Die Kammer ist weiter zu der Auffassung gelangt, dass die Angaben des glaubwürdigen Zeugen auch glaubhaft sind. Soweit der Beklagte dem Zeugen vorwirft, dieser neige aus seiner Leidenschaft für die Schauspielerei zu einer übersteigerten Fantasie, die diesen dazu verleitet habe, die Vorwürfe gegen ihn, den Beklagten, zu konstruieren, vermag ihm die Kammer darin nicht zu folgen. Im Gegenteil stellt die Kammer fest, dass der Zeuge insgesamt in seinen Aussagen keine überschießende Belastungstendenz aufweist, sondern vielmehr sich selbst zum Teil die Schuld dafür gegeben hat, dass die oben beschriebenen sexuellen Übergriffe stattfinden konnten. Das wird nachdrücklich belegt durch die Aussage der sachverständigen Zeugin G, die im Rahmen ihrer Tätigkeit für die unabhängige Unterstützungskommission der Landeskirche für den Zeugen zuständig geworden ist. Diese hat bekundet, bereits durch den ersten Satz beeindruckt gewesen zu sein, den der Zeuge bei der ersten Begegnung mit ihr gesagt habe. Danach sei ihm vom Beklagten keine Gewalt angetan worden, es seien damals einfach zwei Narzissten aufeinandergetroffen. Auch die vom Zeugen geschilderte sehr spät erlangte Erkenntnis, Missbrauchsopfer geworden zu sein, ist für die Kammer nachvollziehbar. Auch in dieser Einschätzung sieht sich die Kammer durch die Aussage der sachverständigen Zeugin bestätigt, die insgesamt die Angaben des Zeugen als sehr authentisch und durchweg glaubhaft kennzeichnet. Etwaige Erinnerungslücken des Zeugen hält sie angesichts der seit der Tatbegehung verstrichenen Zeit für grundsätzlich erklärbar. Die Kammer hält diese Bewertung für sehr gewichtig, weil die sachverständige Zeugin aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung zur Diplompsychologin/Traumatherapeutin und darüber hinaus durch ihre Tätigkeit in der Unterstützungskommission über besondere Kenntnisse und einschlägige Erfahrungen im Umgang mit mutmaßlichen Missbrauchsopfern verfügt. Soweit der Beklagte den belastenden Aussagen des Zeugen weiterhin entgegenhält, dass diese lediglich getätigt worden seien, um in den Genuss einer finanziellen Leistung der unabhängigen Unterstützungskommission zu kommen, vermag dies die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen ebenfalls nicht zu erschüttern. Die Zeugin G hat dazu angegeben, dass sie es war, die den Zeugen auf diese Möglichkeit hingewiesen und auch darauf gedrängt habe, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Diese Erkenntnis wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass der ehemalige Pfarrerkollege des Beklagten, der Zeuge N, der Kammer vor seiner Vernehmung ein Schreiben übergeben hat. Darin schildert er, im Ermittlungsverfahren vom Zeugen D angerufen worden zu sein. In diesem Telefonat soll der Zeuge u.a. angedeutet haben, die schwerwiegenden Vorwürfe gegen den Beklagten bei der Unterstützungskommission nur erhoben zu haben, um zur Abmilderung coronabedingter Gagenausfälle in den Genuss einer Geldzahlung zu gelangen. Diese Aussage des Zeugen hält die Kammer für wenig glaubhaft. Sie ist vielmehr überzeugt, dass der Zeuge aus falscher Loyalität gegenüber seinem ehemaligen Kollegen, aber auch aus Gründen des Selbstschutzes im Rahmen seiner Vernehmung der Wahrheit zuwider bestritten hat, zu damals aktiven Zeiten von grenzüberschreitendem oder übergriffigem Verhalten des Beklagten Kenntnis erlangt zu haben. Diese Behauptung ist für die Kammer in gewisser Weise nachvollziehbar, weil der Zeuge durch ein solches Eingeständnis, von etwaigen Amtspflichtverletzungen des Beklagten Kenntnis gehabt zu haben, hätte einräumen müssen, sich wegen eigener Untätigkeit selbst fehlverhalten und dadurch eine Amtspflichtverletzung begangen zu haben. In dieser Einschätzung wird die Kammer auch dadurch bestärkt, dass der Zeuge N angegeben hat, bis zum heutigen Tage mit dem Beklagten in Kontakt zu stehen und auch in seinem Ferienhaus in R Urlaub gemacht zu haben. Der Zeuge sieht wohl zu Recht durch ein dem ehemaligen Pfarrerkollegen nachgewiesenes schwerwiegendes Fehlverhalten auch seinen eigenen Ruf und auch die Wertschätzung seiner eigenen Lebensleistung gefährdet. Gleichwohl rechtfertigt dies auf keinen Fall eine Falschaussage in diesem Verfahren, wofür es mit Blick auf eine Eintragung im Tagebuch der Zeugin I vom 25.03.1983 konkrete Anhaltspunkte gibt. Danach soll der Zeuge N durch seine Ehefrau darüber informiert worden sein, dass die Mutter der Zeugin I mit deren Freundschaft zum Beklagten nicht einverstanden gewesen sei. Danach soll der Zeuge N mit dem Beklagten auch darüber gesprochen haben, was der Zeuge allerdings auf Vorhalt abgestritten hat. Insgesamt erkennt die Kammer in diesem Einlassungsverhalten des Beklagten und in der Aussage des Zeugen N den Versuch, dem Zeugen D unlautere Motive zu unterstellen und ihn damit vom Opfer zum eigentlichen Täter zu machen. Das ist in einschlägigen Verfahren ein der Kammer hinlänglich bekanntes, aber leicht zu durchschauendes Verteidigungsmuster. Dazu zählt auch der in diesem Rahmen weiterhin unternommene Versuch des Beklagten, dem Zeugen D eine Falschbelastung zu unterstellen, weil dieser dadurch die Gelegenheit erhalten wollte, sich als Schauspieler in der breiten Masse der Bevölkerung bekanntzumachen und um durch den erhöhten Bekanntheitsgrad lukrativere Engagements zu erlangen. Auch dafür gibt es aus Sicht der Kammer nicht die geringsten Anhaltspunkte. Dazu kann die Kammer nur feststellen, dass es sowohl im Rahmen der disziplinarischen Vorermittlungen als auch im Disziplinarklageverfahren selbst nur sehr wenige Presseveröffentlichungen gegeben hat, die außerdem ausschließlich zurückhaltenden und informativen Charakter hatten und weder die Person des Beklagten noch die Person des Zeugen D in besonderer Weise herausgestellt haben. Die Kammer sah sich vielmehr im Verlaufe der mündlichen Verhandlungen - was in einschlägigen Fällen ungewöhnlich ist - mit keinerlei Presseanfragen konfrontiert und konnte die Beweisaufnahme ohne eine ansonsten unter Umständen irritierende Begleitkommentierung durch die Presse durchführen.
