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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 05.02.2024 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD I-0124/7-23 |
Rechtsgrundlage: | MVG-EKD §§ 33 Absatz 3, 38 Absatz 1 Satz 1, 40 |
Vorinstanzen: | Gemeinsame Schlichtungsstelle der Ev. Kirche im Rheinland und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. vom 07.02.2023, Az. 1 GS 9/2022 |
Schlagworte: | Anordnung und Änderung von Arbeitszeiten ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung |
Leitsatz:
1) Die Mitarbeitervertretung kann die Einleitung eines kirchengerichtlichen Verfahrens durch nachträgliche Entscheidung genehmigen, wenn der Sachantrag der Mitarbeitervertretung nicht bereits wegen fehlender Beschlussfassung über die Einleitung des kirchengerichtlichen Verfahrens als unmzulässig verworfen worden ist (wie zum BetrVG: BAG 4. November 2015 7 ABR 61/23, Rdnr. 25).
2) Legt die Mitarbeitervertretung im Einzelnen dar, wie ihre Beschlussfassung zur Einleitung des Verfahrens erfolgt ist, genügt kein pauschales Bestreiten dieses Vortrags mit Nichtwissen durch die Dienststellenleitung. Es ist von ihr dann darzulegen, in welchen einzelnen Punkten und weshalb die Behauptungen der Mitarbeitervertretung gleichwohl nicht als wahr zu erachten seien (wie zum BetrVG: BAG 9. Dezember 2003 1 ABR 44/02 Rdnr. 20).
3) Die Mitarbeitervertretung kann nicht, und zwar auch nicht zeitweise bis zum Abschluss anderer Verhandlungen, auf die Einhaltung gesetzlicher Mitbestimmungsrechte verzichten.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss der Gemeinsamen Schlichtungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. - Diakonie RWL - vom 7. Februar 2023, Az. 1 GS 9/2022, teilweise abgeändert und der Beteiligten zu 2 untersagt, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einrichtung D Arbeitszeiten anzuordnen oder angeordnete Arbeitszeiten zu ändern, sofern nicht die Mitarbeitervertretung zuvor zugestimmt oder die Einigungsstelle die Einigung ersetzt oder das Kirchengericht die Mitarbeitervertretung einstweilen zur Duldung verpflichtet hat.
Gründe:
I.
Die Mitarbeitervertretung verlangt, der Dienststellenleitung zu untersagen, gegenüber den Beschäftigten ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung Arbeitszeiten anzuordnen oder angeordnete Arbeitszeiten zu ändern.
Die Mitarbeitervertretung ist zuständig für eine Einrichtung der stationären Altenhilfe, in der nach monatlichen Dienstplänen gearbeitet wird, in denen die Zuordnung der Schichten bedarfsorientiert unter Berücksichtigung der verfügbaren Beschäftigten erfolgt. Ein Einigungsstellenverfahren über die Dienstpläne wurde nicht zu Ende geführt. Nachdem die Beteiligten Verhandlungen über ein Ausfallmanagement begonnen hatten, duldete die Mitarbeitervertretung kurzfristige Änderungen der Dienstpläne ohne ihre Zustimmung. Am 13. April 2022 teilte die Mitarbeitervertretung der Dienststellenleitung mit, dass sie es nicht mehr hinnehme, dass sie über Änderungen der Dienstpläne nicht unterrichtet werde, und den Rechtsweg beschreiten werde. Im daraufhin eingeleiteten Verfahren einigten sich die Beteiligten im Gütetermin vor dem Kirchengericht dahingehend, dass sie bis zum 30. November 2022 ein Ausfallmanagement entwickeln und etablieren wollten. Die Vorsitzende der Mitarbeitervertretung sagte zu, das Stillhalteabkommen bis zu diesem Zeitpunkt fortzusetzen. Bis zum 30. November 2022 wurde keine Vereinbarung über ein Ausfallmanagement geschlossen. In der Folgezeit kam es erneut zu Änderungen von Dienstplänen ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung.
