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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 04.11.2024 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD III-0124/8-24 |
Rechtsgrundlage: | § 40 l MVG-EKD |
Vorinstanzen: | Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in Niedersachsen e.V., Beschluss v. 13. März 2024, Az.: 4 VR MVG 21-23 |
Schlagworte: | Beschwerdestelle nach § 13 AGG |
Leitsatz:
1. Die Errichtung der Beschwerdestelle an sich ist nicht mitbestimmungspflichtig, weil die Dienststelle insoweit zwingendes Gesetzesrecht umsetzen muss, welches in Bezug auf das „ob“ der Einrichtung einer Beschwerdestelle nach § 13 AGG keinen Regelungsspielraum enthält (vgl. BAG 21. Juli 2009 – 1 ABR 42/08). Gleichermaßen besteht kein Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung dahingehend, wo die Beschwerdestelle bei der Dienststelle verortet wird und wer mit der Entgegennahme von Beschwerden betraut wird. Dies ist keine Frage der Ordnung in der Dienststelle i.S.v. § 40 Buchstabe l) MVG-EKD.
2. Mitbestimmungspflichtig ist die Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens nach § 13 Absatz 1 AGG (BAG 21. Juli 2009 – 1 ABR 42/08 - Rn. 29 ff), insofern wird die Ordnung in der Dienststelle und das Verhalten der Mitarbeitenden in Bezug auf die Erhebung einer Beschwerde und das weitere Beschwerdeverfahren geregelt.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten – Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in Niedersachsen e.V. – vom 13. März 2024, Az. 4 VR MVG 21/23, teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Dienststelle mit den in der E-Mail vom 2. Oktober 2023 an die Mitarbeitenden enthaltenen Regelungen zum Verfahren der Beschwerdestelle nach § 13 AGG das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung verletzt hat.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über das Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin, der bei der Antragsgegnerin gebildeten Mitarbeitervertretung, bei der Einführung und dem Verfahren einer Beschwerdestelle nach § 13 AGG.
Mit E-Mail an alle Mitarbeiter/innen vom 2. Oktober 2023 informierte die Antragsgegnerin über die zuständige Stelle in der Dienststelle für Beschwerden nach dem AGG. Mitgeteilt wurde, dass die Beschwerdestelle nach § 13 AGG für betroffene Beschäftigte der Dienststelle durch eine namentlich benannte Mitarbeiterin wahrgenommen wird. Beschrieben wurde der Personenkreis, dem das Beschwerderecht zusteht, die Schutzpflichten des Arbeitsgebers sowie ein Hinweis auf die Maßnahmen, die im Fall einer festgestellten Diskriminierung zu erfolgen haben. Weiter heißt es:
„Wie kann die Beschwerde erfolgen?
Grundsätzlich ist die Beschwerde nach § 13 AGG an keine bestimmte Form gebunden. Sie kann daher auch mündlich oder per E-Mail bei der Beschwerdestelle eingelegt werden. Sollen mit der Beschwerde zugleich Ansprüche im Sinne des § 15 AGG geltend gemacht werden (Entschädigung und Schadensersatz), muss die Beschwerde schriftlich erfolgen.
Das Beschwerderecht ist auch an keine Frist gebunden, es kann jedoch infolge eines langen Zeitablaufs verwirken.
Wie wird die Beschwerde bearbeitet?
Die Beschwerdestelle nimmt die Beschwerde entgegen, ermittelt den Sachverhalt und prüft die rechtlichen Voraussetzungen des AGG. Sodann leitet die Beschwerdestelle die Beschwerde an den Vorstand zur inhaltlichen Beurteilung und zur Entscheidung über die weiteren Maßnahmen weiter.“
Die Antragstellerin hat gegenüber der Antragsgegnerin gerügt, dass eine Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach § 40 Buchstabe k) MVG-EKD (seit 1. Januar 2024 § 40 Buchstabe l) unterblieben sei. Mit der Antragsschrift vom 29. Dezember 2023 hat sie vor dem Kirchengericht die Feststellung der Verletzung von Mitbestimmnungsrechten geltend gemacht und zunächst beantragt,
1. festzustellen, dass bei der Einrichtung einer Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgestz die Mitbestimmung der Mitbarbeitervertretung besteht und die MAV zu beteiligen ist,
2. festzustellen, dass bei dem Verfahren einer Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz die Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung besteht und die MAV zu beteiligen ist.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen,
und die Auffassung vertreten, es seien keine Regelungen zum Verfahren getroffen worden, sodass ein Mitbestimmungsrecht nicht bestehen würde. Dem ist das Kirchengericht gefolgt und hat die Anträge zurückgewiesen
Mit der frist- und formgerecht eingereichten und begründeten Beschwerde verfolgt die Mitarbeitervertretung unter Rücknahme der Beschwerde in Bezug auf den Antrag zu 1. das Antragsziel weiter mit dem insoweit konkretisierten Antrag,
den Beschluss des Kirchengerichts vom 13. März 2024 – 4 VR MVG 21/23 – abzuändern und festzustellen, dass die Antragsgegnerin mit den in der E-Mail vom 2. Oktober 2023 enthaltenen Verfahrensregelungen das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung verletzt hat.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen,
und verteidigt die angefochtene Entscheidung des Kirchengerichts.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung vom 8. Juli 2024, den weiteren Schriftsatz vom 24. Oktober 2024 sowie auf die Beschwerdeerwiderung der Antragsgegnerin vom 4. September 2024 und die Erörterung in der mündlichen Anhörung.