Für die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen D, auf die im Einzelnen noch einzugehen sein wird, war es für die Kammer auch sehr aufschlussreich, dass dieser aus organisatorischen Gründen als Hauptbelastungszeuge nicht zuerst vernommen werden konnte, sondern erst nach der Vernehmung weiterer Zeugen, die zum Teil nicht einmal Opfer des Beklagten geworden sind. In diesen Vernehmungen konnte die Kammer bereits eine Reihe von Feststellungen treffen, die in ähnlicher Weise auch im Verhältnis des Beklagten zum Zeugen D bedeutsam geworden sind.
Die Fahrten in die Stadt P gemeinsam mit dem Zeugen D hat der Beklagte grundsätzlich bestätigt. Die Kammer geht bei der zeitlichen Einordnung der ersten Fahrt von der Einlassung des Beklagten aus, dass diese nicht im Herbst 1982, sondern im April 1983 stattgefunden habe. Dabei unterstellt sie, dass der zur damaligen Zeit bereits erwachsene Beklagte insoweit über ein genaueres Erinnerungsvermögen verfügt als ein Erwachsener, der Erlebnisse aus seiner Kinder- bzw. Jugendzeit im Nachhinein einordnen soll. Soweit der Beklagte der Aussage des Zeugen D entgegenhält, dass diese Fahrten auf keinen Fall wie angegeben über das Wochenende angedauert haben, weil er daran durch dienstliche Verpflichtungen gehindert gewesen wäre, konnte die Kammer durch einen Blick in die Personalakten des Beklagten feststellen, dass diesem von seiner dienstvorgesetzten Stelle für einen Zeitraum ab Ende April 1983 ein insgesamt 40-tägiger Sonderurlaub zur Fertigstellung seiner Promotion gewährt worden ist. Damit erscheint der Kammer diese Behauptung des Zeugen D weiterhin möglich und lässt so die Aussage insgesamt nicht als unglaubhaft erscheinen. Soweit der Beklagte darüber hinaus im Zusammenhang mit der Beschreibung der von ihm angeblich begangenen sexuellen Handlungen behauptet, in der vom Zeugen D beschriebenen linken Liegeposition nicht in der Lage gewesen zu sein, mit der so abgeklemmten rechten, darüber hinaus missgebildeten Hand Manipulationen am Glied des Zeugen vorzunehmen, ist die Kammer der Auffassung, dass dies auch bei entsprechender Positionierung des Oberkörpers in dieser Lage grundsätzlich noch möglich ist. Angesichts der weiterhin allgemein beschriebenen Unbefangenheit des Beklagten im Umgang mit seiner Behinderung hält die Kammer es auch nicht für ausgeschlossen, dass er im Rahmen seiner sexuellen Handlungen an dem Zeugen D auch mit der missgebildeten Hand die behaupteten sexuellen Berührungen und Manipulationen vornehmen konnte. Mit Blick auf die weitere Aussage des Zeugen D, wonach der Beklagte seinerzeit über ein extrem kleines Glied verfügt habe, wurde die Kammer zum richterlichen Augenschein mit einem Foto vom Glied des Beklagten im jetzigen Zustand sowie mit einer gutachterlichen fachärztlichen Stellungnahme konfrontiert, die dem Beklagten eine normale Penisgröße bescheinigt. Dazu stellt die Kammer fest, dass dadurch die vom Zeugen D im Alter von 14 Jahren vorgenommen Bewertung der damaligen Penisgröße des Beklagten, die er im Verhältnis zu seiner eigenen Penisgröße vorgenommen hat, nicht infrage gestellt wird, weil für die jeweilige tatsächliche Penisgröße die unterschiedlichsten Faktoren maßgeblich sein können, zu deren damaligem Vorhandensein und Auswirkung auf die Penisgröße heute keine sicheren Feststellungen mehr getroffen werden können. Die vom Zeugen D weiterhin beschriebenen Begleitumstände der sexuellen Missbrauchshandlungen des Beklagten während der Aufenthalte in der Stadt P enthalten eine Reihe von Aspekten, die die Glaubhaftigkeit dieser Aussage deutlich unterstreichen. So erscheint es der Kammer bemerkenswert, dass der Zeuge insbesondere in der Beschreibung der ersten sexuellen Annäherung durch den Beklagten keinerlei überschießende Belastungstendenz erkennen lässt. So schildert er den mit den Fahrten in die Stadt P jeweils einhergehenden Schwimmbad- und Saunabesuch als in sexueller Hinsicht unverfänglich und berichtet auch vom Abend der ersten gemeinsamen Übernachtung im Hotel nur von einer ersten vorsichtigen Fühlungnahme. Auch ist er sehr vorsichtig in der Aussage, ob und bei wem es am nächsten Morgen zum Samenerguss gekommen und was mit diesem geschehen ist. Dazu merkt die Kammer ergänzend an, dass es im Falle einer gewollten Falschbelastung durch den Zeugen D nahegelegen hätte, sowohl den Austausch von Zungenküssen als auch zumindest den Versuch des Analverkehrs zu behaupten, was hingegen nicht geschehen ist.