Die Mitarbeitervertretung hat die Auffassung vertreten, dass sie an der Duldung von Dienstplanänderungen nicht festgehalten werden könne, weil ihr solche Änderungen nicht einmal mehr angezeigt würden. Die Dienststellenleitung habe sich der Aufgabe entzogen, sich um das Zustandekommen eines Ausfallmanagements zu kümmern.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
der Antragsgegnerin zu untersagen, für die Mitarbeitenden in der Einrichtung D Arbeitszeiten anzuordnen oder angeordnete Arbeitszeiten zu dulden, sofern nicht die Antragstellerin zuvor zugestimmt oder die Einigungsstelle die Einigung ersetzt hat.
Die Dienststellenleitung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, dass kurzfristig notwendige Dienstplanänderungen genau dokumentiert und aus dem aktuellen Dienstplan ersichtlich seien. Sie habe bereits Mitte 2021 einen Vorschlag für ein Ausfallmanagement unterbreitet, auf den sie keine Rückmeldung erhalten habe. Es werde bestritten, dass die Mitarbeitervertretung zur ordnungsgemäßen Vertretung befugt sei.
Das Kirchengericht hat den Antrag der Mitarbeitervertretung mit Beschluss vom 7. Februar 2023 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss, der der Mitarbeitervertretung am 21. Februar 2023 zugestellt wurde, hat die Mitarbeitervertretung mit Schriftsatz vom 2. März 2023 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.
Die Mitarbeitervertretung hält den Beschluss des Kirchengerichts für unzutreffend. Von der Dienststellenleitung sei die ordnungsgemäße Beschlussfassung der Mitarbeitervertretung vor Einleitung des Verfahrens nicht gerügt worden. Das Kirchengericht habe eine Aufklärung hierzu unterlassen. Die Mitarbeitervertretung hätte sich nicht Verhandlungen über ein Ausfallmanagement verweigert, sondern sei nur nicht bereit gewesen, die von der Dienststellenleitung vorgesehene Vertretungsbereitschaft zu akzeptieren. Die Ansicht des Kirchengerichts, dass bei kurzfristigen Ausfällen von Beschäftigten das Mitbestimmungsverfahren nicht eingehalten werden könne, führe zu einer Beseitigung des Mitbestimmungsrechts bei Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit. Die Mitarbeitervertretung habe am 24. Juli 2023 Beschlüsse gefasst, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 3 des Schriftsatzes der Mitarbeitervertretung vom 31. Juli 2023 (Bl. 66 d.A.) verwiesen wird. Zu der Sitzung sei mit einem Schreiben eingeladen worden, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 4 des Schriftsatzes der Mitarbeitervertretung vom 31. Juli 2023 (Bl. 67 d.A.) verwiesen wird.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses vom 7. Februar 2023 der Antragsgegnerin zu untersagen, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einrichtung D Arbeitszeiten anzuordnen oder angeordnete Arbeitszeiten zu dulden, sofern nicht die Antragstellerin zuvor zugestimmt oder die Einigungsstelle die Einigung ersetzt hat oder das Kirchengericht die Antragstellerin einstweilen zur Duldung verpflichtet hat.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den kirchengerichtlichen Beschluss für zutreffend. Die Mitarbeitervertretung habe sich nicht zu dem Entwurf der Dienststellenleitung für ein Ausfallmanagement geäußert. Sie müsse sich an ihrer mehrfach erklärten Bereitschaft zur Erarbeitung einer solchen Regelung festhalten lassen. Jedenfalls handele es sich bei dem von der Mitarbeitervertretung verfolgten Antrag um einen Globalantrag, der Konstellationen erfasse, die nicht mitbestimmungspflichtig seien, etwa in Eilfällen, in denen die Dienststellenleitung sich nicht nur an die Einigungsstelle, sondern auch an die Kirchengerichte wenden könne. Der in der Beschwerdeinstanz vorgenommenen teilweisen Antragsrücknahme werde nicht zugestimmt. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Mitarbeitervertretung auf der Sitzung vom 24. Juli 2023 die angegebenen Beschlüsse gefasst und zu der Sitzung wie vorgetragen geladen worden sei.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerde ist nach § 63 Absatz 1 MVG-EKD statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof hat sie zur Entscheidung angenommen.
