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Kirchengericht: | Verwaltungssenat bei dem Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 08.05.2024 |
Aktenzeichen: | 0135/1-2023 |
Rechtsgrundlage: | § 116 VwGO, § 117 Abs. 4 VwGO, § 138 Nr. 6 VwGO |
Vorinstanzen: | Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), Az. XIII 102/09-173 |
Schlagworte: | , 5-Monats-Frist Beratung Abfassung des Urteils Unterschriften Absoluter Revisionsgrund , Urteil, Verkündung des Urteils |
Leitsatz:
Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefasst war, ist im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO i. V. m. § 65 VwGG.EKD nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (im Anschluss an Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367).
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2022 ergangene Urteil des Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Evangelischen Kirche der Pfalz aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Evangelischen Kirche der Pfalz zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Versetzung unter Verlust einer Pfarrstelle.
Die Klägerin bekleidete die Pfarrstelle Dörrenbach/Schweigen-Rechtenbach. Diese Pfarrstelle war zwei selbstständigen Kirchengemeinden zugeordnet, der Gemeinde Dörrenbach-Oberotterbach und der Gemeinde Schweigen-Rechtenbach. Nachdem es in der Zusammenarbeit der Klägerin und dem Presbyterium Dörrenbach-Oberotterbach zu Spannungen gekommen war, beschloss die Kirchenregierung auf Antrag des erweiterten Presbyteriums der Gemeinde Dörrenbach-Oberotterbach mit Bescheid vom 18. März 2021, die Klägerin unter Verlust der Pfarrstelle Dörrenbach-Schweigen-Rechtenbach zu versetzen oder ihr einen anderen Auftrag zu übertragen.
Das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Evangelischen Kirche der Pfalz hat die gegen diesen Bescheid erhobene Klage mit Urteil auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2022 abgewiesen. Die Versetzung der Klägerin unter Verlust der Pfarrstelle sei von §§ 79, 80 PfDG.EKD gedeckt. Eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes liege vor. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt. Diese Voraussetzungen seien bereits dann anzunehmen, wenn das verstärkte Presbyterium die Versetzung in einer Sitzung unter Vorsitz der Dekanin oder des Dekans beantrage. Bei Pfarrstellen, die mehreren Kirchengemeinden zugeordnet seien, genüge der Antrag des verstärkten Presbyteriums einer Kirchengemeinde. Sei ein Versetzungsantrag formal korrekt beschlossen worden, habe das Gericht nur noch zu prüfen, ob ein Rechtsmissbrauch ausgeschlossen werden könne. Diese Voraussetzungen seien gegeben. Die Versetzungsentscheidung leide nicht an Ermessensfehlern. Mängel des Versetzungsverfahrens lägen ebenfalls nicht vor. Das vollständig abgesetzte Urteil ging nach Beifügung der letzten Unterschrift am 30. Januar 2023 auf der Geschäftsstelle des Verfassungs- und Verwaltungsgerichts ein.
Die Klägerin hat gegen das erstinstanzliche Urteil Revision eingelegt. Sie rügt Verfahrensfehler und hält das Urteil auch inhaltlich für fehlerhaft. Unter anderem macht sie geltend, das Gericht sei der aus § 116 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung von § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO abzuleitenden Verpflichtung nicht nachgekommen, binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung die von den Richtern unterschriebene Urteilsformel der Geschäftsstelle zu übergeben. Ein Tenor des Urteils sei vorab nicht zur Akte gelangt. Zudem sei das Urteil im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, weil es erst später als fünf Monate nach der mündlichen Verhandlung vollständig abgefasst und mit den Unterschriften aller mitwirkenden Richter versehen zur Geschäftsstelle gelangt sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2022 ergangene Urteil des Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Evangelischen Kirche der Pfalz zu ändern und den Versetzungsbescheid der Beklagten vom 18. März 2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie meint, der absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO sei im kirchengerichtlichen Verfahren mit Blick auf dessen Besonderheiten nicht entsprechend anwendbar.