Die Kammer betont vorab an dieser Stelle grundlegend, dass sie angesichts der mehr als drei Jahrzehnte zurückliegenden Taten und der aufgezeigten Schwierigkeiten bei der Eingrenzung in zeitlicher Hinsicht und bezüglich der genauen Anzahl der einzelnen sexuellen Übergriffe sicher davon überzeugt ist, dass es die oben festgestellten Amtspflichtverletzungen gegeben hat. Die Kammer ist dabei zu Gunsten des Beklagten von der ihm günstigsten Anzahl der Amtspflichtverletzungen ausgegangen. Dabei hat sich die Kammer bezüglich der genannten Aspekte davon leiten lassen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, deren Leitgedanken hier weiterhin entsprechend zu berücksichtigen sind, bei gleichförmig verlaufenden Serienstraftaten in länger andauernden Missbrauchsbeziehungen an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Der Tatrichter muss sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Amtspflichtverletzungen gekommen ist. Dabei steht nicht in erster Linie die Ermittlung einer Tatfrequenz, sondern die des konkreten Lebenssachverhalts im Vordergrund; dieser ist ausgehend vom Beginn der Tatenserie mit den unterschiedlichen Details etwa zu Tatausführung und Tatort der einzelnen Taten in dem gegebenen Tatzeitraum (notfalls auch ohne genaue zeitliche Einordnung und lediglich unter Festlegung einer Mindestzahl der begangenen Delikte) nach dem Zweifelssatz festzustellen und abzuurteilen (zu vergl. BGH, NStZ 2009,444-445, über juris, Rn. 12; BGH ST 42,107-112, über juris, Rn. 12; BGH, Beschluss vom 10. Juni 1994,3 St 361/92, über juris, Rn. 7). Unter Zugrundelegung dieser Kriterien geht die Kammer zu Gunsten des Beklagten davon aus, dass es über die erste im Einzelnen beschriebene Fahrt des Beklagten und des Zeugen D in die Stadt P im April 1983 hinaus bis zum Jahr 1987 drei weitere gemeinsame Fahrten gegeben hat, auf der es zu den oben näher beschriebenen sexuellen Handlungen des Beklagten gekommen ist.
Soweit es nach der Aussage des Zeugen D auch im häuslichen Umfeld des Beklagten zu sexuellen Übergriffen gekommen sein soll, sollen diese in einer Art Bibliothek/Arbeitszimmer stattgefunden haben. Der Beklagte bestätigt zwar, dass es in seinem damaligen Pfarrerwohnhaus ein Amtszimmer gegeben habe, in welchem auch Bücher gestanden hätten, er bemängelt aber, dass der Zeuge die Lage dieses Arbeitszimmers falsch beschrieben habe. Darüber hinaus weist der Beklagte darauf hin, dass die vom Zeugen beschriebenen Treffen mit sexuellem Hintergrund in diesem Raum nicht hätten stattfinden können, weil man dabei zu jeder Zeit hätte gestört werden können. Im Rahmen einer Auswertung der jeweiligen Aussagen der beiden damals mutmaßlich beteiligten Personen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Zeuge D das damalige auch mit Büchern bibliotheksmäßig ausgestattete Arbeitszimmer des Beklagten, als Begegnungsstätte bezeichnet, sie jedoch ungenau verortet hat. Der dem Arbeitszimmer gegenüberliegende Gemeinderaum scheidet nach Überzeugung der Kammer als möglicher Tatort in jedem Fall aus. Dem Argument des Beklagten, dass man in dem Raum zu jeder Zeit hätte gestört werden können, hält die Kammer entgegen, dass nach den Angaben des Zeugen in seiner polizeilichen Vernehmung die Türen des Arbeitszimmers während seines Aufenthaltes dort jedes Mal abgeschlossen waren. Außerdem erscheint es durchaus möglich, dass der Beklagte die Zeitpunkte für die Treffen so mit den anderen familiären Terminen abgestimmt hat, dass eine Störung nicht zu befürchten war. Zu Gunsten des Beklagten geht die Kammer auch bezüglich der dem Beklagten insoweit anzulastenden sexuellen Missbrauchshandlungen in seinem Amtszimmer im Zeitraum von 1983-1986 von der Mindestanzahl von 3 Fällen im Jahr, also insgesamt von 12 Fällen aus, in denen es jeweils zu einer gegenseitigen oralen Befriedigung gekommen ist.
Soweit der Zeuge D angegeben hat, gemeinsam mit dem Beklagten aus Anlass einer Reise ins Elsass in dem Hotel Q übernachtet und dort bei Kerzenschein nackt in der Badewanne sitzend sich gegenseitig befriedigt zu haben, ist der Beklagte diesen Angaben dadurch entgegengetreten, dass er behauptet hat, in diesem Hotel habe es seinerzeit überhaupt keine Badewannen gegeben. Die Zimmer seien alle mit Duschen ausgestattet gewesen. Erst nachdem die Klägerin durch eine Nachfrage bei der Leitung des Hotels eine Bestätigung erhalten hatte, dass zur mutmaßlichen Tatzeit dort die Badewanne zur Standardausstattung gehörte und dass Duschen erst später eingebaut worden seien, hat der Beklagte seine Einlassung dahingehend abgeändert, dass er nunmehr mit dem Zeugen nicht in dem Hotel, sondern in einem anderen Hotel übernachtet haben will. Soweit er außerdem behauptet, im Hotel Q lediglich einmal ohne den Zeugen D übernachtet zu haben, hält die Kammer es für sehr unwahrscheinlich, dass dem Beklagten dies erst im Nachhinein aufgefallen sein will. Darüber hinaus drängt sich für die Kammer die Frage auf, weshalb der Zeuge D auf die Idee kommen sollte, das von ihm benannte Hotel der Wahrheit zuwider fälschlich als Tatort anzugeben, wenn er dort nie gemeinsam mit dem Beklagten nach dessen Angaben übernachtet haben soll. Insoweit geht die Kammer von einem Realerlebnis des Zeugen und einer nachgeschobenen Schutzbehauptung des Beklagten aus. Sie legt den getroffenen Feststellungen daher die Schilderung des Zeugen zu Grunde.
Auch die Einwendungen des Beklagten gegen die vom Zeugen behaupteten sexuellen Übergriffe im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Fahrt zum Ferienhaus des Beklagten in R hält die Kammer für unbeachtlich. Es mag zwar sein, dass es dort zwei Schlafzimmer gab, mit Blick auf die weiterhin vom Beklagten eingeräumten gemeinsamen Übernachtungen in der Stadt P spricht aus Sicht der Kammer allerdings nichts dagegen, dass der Beklagte und der Zeuge D dies auch auf dieser Fahrt wie gehabt praktiziert haben, so dass es auch dort problemlos und ungestört zu den vom Zeugen beschriebenen sexuellen Handlungen kommen konnte.