II. Die Beschwerde ist, soweit sie vor dem Kirchengerichtshof zum Spruch gestellt worden ist, frist- und formgerecht eingereicht und begründet worden und damit zulässig. Sie ist auch begründet. Die Antragsgegnerin hat mit der Email an die Mitarbeiter/innen vom 2. Oktober 2023 im Zusammenhang mit der Beschwerdestelle nach § 13 des AGG das Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin nach § 40 Buchstabe l) MVG-EKD (bis 31.12.2023 § 40 Buchstabe k) MVG-EKD) verletzt.
1. Nach § 13 Absatz. 1 AGG haben die Beschäftigten das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, von anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis ist der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen. Nach § 13 Absatz 2 AGG bleiben die Rechte der Arbeitnehmervertretungen unberührt.
2. Nicht mitbestimmungspflichtig weil gesetzlich geregelt ist die Errichtung der Beschwerdestelle an sich. Die Antragsgegnerin setzt insoweit lediglich zwingendes Gesetzesrecht um, welches in Bezug auf das „ob“ der Einrichtung einer Beschwerdestelle nach § 13 AGG keinen Regelungsspielraum enthält (vgl. BAG 21. Juli 2009 – 1 ABR 42/08).
3. Gleichermaßen besteht kein Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin dahingehend, wo die Beschwerdestelle beim Arbeitgeber verortet wird und wer mit der Entgegennahme von Beschwerden betraut wird. Dies ist keine Frage der Ordnung in der Dienststelle i.S.v. § 40 Buchstabe l) MVG-EKD.
4. Mitbestimmungspflichtig ist die Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens nach § 13 Absatz 1 AGG (BAG a.a.O. Rn. 29 ff), insofern wird die Ordnung in der Dienststelle und das Verhalten der Mitarbeitenden in Bezug auf die Erhebung einer Beschwerde und das weitere Beschwerdeverfahren geregelt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin enthält die E-Mail der Antragsgegnerin vom 2. Oktober 2023 Verfahrensregelungen, die der Antragstellerin vor der Übermittlung an die Mitarbeitenden zur Mitbestimmung hätten vorgelegt werden müssen.
a) Nach der Vorstellung der Antragsgegnerin hat sie mit der E-Mail nur die gesetzliche Verpflichtung umgesetzt, eine Beschwerdestelle zu „errichten“. Tatsächlich kann eine Beschwerdestelle nach § 13 AGG Beschwerden aber nur bearbeiten, wenn es eine Verfahrensregelung gibt, wie die Mitarbeitenden Beschwerden erheben können und wie bzw. in welchem Verfahren die Beschwerde nachfolgend bearbeitet wird. Ob Mitarbeitende eine Beschwerde nach § 13 AGG erheben, kann maßgeblich davon abhängen, ob die Beschwerdeführer das nachfolgende Verfahren einordnen und bewerten können.
b) Die E-Mail vom 2. Oktober 2023 weist insoweit in Bezug auf das Verfahren darauf hin, dass Beschwerden sowohl mündlich wie auch per E-Mail bei der Beschwerdestelle eingelegt werden können. Bereits die Mitteilung, die Erhebung der Beschwerde sei an keine bestimmte Form gebunden, ist eine Verfahrensregel im mitbestimmungspflichtigen Bereich.
c) Entscheidend kommt hinzu: Die Antragsgegnerin hat mit der streitbefangenen E-Mail darauf hingewiesen, dass die Beschwerdestelle sodann den Sachverhalt „ermittelt“, die rechtlichen Voraussetzungen des AGG prüft und anschließend die Beschwerde an den Vorstand zur inhaltlichen Beurteilung und Entscheidung über die weiteren Maßnahmen weitergeleitet. Dies sind elementare Verfahrensregelungen, weil die Antragsgegnerin damit der Beschwerdestelle einen Freiraum eröffnet, wie und in welcher Form Beschwerden bearbeitet und verwaltet werden und wie der Sachverhalt ermittelt wird. Dieses in das (freie) Ermessen der Beschwerdestelle gestellte Verfahren kann das Verhalten der Mitarbeitenden beeinflussen. Wer die Erhebung einer Beschwerde erwägt, möchte wissen, was auf ihn zukommt. Er möchte wissen, wer von dem Vorgang Kenntnis erlangt, ob und wie seine Beschwerde datenschutzkonform bearbeitet wird, ob und von wem weitere Anhörungen erfolgen. Eine in das (freie) Ermessen der Beschwerdestelle gestellte Ermittlung des Sachverhalts schafft Unsicherheit und kann das Verhalten der Beschwerde führenden Mitarbeitenden beeinflussen. Im Rahmen der Mitbestimmung kann für Transparenz und Sicherheit gesorgt werden. Die Antragsgegnerin hat, indem sie die Ausgestaltung und den Ablauf des Beschwerdeverfahrens in das (freie) Ermessen der Beschwerdestelle gestellt hat, eine Verfahrensregelung getroffen, zu der die Antragsstellerin zuvor hätte beteiligt werden müssen. Auf die Beschwerde war der Beschluss des Kirchengerichts deshalb teilweise abzuändern.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Absatz 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).