Der Verwaltungssenat hat den Beteiligten mit Beschluss vom 21. Dezember 2023 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Darin hat er auf den nachfolgend dargelegten Verfahrensfehler hingewiesen und Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Versetzungsbescheids geäußert, weil dieser nicht bestimmt, wohin die Klägerin versetzt wird. Die Beklagte hat den Abschluss eines Vergleichs mit Schriftsatz vom 7. Februar 2024 abgelehnt. Zugleich hat sie neue Tatsachen vorgetragen. Der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheides der Kirchenregierung habe sich zwar auf die Enthebung von der Pfarrstelle Dörrenbach-Oberotterbach/Schweigen-Rechtenbach, also auf die Wegversetzung, beschränkt. Die Klägerin sei aber mit gesondertem, nunmehr zur Akte gereichtem Verwaltungsakt vom 19. März 2021 unter Verlust der Pfarrstelle dem benachbarten Kirchenbezirk Germersheim zur Dienstleistung zugewiesen worden. Diese Erteilung eines Dienstauftrags habe nicht in der Zuständigkeit der Kirchenregierung, sondern des Landeskirchenrats gelegen; sie sei der Klägerin direkt am nächsten Tag zugegangen. Aufgrund von Strukturreformen sei die von der Klägerin innegehabte Pfarrstelle Dörrenbach-Oberotterbach/Schweigen-Rechtenbach im Übrigen zwischenzeitlich so nicht mehr vorhanden.
II.
Der Verwaltungssenat entscheidet über die Revision der Klägerin nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels einstimmig für begründet hält (§ 52 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 VwGG.EKD i.V.m. § 27 des Gesetzes über das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Evangelischen Kirche der Pfalz (VuVGG)).
1. Die Revision ist mit der Verfahrensrüge begründet. Das angefochtene Urteil gilt im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 27 VuVGG und § 65 VwGG.EKD als nicht mit Gründen versehen. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
a) Nach § 138 Nr. 6 VwGO ist ein Urteil stets auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Diese Regelung findet nach § 27 VuVGG i. V. m. § 65 VwGG.EKD entsprechende Anwendung. Dem stehen entgegen der Auffassung der Beklagten keine Besonderheiten des kirchlichen Verfahrens im Sinne von § 65 VwGG.EKD entgegen. Soweit § 138 Nr. 6 VwGO nach der Rechtsprechung die Nichteinhaltung bestimmter äußerster Fristen für die Urteilsabsetzung sanktioniert, soll sichergestellt werden, dass die Entscheidungsgründe den Inhalt der Beratung zuverlässig wiedergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2024 - 2 B 34.23 - juris Rn. 18). Die Gefahr, dass sich die Mitglieder eines Spruchkörpers nach langem Zeitablauf nicht mehr hinreichend an die Beratung erinnern, besteht bei den ausschließlich ehrenamtlich besetzten kirchlichen Gerichten in gleicher Weise wie bei staatlichen, vorwiegend berufsrichterlich besetzten Gerichten.
aa) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefasst war, ist im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 in Abweichung von BVerwG, Urteil vom 3. August 1990 - 7 C 41-43.89 - BVerwGE 85, 273). Dasselbe gilt in den Fällen des § 116 Abs. 2 VwGO, in denen das Urteil anstelle der Verkündung zugestellt wird (BVerwG, Beschlüsse vom 20. September 1993 - 6 B 18.93 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 21, vom 18. August 1999 - 8 B 124.99 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 37, vom 11. Juni 2001 - 8 B 17.01 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 26 = juris Rn. 4 und vom 10. Oktober 2003 - 7 B 88.03 - juris Rn. 3).