Soweit dem Beklagten in der Klageschrift eine weitere gemeinsame Fahrt in eine weitere Stadt angelastet wird, erscheinen der Kammer die dazu getroffenen Feststellungen zu dürftig, um gegenüber dem Beklagten eine vorwerfbare Amtspflichtverletzung zu begründen.
Demgegenüber sieht es die Kammer als erwiesen an, dass es auf der letzten gemeinsamen Fahrt des Beklagten mit dem Zeugen D nach S zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1987 in der Wohnung der Schwester des Beklagten tatsächlich zu der vom Zeugen behaupteten sexuellen Handlung gekommen ist. Der Besuch selbst und die Übernachtung werden vom Beklagten eingeräumt. Die weiteren Angaben des Zeugen zu den Begleitumständen dieser Übernachtung sind schlüssig und werden auch nicht durch den Einwand des Beklagten, dass es in der Wohnung seiner Schwester kein Matratzenlager gegeben habe, entkräftet. Ein solches lässt sich mit vor Ort vorhandenen Bettmatratzen aus Einzelbetten schnell zusammenstellen. Sofern der Beklagte behauptet, entgegen der Aussage des Zeugen D, sich mit diesem gemeinsam zur sexuellen Stimulierung keine Pornofilme angeschaut zu haben, weil es dafür keinen Videorecorder in der Wohnung gegeben habe, ist dem entgegengehalten, dass es zur damaligen Zeit in sehr vielen Videotheken, in denen man Videofilme mieten konnte, auch vermietbare Videorecorder gab, wovon der Beklagte und der Zeuge auch problemlos Gebrauch gemacht haben könnten.
Der Beklagte hat auf der Grundlage der vorstehend getroffenen Feststellungen folgende Amtspflichtverletzungen gegenüber dem Zeugen D begangen:
• Bis zum 16. Lebensjahr des Zeugen mehrjähriger sexueller Missbrauch eines Schutzbefohlenen (§ 174 Absatz 1 Nr. 1 StGB in der damals geltenden Fassung),
• vom 16. Lebensjahr des Zeugen bis zu dessen Volljährigkeit (16.04.1986) wiederholter sexueller Missbrauch aufgrund der mit dem Betreuungsverhältnis („Helpi“) verbundenen Abhängigkeit des Zeugen (§ 174 Absatz 1 Nr. 2 StGB in der damals geltenden Fassung) und
• damit jeweils zugleich, sowie jeweils eigenständig über das 18. Lebensjahr des Zeugen hinaus eine Verletzung des 6. Gebotes und seiner Pflichten aus der Ordination (§ 13 Absatz 2 EKKW-PfDG in der damals geltenden Fassung).
bb) Soweit die Kammer den mit der Disziplinarklage erhobenen Vorwurf einer Amtspflichtverletzung zum Nachteil des Zeugen K für erwiesen erachtet, stützt sie sich im Wesentlichen auf dessen Aussagen, die er sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung gemacht hat. Der Zeuge, der als Sozialpädagoge beschäftigt ist, lässt von seiner Persönlichkeit her keinerlei Zweifel bezüglich seiner Glaubwürdigkeit aufkommen. Darüber hinaus hat er der Kammer den oben näher bezeichneten Vorfall in überzeugender Art und Weise geschildert. Dabei ließ er auch keine überschießende Belastungstendenz erkennen. Soweit der Beklagte der Schilderung des Zeugen entgegenhält, dass sich die beschriebene homosexuelle Handlung während der Konfirmandenfreizeit im Meditationsraum so nicht zugetragen haben könne, weil dieser Raum nicht abgeschlossen gewesen sei und weil zu jeder Zeit andere Freizeitteilnehmer dort hätten auftauchen können, hält dies die Kammer für eine untaugliche Schutzbehauptung. Die Kammer sieht auch hier die Möglichkeit, dass der Beklagte den Meditationsraum kurzzeitig während der Begehung der Tat verschlossen hat. Aus diesem Grunde geht die Kammer davon aus, dass der Zeuge – wie von ihm angegeben - seinen Unterkörper entkleidet hat, um so dem Beklagten den Oralverkehr zu ermöglichen. Die Kammer sieht sich in dieser Beweiswürdigung auch durch die Aussagen der beiden Zeugen U und O bestätigt, die beide übereinstimmend ausgesagt haben, durch den Zeugen K über diesen sexuellen Übergriff des Beklagten unterrichtet worden zu sein und zwar zu Zeitpunkten, als es noch nicht im Raum stand, diesen Vorwurf offiziell gegen den Beklagten zu erheben. Insbesondere die Aussage des Zeugen O war für die Kammer sehr aufschlussreich, weil in ihr vom Zeugen O erstmals zwei weitere, ähnliche homosexuelle Handlungen des Beklagten offenbart worden sind, die bis dahin noch nicht bekannt waren und die deshalb erst im Rahmen einer Nachtragsklage in das Verfahren eingeführt werden konnten.
Der Beklagte hat sich aufgrund der vorstehenden Feststellungen durch die Vornahme einer homosexuellen Handlung an dem zur Tatzeit bereits 18 Jahre alten und damit erwachsenen Zeugen K zwar nicht wegen eines Vergehens gemäß § 175 StGB strafbar gemacht, gleichwohl stellt dieses Verhalten mit Blick auf die damals vom Zeugen ausgeübte Konfirmandenhelfertätigkeit und das dadurch begründete Abhängigkeitsverhältnis eine schwere Amtspflichtverletzung in Form einer Verletzung des 6. Gebotes und der Pflichten des Beklagten aus der Ordination gemäß § 13 Absatz 2 EKKW-PfDG in der damals gültigen Fassung dar.