Die Mitarbeitervertretung hat ihren Antrag nicht im Sinne des § 87 Absatz 2 Satz 3 ArbGG zurückgenommen, sondern im Sinne des § 87 Absatz 2 Satz 3 Halbsatz 2, § 81 Absatz 3 Satz 1 ArbGG geändert. Auf die Zustimmung der Dienststellenleitung zu dieser Antragsänderung kommt es nicht an, weil das Gericht sie im Sinne des § 81 Absatz 3 Satz 1 BetrVG für sachdienlich hält. Die Sachdienlichkeit einer Antragsänderung ist gegeben, wenn der geänderte Antrag dazu führt, dass die eigentliche Streitfrage der Beteiligten endgültig gerichtlich geklärt und weiteren Verfahren vorgebeugt wird (Schwab/Weth/Tiedemann § 87 Rdnr. 68). Das ist hier der Fall. Es kommt in dem Verfahren darauf an, ob die Dienststellenleitung entgegen dem Mitarbeitervertretungsrecht Arbeitszeiten ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung anordnen darf, nicht aber darauf, ob möglicherweise bei der Antragstellung eine mehr oder minder wahrscheinliche Konstellation ausgelassen worden ist, bei der nicht etwa eine Alleinentscheidungsmöglichkeit der Dienststellenleitung besteht, sondern die aus anderen Gründen einem Unterlassungsanspruch entgegenstehen könnte. Es ist sachdienlich, die eigentliche Frage der Entscheidung des Gerichts zuzuführen, ohne wegen Randthemen eine Sachentscheidung zu verhindern und ein neues kirchengerichtliches Verfahren erforderlich werden zu lassen.
2. Die Beschwerde ist begründet, weil der zulässige Antrag der Mitarbeitervertretung in dem aus dem Ausspruch ersichtlichen Umfang begründet ist.
a) Der Antrag ist zulässig. Es handelt sich um eine mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeit, für die der Rechtsweg zu den Kirchengerichten gegeben ist.
Das Verfahren nach § 33 Absatz 3 MVG-EKD ist eingehalten worden. Die Mitarbeitervertretung hat der Dienststellenleitung nach mehreren vergeblichen Gesprächsversuchen am 13. April 2022 mitgeteilt, dass nun der Rechtsweg beschritten werde. Das ist eine deutliche Erklärung des Scheiterns der Einigung nach Bemühungen um eine Klärung durch Aussprache.
Die Mitarbeitervertretung hat die Einleitung des Verfahrens ordnungsgemäß beschlossen, und zwar jedenfalls durch die Beschlüsse vom 24. Juli 2023. Eine solche Genehmigung einer bereits erfolgten Verfahrenseinleitung ist möglich. Sie ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Antrag erstinstanzlich mangels Zulässigkeit durch ein Prozessurteil verworfen wurde (BAG 4. November 2015 7 ABR 61/23, Rdnr. 25). Das ist vorliegend nicht der Fall gewesen, weil das Kirchengericht die Zulässigkeitsfragen dahingestellt sein ließ und zur Sache entschieden hat.
Von einer ordnungsgemäßen nachträglichen Genehmigung durch Beschluss der Mitarbeitervertretung ist auszugehen. Die Dienststellenleitung hat die Beschlüsse zwar mit Nichtwissen bestritten. Ein solches pauschales Bestreiten reicht aber nicht aus, wenn die Beschlussfassung im Einzelnen dargelegt worden ist. Erforderlich wäre vielmehr gewesen darzulegen, in welchen einzelnen Punkten und weshalb die Behauptungen des Betriebsrats gleichwohl nicht als wahr zu erachten seien (BAG 9. Dezember 2003 1 ABR 44/02 Rdnr. 20). Das ist nicht geschehen. Soweit die Dienststellenleitung meint, dass das neue Vorbringen der Mitarbeitervertretung zur Beschlussfassung wegen Verspätung zurückzuweisen ist, ist dieses unzutreffend. Die Zurückweisung kann nach § 87 Absatz 2 Satz 2 ArbGG für neues Vorbringen erfolgen, dass entgegen einer vom Kirchengericht nach § 83 Absatz 1a ArbGG gesetzten Frist in der ersten Instanz nicht vorgebracht worden ist. Das Kirchengericht hat keine Frist nach § 83 Absatz 1a ArbGG gesetzt. Soweit die Mitarbeitervertretung nicht bereits in der Beschwerdebegründung die Beschlussfassung zur Genehmigung der Einleitung des Verfahrens und der Beauftragung der anwaltlichen Vertretung dargelegt hat, liegen auch die alternativen Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 87 Absatz 3 Satz 4 ArbGG nicht vor. Das folgt schon daraus, dass die Berücksichtigung des neuen Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögerte. Die Dienststellenleitung hat – wie bereits ausgeführt – die Beschlussfassung nicht in beachtlicher Weise angegriffen, so dass das neue Vorbringen einer Entscheidung in dem anberaumten Termin nicht entgegensteht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob sich die Mitarbeitervertretung darauf berufen könnte, dass die neuen Tatsachen, also die Beschlussfassungen vom 24. Juli 2023, erst nach der Beschwerdebegründung vom 1. März 2023 entstanden sind.
b) Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Aus dem unstreitigen Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung folgt deren Anspruch, Arbeitszeitanordnungen ohne ihre Zustimmung zu unterlassen. Aus der gesetzlichen Anordnung des § 38 Absatz 1 Satz 1 MVG-EKD, nach der eine der Mitbestimmung unterliegende Maßnahme erst vollzogen werden darf, wenn die Zustimmung der Mitarbeitervertretung vorliegt oder durch Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt worden ist, folgt ein Anspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens (JMNS/Mestwerdt § 38 Rdnr. 119).
Die Verhandlungen über ein Ausfallmanagement stehen dem Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung und damit auch ihrem Unterlassungsanspruch nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, warum durch solche Verhandlungen die Geltung gesetzlicher Mitbestimmungsregeln ausgesetzt gewesen sein sollen. Eine etwaige Duldung einseitiger Anordnungen der Dienststellenleitung war nach dem Vorbringen der Mitarbeitervertretung nur bis zum 30. November 2022 befristet. Eine solche Duldung ist außerdem unbeachtlich. Ein Verzicht auf Mitbestimmungsrechte ist unwirksam (Fitting § 87 Rdnr. 3). Der Dienststellenleitung kann damit auch nicht nur vorübergehend das alleinige Gestaltungsrecht in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit überlassen werden.
Kann die Dienststellenleitung die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu notwendigen Änderungen des Dienstplans – ggf. auch durch eine Entscheidung der Einigungsstelle – nicht einholen, hat sie beim Kirchengericht zu beantragen, der Mitarbeitervertretung im Wege einstweiliger Verfügung aufzugeben, den nur in dem erforderlichen Maße geänderten Dienstplan zu dulden (KGH.EKD 30. Mai 2016 I-0124/51-2015 Rdnr. 47, JMNS § 38 Rdnr. 101). Auch daran hat sich die Dienststellenleitung nicht gehalten. Weder hat sie eine Entscheidung der Einigungsstelle zu erreichen versucht noch sich um eine Duldungsverfügung bemüht.
Entgegen der Auffassung der Dienststellenleitung steht dem Antrag nicht entgegen, dass sie nach § 40 Absatz 4 MVG-EKD neben der Einigungsstelle auch das Kirchengericht anrufen könnte. Kommt es zu keiner Einigung über einen Regelungsgegenstand nach § 40 MVG-EKD, ist ausschließlich die Einigungsstelle und nicht das Kirchengericht nach § 38 Absatz 4 MVG-EKD zuständig. Dies bedeutet, dass bei Nichteinigung über einen Dienstplan die Dienststellenleitung nur die Einigungsstelle und nicht das Kirchengericht anrufen kann (KGH 7. Dezember 2020 II-0124/30-2020 –, Rn. 20, juris; JMNS/Mestwerdt MVG-EKD § 38 Rdnr. 87).
Der Antrag ist nicht als Globalantrag insgesamt unbegründet. Durch die von der Mitarbeitervertretung in der Beschwerdeinstanz vorgenommenen Konkretisierungen werden nur noch die Fälle erfasst, bei denen die Dienststellenleitung die Arbeiten weder anordnen noch leisten lassen darf.