Die Frist beginnt in den Fällen der Zustellung mit dem Tag der abschließenden Beratung; denn es soll sichergestellt werden, dass die Entscheidungsgründe den Inhalt der Beratung zuverlässig wiedergeben (so etwa BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2001 - 8 B 17.01 - juris Rn. 2 und 4; Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138 Rn. 246). Die Urteilsfällung als Ergebnis der Beratung ist in den Fällen des § 116 Abs. 2 VwGO dadurch zu dokumentieren, dass entsprechend § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO die unterschriebene Urteilsformel binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben wird. Der Beratungsabschluss und damit der Fristbeginn werden daher regelmäßig mit der Übergabe des unterschriebenen Urteilstenors an die Geschäftsstelle markiert. Ist die Übermittlung einer unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle – wie hier – unterblieben, beginnt die Fünfmonatsfrist, wenn ehrenamtliche Richter mitgewirkt haben, mit dem Ende der mündlichen Verhandlung (Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138 Rn. 246; Eichberger/Buchheister, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht Stand: März 2023, § 138 Rn. 162; offenlassend BVerwG, Urteil vom 10. November 1999 - 6 C 30.98 - NVwZ 2000, 1290 <1292>). Denn Urteile unter Mitwirkung von ehrenamtlichen Richtern, die zur mündlichen Verhandlung eigens anreisen und ansonsten bei Gericht nicht täglich beschäftigt sind, werden in der Praxis regelmäßig unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung beraten und beschlossen. Es fehlt jeder Anhaltspunkt für die – ohnehin sehr unwahrscheinliche – Annahme, dass das Verfassungs- und Verwaltungsgericht anders verfahren wäre. Damit endete die Fünfmonatsfrist mit Ablauf des 23. Januar 2023.
Diese Frist ist nicht eingehalten worden. Das angefochtene Urteil ist nach Beifügung der letzten Unterschrift erst am 30. Januar 2023 bei der Geschäftsstelle eingegangen. Unerheblich ist, dass der Urteilsentwurf noch vor Ablauf der Fünfmonatsfrist abgesetzt war und mit den Unterschriften des Vorsitzenden und des rechtskundigen Beisitzers zur Geschäftsstelle gelangt ist. Im Sinne von § 117 Abs. 4 Satz 1 VwGO vollständig abgefasst ist ein Urteil grundsätzlich erst dann, wenn es von allen Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, unterschrieben ist (vgl. näher BVerwG, Beschluss vom 15. September 1995 - 4 B 174.95 - juris Rn. 7); dies umfasst alle Mitglieder des kirchengerichtlichen Spruchkörpers. Denn nach § 21 Satz 2 VuVGG sind Urteile von "den" Mitgliedern des Gerichts zu unterzeichnen.
bb) Der Verwaltungssenat macht von der im Fall des § 52 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 VwGG.EKD eröffneten Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 52 Abs. 4 Satz 3 VwGG.EKD zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine Entscheidung in der Sache selbst kommt nicht in Betracht, weil es an tatsächlichen Feststellungen fehlt, auf die der Verwaltungssenat sie stützen könnte, und weil das neue Vorbringen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 7. Februar 2024 der tatrichterlichen Würdigung bedarf.
2. Nur ergänzend weist der Verwaltungssenat auf folgendes hin: Ein Verfahrensfehler liegt auch darin, dass das angefochtene Urteil nicht verkündet worden ist, sondern – gestützt auf § 116 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 10 VuVGG – ausschließlich durch Zustellung verlautbart wurde.
Dieses Vorgehen war unzulässig, weil § 116 Abs. 2 VwGO auf Rechtsstreitigkeiten im Bereich der Evangelischen Kirche der Pfalz keine Anwendung findet. § 23 VuVGG bestimmt abschließend, wie Urteile verlautbart werden. Nach § 23 Satz 1 VuVGG sind Urteile vom Vorsitzenden durch Verlesung aus der Sitzungsniederschrift unter Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe nach Abschluss der mündlichen Verhandlung oder in einem besonderen Verkündungstermin zu verkünden. Die Entscheidungen sind den Beteiligten zuzustellen (§ 23 Satz 2 VuVGG). Dies entspricht im Wesentlichen § 116 Abs. 1 VwGO. Eine Bestimmung, wonach das Urteil anstelle der Verkündung zugestellt werden kann (vgl. § 116 Abs. 2 VwGO), fehlt. Die fehlerhaft unterlassene Verkündung führt aber nicht zur Unwirksamkeit des angefochtenen Urteils, weil die Zustellung erkennbar in der Annahme des Gerichts erfolgt ist, § 116 Abs. 2 VwGO sei anwendbar, sie die Verkündung ersetzen sollte und sich der Fehler auf das Verfahrensergebnis nicht ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03 - NJW 2004, 2019 <2020>).
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.