bc) Bezüglich der oben festgestellten Taten zum Nachteil der Zeugin I hat sich die Kammer im Rahmen der Beweiswürdigung von folgenden Überlegungen leiten lassen:
Eine wesentliche Grundlage der dem Beklagten in diesem Zusammenhang anzulastenden Amtspflichtverletzungen bildet die Aussage der inzwischen 53 Jahre alten Musikpädagogin. Diese hat zwar nach eigenen Angaben wegen ihrer problembeladenen Kindheit und Jugend, die von Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Eltern, aber auch von Konflikten, die vom Beklagten ausgelöst worden sind, geprägt war, als Erwachsene eine Therapie machen müssen, um diese Defizite persönlich zu verarbeiten, daraus lässt sich aus Sicht der Kammer aber nicht die Notwendigkeit ableiten, ein Gutachten zur Frage der Aussagetüchtigkeit der Zeugin einzuholen. Im Gegenteil hat die Kammer sich in der Hauptverhandlung von der beeindruckenden Fähigkeit der Zeugin überzeugen können, das dem Beklagten anzulastende Verhalten im Rahmen ihrer Aussage zu verdeutlichen. Abgesehen davon, dass es auch bezüglich der Glaubwürdigkeit der Zeugin keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel gab, hat die Kammer insgesamt den Eindruck gewonnen, dass auch die von der Zeugin gemachten Angaben in vollem Umfang glaubhaft sind. Die zeichnen sich auch durch eine bemerkenswerte Aussagekonstanz aus. Der Beklagte hat zwar in der Hauptverhandlung versucht, die belastenden Aussagen der Zeugin im Ermittlungsverfahren zu relativieren, was ihm allerdings aus Sicht der Kammer schwerlich gelungen ist. Zu dieser Einschätzung konnte die Kammer insbesondere deshalb problemlos gelangen, weil die Zeugin Ablichtungen ihrer Tagebuchaufzeichnungen vom 01.01.-09.05.1983 vorlegen konnte, die sie damals als zu Beginn 13-jähriges Mädchen gemacht hat. Diese Eintragungen, bezüglich deren Echtheit und Unverfälschtheit keinerlei Zweifel bestehen, spiegeln neben den zeitlichen Abläufen und gemeinsamen Begegnungen der Zeugin mit dem Beklagten in beeindruckender Weise das damalige Gefühlsleben der kindlichen und später jugendlichen Zeugin wider. Sie liefern insoweit wertvolle Realkennzeichen für die emotionalen Erfahrungen, die die Zeugin damals mit dem Beklagten gemacht hat. Insbesondere lassen sie erkennen, dass der Beklagte durch sein ersichtlich grenzüberschreitendes Verhalten und durch seine massive emotionale Manipulation der kindlichen Zeugin nachhaltig auf das damalige Eltern-Kind-Verhältnis Einfluss genommen und dadurch tiefgreifende Störungen und Irritationen verursacht hat, was er allerdings mit Blick auf seine eigenen sexuellen Absichten im Zusammenhang mit der Zeugin völlig verdrängt hat. Das ist für die Kammer besonders dadurch deutlich geworden, dass der Beklagte, der wohl erkannt hatte, dass die Zeugin sich auch in ihn als Mann unsterblich verliebt hatte, im Zuge seiner immer intensiveren Bemühungen um die Zeugin dieser sogar im Rahmen eines gemeinsamen Waldspazierganges einen Zungenkuss gegeben hat. Auch bei dieser Gelegenheit hat der Beklagte zudem versucht, dass innige Verhältnis zur Zeugin dadurch zu verstärken, dass er ihr – wie in anderen Fällen bereits beschrieben – das „Du“ angeboten hat, was die Zeugin auch hoch erfreut angenommen hat. Dieser Vertrauensbeweis sollte die Zeugin davon abhalten, bei Außenstehenden insbesondere bei ihren Eltern über diese intensiven, zum Teil sexuellen Kontakte, die der Beklagte zu ihr unterhielt, zu berichten. Die Angaben der Zeugin zu den Aktivitäten des beklagten Pfarrers insbesondere in der Jugendarbeit stimmen weitgehend mit den Angaben der anderen Jugendlichen überein, die im hier fraglichen Tatzeitraum im Umfeld des Beklagten tätig waren, jedoch nicht Opfer sexueller Übergriffe geworden sind. Insbesondere die Zeuginnen L und U bestätigten übereinstimmend, dass der Beklagte damals im Rahmen von Meditationsübungen und Sensitivitytrainingskursen eine Atmosphäre schuf, die es ihm ermöglichte, Kindern und Jugendlichen, die ihm auch in sexueller Hinsicht interessant erschienen, gefahrlos zu nähern und auszuprobieren, wie weit er grenzüberschreitend aktiv werden konnte. Während die Zeuginnen L und U sich in solchen Situationen unangenehm fühlten und mit Ablehnung reagierten, ist es dem Beklagten gelungen, insbesondere die Zeugin I emotional so stark zu beeinflussen, dass sie die Gefahren, die von seinem manipulativen Verhalten ausgingen, nicht sogleich erkannt hat. Eine solche besondere Nähesituation, hat die Zeugin I im Rahmen ihrer Vernehmung unter Verweis auf die Eintragungen im Tagebuch für die Kammer nachdrücklich beschrieben. Das gemeinsame „Wuseln“ und „Schmusen“ des Beklagten mit den Zeuginnen I und F auf der Konfirmandenfreizeit bis in den frühen Morgen stellt sich für die Kammer als schwere Amtspflichtverletzung dar, weil hier der Beklagte die professionell gebotene Distanz gegenüber Kindern und Jugendlichen eindeutig nicht gewahrt hat.
Die Kammer hat auch keinen Zweifel daran, dass der Beklagte die Zeugin I während ihres Praktikums nicht nur – wie er selbst angibt – zum Essen eingeladen hat, sondern dass er den Kontakt zu der zu diesem Zeitpunkt bereits volljährigen Zeugin bewusst gesucht hat, um bei ihr in der Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer zu übernachten.
Die Zeugin musste ihre Schilderung in der mündlichen Verhandlung, wonach es damals in ihrer kleinen Wohnung zwischen ihr und dem Beklagten zu sexuellen Handlungen in Form des sog. Pettings gekommen ist, kurz unterbrechen, weil sie in der Erinnerung an diese Situation emotional stark aufgewühlt wurde. Die Zeugin hat dann anfänglich noch schluchzend weiter berichtet, dass sie den vom Beklagten angestrebten Geschlechtsverkehr abgelehnt habe und dass er das so akzeptiert habe. Auch diese Aussage liefert der Kammer ein deutliches Indiz dafür, dass die Zeugin streng bei der Wahrheit bleiben und den Beklagten nicht fälschlich zusätzlich belasten wollte. Hätte sie diese Absicht gehabt, wäre es ein Leichtes gewesen, einen Vollzug des Geschlechtsverkehrs mit dem Beklagten zu behaupten. Sehr authentisch hat die Zeugin berichtet, im Nachhinein sehr froh darüber gewesen zu sein, dem Beklagten Einhalt zu gebieten, weil ihr in dieser Situation bewusst geworden ist, in welch massiver Art und Weise sich der Beklagte ihr gegenüber fehlverhalten hat. Dieser Vorfall ist für die Kammer ein weiterer Beweis dafür, dass der Beklagte hinter der Fassade des biederen Pfarrers sexuell sehr umtriebig war, um jede sich bietende Gelegenheit zu einem sexuellen Abenteuer zu nutzen. Insoweit sieht die Kammer ganz klar auch Parallelen zu den weiter hier in Rede stehenden Vorwürfen.
Die so getroffenen Feststellungen beinhalten im Bezug zur Zeugin I folgende Amtspflichtverletzungen:
• Missbrauch und Entwürdigung des Amtes durch „Schmusen und Wuseln" mit der damals 13 Jahre alten Zeugin (Konfirmandenfreizeit Januar 1983),
• sexueller Missbrauch einer Schutzbefohlenen (§ 174 Absatz 1 Nr. 1 StGB in der damals geltenden Fassung) sowie sexueller Missbrauch eines Kindes (§ 176 Absatz 1 StGB in der damals geltenden Fassung) durch einen Zungenkuss am 07.04.1983,
• Verletzung der Pflichten aus der Ordination und des 6. Gebotes sowie des Abstands-und Abstinenzgebotes durch Petting mit der damals 19 Jahre alten jährigen Zeugin während eines Kurzbesuchs 1988/89.
bd) Soweit dem Beklagten im Verhältnis zur Zeugin F Amtspflichtverletzungen zur Last gelegt werden, gestaltete sich der Nachweis der oben getroffenen Feststellungen für die Kammer insofern schwierig, als die Zeugin nach eigenen Angaben bis heute zum Beklagten ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Dementsprechend hat sich die Zeugin nachvollziehbar sowohl während des Ermittlungsverfahrens als auch im Rahmen ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung sehr zurückhaltend zu den in Rede stehenden Vorfällen geäußert. Sie hat lediglich bestätigt, während ihrer Konfirmandinnen und „Helpi“zeit bereits mit dem Beklagten befreundet gewesen zu sein. Sie bestreitet allerdings, dass es damals sexuelle Kontakte zum Beklagten gegeben habe. Die Kammer sieht es allerdings auf dem Hintergrund der Aussage der Zeugin I und ihrer Eintragungen ins Tagebuch als erwiesen an, dass der Beklagte anlässlich der Konfirmandenfreizeit im Januar 1983 nicht nur mit der Zeugin I, sondern auch mit der Zeugin F bis in den frühen Morgen hinein „geschmust und gewuselt“ hat, was in jedem Fall – wie bereits oben ausgeführt – eine Amtspflichtverletzung darstellt.
Soweit dem Beklagten vorliegend angelastet wird, im Schlafsack der Zeugin F anlässlich des Kirchentages 1985 übernachtet zu haben, geht die Kammer aufgrund der Aussage der Zeugin U davon aus, dass die Zeugin F seinerzeit ihren Schlafsack vergessen hatte und deshalb in den Schlafsack des Beklagten gekrochen ist. Das ist sowohl vom Beklagten als auch von der Zeugin F bestritten worden. Die Kammer geht jedoch aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen K und U davon aus, dass die Zeugin in den Schlafsack des Beklagten gekrochen und dabei auch von weiteren Kirchentagsteilnehmerinnen und -teilnehmern beobachtet worden ist. Ob die Zeugin im Schlafsack des Beklagten übernachtet hat, konnte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass die Zeugin F durch ihr Bestreiten eine Falschaussage gemacht hat, um ihren langjährigen Freund und Gönner vor den Folgen dieses Disziplinarverfahrens zu schützen.
Soweit dem Beklagten darüber hinaus ein langjähriges, ehebrecherisches Verhältnis zu der Zeugin vorgeworfen wird, verkennt die Kammer nicht, dass es dafür zahlreiche Indizien gibt, die den Verdacht nahelegen könnten. Andererseits war aber zu berücksichtigen, dass es zu diesem Beweisthema ausschließlich Vermutungen und Schlussfolgerungen gibt. Der Kammer ist keine Aussage bekannt geworden, in der beschrieben worden ist, dass es zwischen dem Beklagten und der Zeugin zum Austausch sexueller Handlungen gekommen ist. Auch im Hinblick darauf, dass die freundschaftliche Beziehung zwischen dem Beklagten und der Zeugin auch unter Einbeziehung der jeweiligen Ehepartner gepflegt worden sein soll, könnte eher gegen ein solch ehebrecherisches Verhältnis sprechen. Die Kammer sieht im Ergebnis jedenfalls im Zweifel für den Beklagten diese Amtspflichtverletzung nicht als erwiesen an.
Zusammenfassend hat der Beklagte seine pfarramtlichen Pflichten gegenüber der Zeugin F wie folgt verletzt:
• Missbrauch und Entwürdigung des Amtes i.S.d. § 57 Absatz 1 Satz 1 EKKW-PfDG in der damals geltenden Fassung und Verletzung des Abstandsgebotes und der Pflichten aus der Ordination durch ,,Wuseln" und „Schmusen“ während einer Konfirmandenfreizeit im Januar 1983 mit der damals 16jährigen Zeugin, die in einem Obhutsverhältnis zu ihm stand,
• Verstoß gegen seine Vorbildfunktion, die Amtspflichten aus § 57 Absatz 1 Satz 1 EKKW-PfDG in der damals geltenden Fassung, das Abstandsgebot und die Pflichten aus der Ordination durch das - für andere Fahrtteilnehmer erkennbare – Zusammenliegen in seinem Schlafsack mit der Zeugin beim Kirchentag 1985.
be) Zu den vom Zeugen O in der mündlichen Verhandlung vom 04.08.2022 beschriebenen sexuellen Handlungen, die er gemeinsam mit dem Beklagten einvernehmlich vorgenommen haben will, hat der Beklagte keine Einlassung abgegeben. Die insoweit getroffenen Feststellungen stützt die Kammer daher in vollem Umfang auf die Aussage des Zeugen. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussage wird insbesondere dadurch unterstrichen, dass sich der Beklagte dem Zeugen in ähnlicher Weise sexuell genähert hat, wie er es später beim Zeugen K gemacht hat. Auch der Besuch beim Zeugen weist deutliche Parallelen zu den Besuchen des Beklagten bei der Zeugin I und beim Zeugen D auf.
Insoweit hat der Beklagte seine pfarramtlichen Pflichten wie folgt verletzt:
• Verletzung der Pflichten aus der Ordination und des 6. Gebotes sowie des Abstands-und Abstinenzgebotes durch den Vollzug homosexueller Handlungen mit dem Zeugen in zwei Fällen.
Im Ergebnis hat sich für die Kammer nach dem Abschluss der Beweisaufnahme vom Beklagten ein erschreckendes Persönlichkeitsbild abgezeichnet, das insbesondere sein vordergründig sehr erfolgreiches pfarramtliches Wirken in den Anfangsjahren seiner beruflichen Laufbahn in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Angesichts der Vielzahl der dem Beklagten zur Last zu legenden Amtspflichtverletzungen, die in einer großen Anzahl auch Sexualstraftaten darstellen, die wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung nicht mehr verfolgt werden konnten, ist die Kammer erschüttert darüber, dass diese Schattenseite des Beklagten erst jetzt offenbar geworden ist, nachdem er sich am Ende einer vordergründig sehr erfolgreichen beruflichen Laufbahn bereits seit längerer Zeit im Ruhestand befindet. Mit Blick darauf, dass der Beklagte sich in seinen sexuellen Ausschweifungen nicht auf ein oder zwei Opfer beschränkt, sondern über lange Zeit sowohl beim weiblichen als auch beim männlichen Geschlecht unterschiedlichen Alters sexuelle Abwechslung gesucht hat, dürfte auch für jeden Außenstehenden klar sein, dass der Beklagte nicht Opfer einer Verschwörung oder Intrige geworden ist, sondern dass ihn im Alter die schweren Sünden seiner beruflichen Anfangszeit eingeholt haben.
V. Für die Bemessung der auf diesem Hintergrund verhängten einheitlichen Disziplinarmaßnahme ist § 20 DG.EKD maßgeblich. Während der Katalog des § 20 Absatz 2 DG.EKD die Bemessungskriterien enthält, bestimmt Absatz 3 Satz 1 i. V. m. Satz 2 dieser Vorschrift, dass auch ein Beklagter, der vor Beginn seines Ruhestandes eine schwere Amtspflichtverletzung begangen hat, aus dem Dienst zu entfernen ist, wenn er dadurch „das Vertrauen des Dienstherrn in die Amtsführung endgültig verloren hat oder dessen Verbleiben im Dienst geeignet wäre, der Glaubwürdigkeit der Wahrnehmung des kirchlichen Auftrages oder dem Ansehen der Kirche erheblich zu schaden“. Insoweit war der Beklagte aufgrund seines Ordinationsgelübdes verpflichtet, in seinem Gesamtverhalten auf die besondere Verantwortung Rücksicht zu nehmen, die ihm aus seinem Amt als Gemeindepfarrer erwachsen ist, und für die Kirche innerhalb und außerhalb seines Dienstes einzutreten (§ 13 Absatz 2 des EKKW- Pfarrerdienstgesetzes (EKKW-PfDG 1973). Auch nach § 3 Absatz 1 Satz 3 DG.EKD verletzen Pfarrer ihre Amtspflicht, wenn sie innerhalb oder außerhalb des Dienstes schuldhaft gegen ihnen obliegende Pflichten verstoßen. Das gilt für Pfarrer insbesondere dann, wenn sie schuldhaft gegen die in der Ordination begründeten Pflichten verstoßen. Dies folgt aus dem für den Pfarrer damals geltenden Dienstrecht.
Die Kammer sieht in jeder der oben aufgeführten einzelnen Tathandlungen eine solche Amtspflichtverletzung. Da sie aber alle in einem inneren und äußeren Zusammenhang stehen, ist vorliegend für eine isolierte Bewertung der einzelnen Verstöße gegen die Amtspflichten als Gemeindepfarrer disziplinarrechtlich kein Raum. Nach Auffassung der Kammer greift hier der Grundsatz der Einheit der Amtspflichtverletzung. Die oben ermittelte einheitliche Amtspflichtverletzung des Beklagten ist aus Sicht der Kammer auch grundsätzlich in jedem Fall geeignet, seine Entfernung aus dem Dienst als härteste Disziplinarmaßnahme (§ 9 Absatz 1 Nr. 9 i.V.m. § 18 Absatz 1 Satz 2 DG.EKD) zu rechtfertigen. Eine Entfernung aus dem Dienst hat den Entzug der Rechte aus der Ordination und den Verlust sämtlicher Ansprüche aus dem Dienstverhältnis einschließlich des Anspruchs auf Versorgung zur Folge (§ 18 Absatz 1 Satz 2 DG.EKD).
Das Schwergewicht der Amtspflichtverletzungen liegt aus Sicht der Kammer sicherlich bei den Taten zum Nachteil des Zeugen D, mit dem er seit der Reise in die Stadt P im April 1983 unter Ausnutzung des während der Konfirmandenzeit mit diesem begründeten Vertrauensverhältnisses eine homosexuelle Beziehung begonnen und über die Volljährigkeit des Zeugen hinaus aufrecht erhalten hat. Diese Handlungen haben insbesondere auch wegen ihrer überwiegend strafrechtlichen Relevanz ein besonderes Gewicht. Sie hätten bereits in jedem Einzelfall grundsätzlich eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen können. Der Kammer ist dabei auch bewusst geworden, in welch starkem Maße der Beklagte dank seiner rhetorischen und manipulativen Fähigkeiten Einfluss auf die Entwicklung junger Menschen genommen hat und welche Auswirkungen dieses Verhalten selbst im fortgeschrittenen Alter der Zeugen noch hat. Diese schädigende Einflussnahme spiegelt sich auch in den Feststellungen zu den Amtspflichtverletzungen wider, die der Beklagte zum Nachteil der Zeugin I begangen hat. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist insbesondere bei einem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen die besondere Persönlichkeits- und Sozialschädlichkeit aus folgenden Gründen zu berücksichtigen: Übergriffe dieser Art stellen einen unnatürlichen Eingriff in die sittliche Entwicklung der Betroffenen dar, den diese wegen ihrer noch nicht ausreichend fortgeschrittenen Reife intellektuell und gefühlsmäßig nicht verarbeiten können. Derartige Verhaltensweisen greifen in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährden nachhaltig die harmonische Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft. Dem Opfer werden - typischerweise - erhebliche zumindest seelische Schäden zugefügt, deren Folgen ein ganzes Leben lang andauern können. Zugleich benutzt der Täter die Betroffenen als Mittel zur Befriedigung seiner geschlechtlichen Triebe. Eine solche Herabminderung des Kindes oder Jugendlichen zu einem bloßen Objekt der Sexualität verletzt deren Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht in elementarster Weise (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1989 - 1 D 141/86 -BVerwGE 83,303; BayVGH, Urteil vom 15. Dezember 2010 - 16 a D 08.1287, juris Rn.85). Die von der Kammer zusätzlich getroffenen Feststellungen zu Amtspflichtverletzungen zum Nachteil der Zeugen F, K und O unterfallen zwar nicht diesen Kriterien, stellen aber in einer Gesamtschau ebenfalls schwere Amtspflichtverletzungen dar. Bei der Entscheidung, ob die härteste Disziplinarmaßnahme auch im konkreten Fall auszusprechen ist, orientiert sich die Kammer an den richtungsweisenden Leitlinien des Beschlusses des Disziplinarhofes der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13. Februar 2013 - (DH.EKD) 0125/1-11-. Danach besteht die Disziplinargewalt der Kirche nicht schrankenlos und ohne Bindung an allgemeine Grundsätze. Sie ist daher auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Die auszusprechende Disziplinarmaßnahme muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Amtspflichtverletzung stehen und zur Realisierung der mit dem Disziplinarrecht verfolgten Zwecke geeignet und erforderlich sein. Je länger die Verwirklichung der Amtspflichtverletzung zurückliegt, die nur noch mit der schwersten Sanktion, nämlich der Entfernung aus dem Dienst geahndet werden kann, ist umso sorgfältiger bei der erforderlichen Abwägung des Verfolgungsinteresses des Dienstherrn mit den von der Entfernung aus dem Dienst einhergehenden Auswirkungen auf den Beklagten zu prüfen, ob die Zwecke des Disziplinarrechts noch die Verhängung dieser Sanktion rechtfertigen.
Der Beklagte ist im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer 76 Jahre alt. Er sieht sich seit Aushändigung der Einleitungsverfügung mit den schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert und hat sich diesen auch in einer sich über vier Verhandlungstage erstreckenden mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellt. Der Kammer ist dabei bewusst, dass in dieser Zeit die Lebensqualität des Beklagten erheblich eingeschränkt war. Zu seinen Gunsten konnte sie nicht feststellen, dass der Beklagte rückblickend seine damalige körpernahe“ Jugendarbeit heute kritischer sieht. Die ihm nunmehr nachgewiesenen Amtspflichtverletzungen liegen zum Teil fast 40 Jahre zurück, so dass die Kammer in die gebotene Prüfung eingetreten ist, ob die Entfernung aus dem Dienst noch durch die die Disziplinargewalt legitimierenden Zwecke gedeckt ist. Ohne den geringsten Zweifel zu haben, geht die Kammer im vorliegenden Fall allerdings davon aus, dass die erwiesenen Amtspflichtverletzungen auch heute noch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesichts der Vielzahl und der Schwere der Vorwürfe keine andere Entscheidung als die Entfernung aus dem Dienst zulassen. Besonders ins Gewicht fällt dabei für die Kammer, dass die Zeugen D und I durch die festgestellten Amtspflichtverletzungen bis heute - zum Teil traumatisch - belastet sind. Die Kammer hat andererseits im vorliegenden Fall auch stets im Blick, dass sich der Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme insbesondere im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde ein hohes Ansehen verschafft und damit auch den Grundstein für seine weitere berufliche Karriere gelegt hat, was sich noch heute in zahlreichen anerkennenden Bemerkungen auch von Zeugen, die nicht nur positive Erfahrungen mit ihm gemacht haben, niederschlägt. Diese Verdienste vermögen es aber nicht zu rechtfertigen, im vorliegenden Verfahren von der schwersten Reaktion abzusehen und wie von der Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2022 zur Diskussion gestellt auf eine mildere Maßnahme zu erkennen. Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, dass der Beklagte, der um sein Ansehen wusste, dieses und seine körperliche Behinderung gleichsam als Schutzwall um sich aufbauen konnte, um dahinter lange Jahre im Verborgenen, die umschriebenen Amtspflichtverletzungen zu begehen. Auch wenn mit Blick auf das Alter des Beklagten eine spezialpräventive Wirkung der vorliegenden Entscheidung nicht mehr eintreten kann, hält es die Kammer für geboten, aus generalpräventiven Gründen deutlich zu machen, dass sexuelle Übergriffe insbesondere dieser Art begangen durch Inhaber von Kirchenämtern nicht geduldet werden können und nachhaltig verfolgt werden müssen. Dabei ging es der Kammer insbesondere auch darum, angesichts aktuell wieder diskutierter, allgemeiner Verfolgungsversäumnisse zur Wahrung der Integrität und der Glaubwürdigkeit der Kirche deren Funktionsfähigkeit konsequent unter Beweis zu stellen.
Die Kammer sieht daneben keine Veranlassung, dem Beklagten gemäß § 18 Absatz 1 Satz 3 DG.EKD nach Maßgabe der §§ 81 und 82 DG.EKD einen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen, weil er dessen nicht würdig erscheint und auch für eine Bedürftigkeit nichts vorgetragen wurde.
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 79 Absatz 1 Satz 1 DG.EKD.
(Rechtsmittelbelehrung nächste Seite; auf den Abdruck wird verzichtet)